Ausweisung und Abschiebung in Deutschland
Soll die Ausweisungspraxis für kriminelle Ausländer verschärft werden? Die Frage, über die in der Schweiz Ende November abgestimmt wird, wirft in Deutschland keine hohen Wellen. Ein Grund dafür dürfte die deutsche Gesetzgebung sein, die als sehr restriktiv gilt.
In Deutschland erfolgt die Ausweisung straffälliger Ausländer nicht automatisch bei bestimmten Delikten.
Je nach Höhe des Strafmasses muss, soll oder kann ein verurteilter Ausländer ausgewiesen werden.
Wie in der Schweiz wird auch in Deutschland zwischen einer Ausweisung und einer Abschiebung – in der Schweiz «Ausschaffung» genannt – unterschieden.
Während es sich bei der Abschiebung um eine Zwangsmassnahme zum Vollzug einer festgestellten Ausreisepflicht handelt, bei der die betroffene Person ausser Landes geschafft wird, stellt die Ausweisung die behördliche Entscheidung dar, die den rechtmässigen Aufenthalt dieser Person in Deutschland beendet.
In der Umgangssprache und den deutschen Medien werden beide Begriffe nicht konsequent unterschieden und häufig als Synonym verwendet.
Ausweisung und Abschiebung folgen nicht zwangsläufig aufeinander. Personen können abgeschoben werden, ohne vorher ausgewiesen worden zu sein. Direkt abgeschoben werden zum Beispiel häufig Menschen, die sich ohne gültigen Status in Deutschland aufhalten.
Zwingende, Regel- und Ermessens-Ausweisung
Im Gegensatz zur Schweizer Ausschaffungs-Initiative listet der Gesetzestext in Deutschland die Delikte, die zu einer Ausweisung führen, nicht einzeln auf.
Stattdessen sieht das Gesetz je nach Schwere des Deliktes bzw. abhängig von der Höhe des Strafmasses die zwingende Ausweisung, die Ausweisung im Regelfall oder eine Ermessens-Ausweisung vor.
Zwingend ausgewiesen werden Ausländer, die zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sind.
Ausländer, die gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen, d.h. Drogen hergestellt oder mit ihnen gehandelt haben, müssen sogar schon bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung oder zu zwei Jahren Jugendstrafe mit einer zwingenden Ausweisung rechnen. Auch wer wegen Menschenhandel zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wird, muss ausgewiesen werden.
In der Regel ausgewiesen werden Ausländer, die zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren oder einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden sind oder sich der Drogenkriminalität strafbar gemacht haben.
Die Regelausweisung erfolgt ausserdem, wenn der begründete Verdacht auf Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Gruppierung vorliegt. Dieser Punkt ist im Zuge der Anti-Terror-Massnahmen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführt worden.
Bei geringfügigen Vergehen eines Ausländers liegt es im Ermessen der Behörden, ob sie den Betroffenen ausweisen oder nicht. Der Missbrauch von Sozialleistungen führt in Deutschland nicht per se zur Ausweisung.
Ausweisungsschutz und Verbot der Abschiebung
Das Gesetz sieht einen besonderen Schutz vor Ausweisung für Menschen vor, die schon lange in Deutschland leben oder mit einem deutschen Staatsbürger verheiratet sind. Per Gesetz verboten ist ausserdem die Abschiebung in Staaten, in denen das Leben oder die Freiheit der Betroffenen bedroht ist.
Die Gesetzeslage zu Ausweisung und Abschiebung in Deutschland ist erst 2005 verschärft worden. «Das könnte ein Grund sein, warum es derzeit keine nennenswerten Forderungen von rechtspopulistischen Gruppen gibt, die gängige Praxis weiter zu verschärfen», sagt der auf Ausländerrecht spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Thomas Krautzig.
«Ausserdem ist die deutsche Gesetzeslage im europäischen Vergleich ohnehin bereits sehr restriktiv.»
Ausschaffungs-Initiative in deutschen Medien kaum präsent
Die deutsche Öffentlichkeit diskutiert über Ausweisungen indes weit weniger als über Abschiebungen. Thema ist derzeit vor allem die Abschiebung von Roma, nachdem die deutsche und die kosovarische Regierung im April ein so genanntes Rücknahme-Abkommen unterzeichnet haben. Mehr als 13’000 Roma sollen in den nächsten Jahren in den Kosovo abgeschoben werden.
Die Schweizer Ausschaffungs-Initiative ist hingegen noch kaum in den deutschen Medien präsent. Auf dem deutsch-österreichisch-schweizerischen Sender 3sat lief am Vorabend des Nationalen Aktionstages des Komitees «2xNein» am 6. November ein TV-Beitrag, der über die Debatte in der Schweiz und namentlich über das Engagement des Künstlernetzwerks «Kunst und Politik» berichtete.
Artikel zum Thema sind bislang nur auf den Online-Ausgaben der Wochenzeitungen Die Zeit und Der Spiegel sowie in der rechtskonservativen Zeitung Junge Freiheit erschienen.
Während der Autor der Jungen Freiheit vor allem «doppelte Aufklärung» fordert, da es gar nicht so einfach sei, auf dem Stimmzettel zwischen der Volksinitiative und dem Bundesbeschluss zu unterscheiden, fürchten die Autoren der Zeit und des Spiegels vor allem eine erneute Selbstschädigung der Schweiz wie nach der Minarett-Initiative sowie eine Belastung der Beziehungen zur EU, sollte die Ausschaffungs-Initiative angenommen werden.
Ausweisung und Abschiebung sind in Deutschland im Aufenthaltsgesetz geregelt, das als Kapitel 1 des Zuwanderungs-Gesetzes dessen Hauptbestandteil darstellt. Das Zuwanderungs-Gesetz ist seit 1.1.2005 in Kraft und ersetzt das Ausländergesetz.
Laut Migrationsbericht des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration sind im Jahr 2008 insgesamt 8394 Menschen aus Deutschland abgeschoben worden.
Nachdem die Zahl der Abschiebungen Mitte der 90er-Jahre auf mehr als 50’000 pro Jahr angestiegen war, sank sie in den folgenden Jahren wieder. Im Jahr 2007 lag die Zahl der Abschiebungen erstmals seit den 80er-Jahren unter 10’000 pro Jahr.
Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass immer weniger Asylanträge gestellt werden. Von den im Jahr 2008 aus Deutschland abgeschobenen Menschen stammten die meisten aus der Türkei (1062), Serbien und Montenegro (809) und Vietnam (775).
Insgesamt 1833 Menschen wurden von deutschen Behörden gemäss der so genannten Dublin II-Verordnung in dasjenige EU-Land abgeschoben, über das sie in die EU eingereist waren.
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