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Ausschaffungen – Italien von Frankreich inspiriert

Rosarno in Kalabrien ist zum Symbolbild für jene Orte geworden, an denen illegale Arbeiter in Italien ausgebeutet werden. Keystone

In der Schweiz wird am 28. November über die Ausschaffung straffällig gewordener Ausländer abgestimmt. In Italien möchte man EU-Bürger ohne Aufenthaltsbewilligung rauswerfen. Dabei lässt sich Rom weniger von Bern als von Paris inspirieren.

«In Italien ist nicht die Ausweisung von Nicht-EU-Bürgern, die eine Straftat begangen haben, das Problem. Damit kann unser Gesetz umgehen. Nach der Verbüssung seiner Strafe kann ein Ausländer ausgeschafft werden, in einem vom Staat angeordneten Transport. Unsere Sorgen gehen in eine anderen Richtung. Unsere Mitte-Rechts-Regierung will die Regeln über Rückführungen von Menschen, die nicht dem EU-Raum angehören, auch auf Bürgerinnen und Bürger aus EU-Staaten ausdehnen», sagt Sandro Gozi, ein Mitte-Links stehendes Mitglied des Parlamentarischen Ausschusses für die Überwachung und Durchsetzung der Schengen-Vereinbarungen.

So hat beim südlichen Nachbarn die Schweizer Debatte über die bevorstehende Volksabstimmung zur Politik gegenüber straffällig gewordenen Ausländern nur ein geringes Echo ausgelöst. Ja, die italienische Presse hat sich damit praktisch überhaupt nicht beschäftigt.

Gross aber ist das Interesse für die vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy initiierten Bestimmungen zur Rückführung von sozial gefährlich geltenden rumänischer Nomaden.

Das französische Vorgehen hat auch die jüngsten Schritte des Innenministers Roberto Maroni der rechtskonservativen Lega Nord inspiriert. «Noch vor ein paar Tagen habe ich bekräftigt, dass die von Maroni vorgeschlagenen Massnahmen wirkungslos und unhaltbar seien, ja, dass sie sich im Konflikt mit den EU-Vorschriften zur Freizügigkeit befinden», klagt Gozi.

Unmögliche Anwendung

«Das EU-Recht sieht keine Ausweisungen von EU-Bürgern vor. Aber die italienische Regierung teilt Migranten einfach mit, sie müssten das Land verlassen, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie über genügend wirtschaftliche Mittel verfügen. Aber es bringt ja nichts, sie einfach rauszuwerfen, denn die Rückkehr nach Italien ist für sie kein Problem. Es reicht, wenn man sich in seinem Land auf einem italienischen Konsulat bescheinigen lässt, dass man der Ausweisung Folge geleistet hat», erklärt Gozi.

Der Mitte-Links-Abgeordnete sagt weiter: «Es liegt eigentlich nicht an den Gesetzen. Das grosse Problem ist jedoch die Langsamkeit unserer Justiz, welche dem Bürger den Eindruck vermittelt, dass man in diesem Land nicht bestraft wird.»

Zudem werde das Thema Sicherheit propagandistisch ausgeschlachtet, so Gozi. «Natürlich sollte diese gewährleistet sein und ernst genommen werden. Aber man macht daraus ein Durcheinander, man mischt Nicht-EU-Bürger und solche mit einem EU-Pass, während es klar ist, dass die Mitte-Rechts-Regierung hauptsächlich darauf aus ist, die Roma wieder in ihre Heimat abzuschieben, und unter anderem vergisst, dass die Hälfte der in unserem Land lebenden Fahrenden Italiener sind.»

Der Parlamentarier Jonny Crosio kennt die rechtliche Situation in der Schweiz gut. Er hat im Tessin gearbeitet, wo auch ein Teil seiner Familie lebt.

«Ich will mich nicht über die Details Ihrer Abstimmung vom 28. November äussern. Aber ich muss sagen, dass mich an dieser Volksentscheidung die Werbung stört, welche in einer zu allgemeinen Form alle Ausländerkategorien kriminalisiert. Aber wir müssen die Schweizer um ihre Seriosität und ihren Realitätssinn beneiden. Ich glaube, in Italien war es der grosse Verdienst der Lega, dass sich Lega-Minister Maroni den Bedürfnissen und Sorgen der Bevölkerung angenommen hat. Dies schützt letztlich auch die Ausländer im Land. Denn es gibt sehr viele, die in Italien leben und die Gesetze respektieren.»

Brüssels Verantwortung

Kürzlich hat sich das italienische Verfassungsgericht mit der illegalen Einwanderung befasst und dabei einen der Hauptpunkte des Sicherheitsdekrets eliminiert, welches eine zusätzliche Strafe vorsah. Eine weitverbreitete Einschätzung ist jedoch geblieben: Ausländer aus gewissen anderen EU-Staaten sind gefährlich.

«Dann muss sich halt das Gastgeberland die nötigen Instrumente geben, um sie ausweisen zu können», sagt der Lega-Parlamentarier.

