Auslandschweizer treffen sich in Genf
Vertreter der Fünften Schweiz führen am Wochenende in der Calvinstadt den 85. Auslandschweizerkongress durch. Damit wollen sie im Inland Präsenz markieren, sagt Rudolf Wyder.
Themen sind auch die Schweizer Schulen im Ausland und die Konsulate, sagt der Direktor der Auslandschweizer-Organisation (ASO) im Gespräch mit swissinfo.
swissinfo: Wozu dient der Kongress in Genf?
Rudolf Wyder: Solche Kongresse befassen sich jeweils mit einem Thema, das für die angereisten Auslandschweizerinnen und -schweizer aktuell ist.
Dieses Jahr wählte der Auslandschweizerrat den humanitären Einsatz der Schweiz, eine der grossen helvetischen Traditionen zum Thema. In diesem Bereich engagieren sich viele Schweizerinnen und Schweizer im Ausland.
Mit einem solchen Kongress markieren die im Ausland lebenden Schweizer Staatsangehörigen aber auch Präsenz. Sie erinnern daran, dass sie ein wichtiger Teil der Nation sind.
Er bietet auch den in der Schweiz Gebliebenen die Gelegenheit, sich wieder einmal mit ihren Familienangehörigen und Freunden aus dem Ausland zu treffen. Dieses Jahr reisen über 500 an – ein grosser Erfolg.
swissinfo: Inwiefern vertreten die Mitglieder des Auslandschweizerrats, der an diesem Kongress ebenfalls zusammentritt, die unterschiedlichen Anliegen der Auslandschweizer?
R. W.: Der Rat ist repräsentativ, denn er ist aus Vertreterinnen und Vertretern der grossen Auslandschweizer-Gemeinschaften zusammengesetzt. Wie im Nationalrat sind die grossen Gemeinschaften stärker vertreten als die kleinen.
Die Mitglieder des Rats sind im Allgemeinen sehr stark in ihrer Gemeinschaft verankert. Sie stehen im Kontakt mit den Schweizer Institutionen vor Ort. Sie sind Multiplikatoren: Sie bringen Erfahrungen und Kenntnisse aus ihren Gemeinden in die alte Heimat und verbreiten zuhause die Botschaften und Informationen aus der Schweiz.
swissinfo: Mit welchen wichtigen Fragen befasst sich der Rat am Kongress in Genf?
R.W.: Zunächst mit der Frage der Schweizer Schulen im Ausland. Der für 2008 vorgesehene Kredit des Bundes soll ziemlich gekürzt werden. Damit ist das Überleben einiger Schulen gefährdet.
Es ist nicht die erste Kürzung des Kredits. Der Rat hat mehrmals dafür gekämpft, dass Bern ihn wieder erhöht – mehr als einmal mit Erfolg. In diesem Herbst steht der Kredit wieder zur Debatte.
Ein weiteres Diskussionsthema sind die Konsularvertretungen. Ein Konsulat nach dem anderen wird geschlossen, vor allem in Europa. Diesen Verlust bekommen unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger im Ausland besonders zu spüren.
Das geht zu Lasten der Schweizer Präsenz vor Ort. Dass jene, die dann 1000 oder mehr Kilometer fahren müssen, um ein Dokument beglaubigen oder den Pass zu verlängern, kommt einer Diskriminierung gleich. Der Rat kämpft deshalb für die Erhaltung einer ausreichenden Anzahl von Konsulaten.
swissinfo: Wie gross ist der Einfluss der Auslandschweizerorganisation bei solchen Fragen wirklich?
R. W.: Der Auslandschweizerrat ist eine moralische Autorität, die bei den Behörden und den Medien Gehör findet. Er hat keine direkte Entscheidungsmacht, kann aber Interessen vertreten.
Doch hat sich sein Einfluss dank der vor drei Jahren gegründeten «parlamentarischen Gruppe Auslandschweizer» verstärkt, der ein Drittel der Parlamentsabgeordneten angehört, Abgeordnete, die sich für die besonderen Fragen der Fünften Schweiz interessieren.
Sie übernehmen die vom Auslandschweizerrat formulierten Positionen und bringen sie im Parlament ein. Dieses System hat sich bewährt.
swissinfo: Sie glauben also, dass Sie über ausreichend Mittel verfügen, um die Interessen der Auslandschweizer zu verteidigen?
R. W.: Die Mittel reichen nie aus. Natürlich möchten wir mehr Gewicht und Einfluss haben. Aber wir haben Einfluss. Er nimmt parallel zur aktiven Beteiligung der Auslandschweizer am politischen Leben zu.
Zurzeit sind über 110’000 im Ausland lebende Wahlberechtigte im Stimmregister einer Schweizer Gemeinde eingetragen. Je stärker diese Zahl zunimmt, desto mehr Einfluss haben die Auslandschweizer auf die Fragen, die für sie besonders wichtig sind.
swissinfo: Hat die Idee, einen eigenen Wahlkreis zu schaffen und den Auslandschweizern eine bestimmte Anzahl von Parlamentssitzen zu reservieren, in naher Zukunft Chancen?
R. W.: Da wage ich keine Prognosen. Vielleicht haben sich Schweizer Parlamentsabgeordnete nach dem Beispiel Italiens näher mit der Möglichkeit befasst, im Bundesparlament Sitze für die Fünfte Schweiz zu reservieren. Die Diskussion steht noch ganz am Anfang. Wir sind sehr interessiert und hoffen natürlich auf konkrete Resultate.
swissinfo-Interview: Pierre-François Besson
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Thema des 85. Jahreskongress ist «Die humanitäre Rolle der Schweiz und Genfs».
Vor den Vertreterinnen und Vertretern der Fünften Schweiz werden Aussenministerin Micheline Calmy-Rey sowie Jakob Kellenberger, Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Reden halten.
Der Kongress bietet auch die Möglichkeit, zwei Monate vor den Parlamentswahlen mit führenden Köpfen der grossen politischen Parteien zu diskutieren.
Ausserdem wird das oberste Organ der Auslandschweizerorganisation (ASO), der Auslandschweizerrat, am Freitag eine ihrer zwei Jahrestagungen abhalten.
Dieses «Parlament» setzt sich aus 160 Delegierten aus dem Ausland (sie müssen mindestens drei Fünftel ausmachen) sowie Vertretern aus den für die Fünfte Schweiz tätigen Institutionen und der Schweizer Öffentlichkeit zusammen.
Ende 2006 lebten 645’000 Schweizerinnen und Schweizer im Ausland. Das sind 11,1% mehr als im Jahr 2000.
Fast zwei Drittel von ihnen leben in der Europäischen Union. Die meisten in Frankreich (171’732), Deutschland (72’384) und Italien (47’012).
Ausserdem leben 71’984 Schweizer Staatsangehörige in den USA, 36’374 in Kanada, 21’291 in Australien, 15’061 in Argentinien, 13’956 in Brasilien, 12’011 in Israel und 8’821 in Südafrika.
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