«Deshalb hat Maroni das Thema auf EU-Ebene angesprochen. Brüssel soll seine Verantwortung wahrnehmen. Es kann nicht diktieren, was mit Einwanderern zu geschehen hat, während es Italien auf politischer und wirtschaftlicher Ebene alleine lässt. In Brüssel leben sie in einem Elfenbeinturm. Es wird langsam Zeit, die Realität, wie sie in vielen EU-Ländern vorherrscht, zur Kenntnis zu nehmen.»

Die Aussichten auf vorgezogene Parlamentswahlen werden immer wahrscheinlicher. Mitte-Rechts, allen voran die Lega Nord, besetzen die Ausländer-Themen. «Wir sind besorgt über eine Politik, die sich via Fernsehspots und Inserate verbreitet, die auf praktischem Gebiet wenig konkret ist, aber die Verunsicherung der Bürger zum Ziel hat und ihnen einreden will, es gehe nur um die Ausländer-Problematik «, meint Oliviero Forti, Verantwortlicher des Caritas-Immigrationsbüros, einer der erfahrensten Migrationsexperten Italiens.

Zwischen Paradoxien und Widersprüchen

Niemand kann ernsthaft behaupten, es gebe kein Problem der Ausländer-Kriminalität. Denn der Prozentsatz von Ausländern in italienischen Gefängnissen spricht seine eigene Sprache.

Aber es gebe eine Kehrseite der Medaille, auf die zu wenig hingewiesen werde, unterstreicht Forti: «Die Jugendkriminalitätsrate bei Ausländern, die ihren Status legalisieren konnten, ist proportional niedriger als jene der Italiener.»

Das Gesetz erlaubt den Richtern bereits heute, Ausländer, die bestimmte Straftaten begangen haben, des Landes zu verweisen. Deshalb empfiehlt der Caritas-Mitarbeiter in Richtung Legalisierung und Integration voranzuschreiten, «aber ohne Abstriche bei der Sicherheit zu machen».

Laut Forti fehlt ein allgemeines Projekt. Und es gebe Widersprüche. Er macht ein Beispiel: «Der arbeitslose Ausländer – davon gibt es in Zeiten der Wirtschaftskrise viele – der innert weniger Monate keinen Job findet, muss Italien verlassen. Aber er weiss, dass er in seinem Heimatland keine besseren Bedingungen vorfinden wird; er weiss auch, dass für seine in Italien geborenen Kinder die Ausweisung ein Trauma sein wird. So wird er es vorziehen, in der jetzigen ungewissen Situation zu verharren, auch wenn die Unsicherheit anhält. Aber auch wenn man dem humanitären Aspekt nicht zu grosse Aufmerksamkeit schenken will, soll man an die Jungen denken, denen man Schule und Ausbildung finanziert hat. Sie sind eine Investition, die wir verlieren.»

Die Debatte in Italien geht auf eine weitere Tatsache nicht ein: Während man viel über Sicherheit und die Einhaltung der Immigrationsgesetze spricht, hat die OSZE letztes Jahr geschätzt, dass sich in Italien rund 750’000 illegale Ausländer aufhalten. Werden die alle ausgeschafft? Wahrscheinlich nicht: Zwei von Dreien bleiben im Bel Paese.

Die italienische Regierung hat am 5. November das so genannte «zweite Sicherheitspaket» genehmigt, im Gesetzesentwurf geht es unter anderem auch um die Ausweisung von Bürgern aus anderen Ländern der Europäischen Union (EU), die sich nicht an das Gesetz halten.

Wenn EU-Bürger länger als 90 Tage in einem anderen Staat der Union leben wollen, müssen sie gemäss EU-Richtlinien bestimmte Anforderungen erfüllen und über eine Arbeit, ein Einkommen und eine angemessene Unterkunft im Gastland verfügen.

Wer diese Bedingungen nicht einhalten könne oder verletze, werde gebeten, Italien zu verlassen.

Bei fehlendem Entgegenkommen kann laut dem italienischen Innenminister Roberto Maroni «aus Gründen der öffentlichen Ordnung» auch eine gewaltsame Ausschaffung angeordnet werden.

Die Volksinitiative «Für die Ausschaffung krimineller Ausländer» wurde 2008 mit fast 211’000 gültigen Unterschriften eingereicht.

Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder die missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben, sollen alle Aufenthaltsansprüche verlieren und ausgewiesen werden.

Im Parlament lehnte sie eine Mehrheit der Abgeordneten ab: In der Schlussabstimmung sagte der Nationalrat mit 92 zu 82 Stimmen Nein, der Ständerat mit 26 zu 5 Stimmen.

Da es sich bei einer Volksinitiative immer um eine Verfassungsänderung handelt, kommt sie automatisch vors Volk.

Zudem bedingt eine Verfassungsänderung (Initiative wie auch Gegenvorschlag) zwingend das Volksmehr und das Ständemehr (eine Mehrheit der Kantone).

Der Initiative stellen der Bundesrat und eine Parlamentsmehrheit einen direkten Gegenvorschlag entgegen.

Dieser beschreibt Mindeststrafen, die ausgesprochen werden mussten, um eine Wegweisung zu rechtfertigen und schlägt einen Integrations-Artikel vor.

Im Nationalrat wurde dieses Begehren in der Schlussabstimmung mit 93 zu 88 Stimmen angenommen, im Ständerat mit 35 zu 6 Stimmen.

(Übertragen aus dem Italienischen: Etienne Strebel)

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