Baugesuche entfachen Atomkraftwerk-Diskussion neu
Gegen Atomkraftwerke auf Vorrat: Schweizer Medien üben Kritik an den konkurrierenden Stromkonzernen. Würden alle drei projektierten AKW gebaut, schwimme die Schweiz im Strom.
Mit den beiden Gesuchen, welche die Stromunternehmen Axpo und BKW am Donnerstag für zwei neue Meiler in Beznau und Mühleberg einreichten, liegen bei den Behörden in Bern insgesamt drei Vorhaben zur Prüfung auf dem Tisch.
«Neue Atomkraftwerke auf Vorrat», titelt die Basler Zeitung und verweist auf das bereits eingereichte Gesuch für einen Neubau in Gösgen, das die Gesellschaft Atel im Juni deponiert hatte.
«Würde das Atomprogramm so realisiert, könnte die Schweiz 2030 im Strom schwimmen.» Die BaZ rechnet vor, dass die Produktion mit drei neuen Meilern einen Drittel über dem heutigen Gesamtverbrauch liegen würde.
Die drei Unternehmen glaubten jedoch selber nicht, dass sie alles bauen könnten, was sie planten.
Experten für Konzentration
«Branche soll sich auf nur ein AKW einigen», fordert der Tages-Anzeiger. Untermauert wird dies durch zwei Lobbyisten der Stromwirtschaft. Es sei «ein Akt der politischen Vernunft», dem Volk nicht mehr als ein Projekt vorzulegen, wird der freisinnige Ständerat Rolf Schweiger zitiert, Präsident der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik.
Auch der Energiepapst Michael Kohn hielt gegenüber dem Tages-Anzeiger fest, dass nur ein neues Projekt realistisch sei. Die drei Konzerne müssten sich «im höheren Landesinteresse» einigen.
Die Neue Luzerner Zeitung drückt ihre Meinung nicht in einem Kommentar, sondern in einer Karikatur aus. Sie zeigt die beiden Chefs von Axpo und BKW, die gelbe Ballone mit dem Warnzeichen für radioaktive Strahlung in den blauen Himmel loslassen. Aber nicht etwa deren zwei, sondern drei.
Richtig kalkuliert?
«Trois projets de centrales, c’est un, deux ou trois de trop» – Drei neue AKW-Projekte, eines, zwei oder drei zuviel, schreibt 24 heures. Mit ihren Gesuchen hätten Axpo und BKW den Rückstand auf die Atel, die ihr Gesuch bereits im Sommer einreichte, wettgemacht.
Mit ihrer Rechnung, dass von den drei projektierten neuen AKW deren zwei gebaut würden, könnten die Stromkonzerne auch scheitern, so die die Lausanner Zeitung.
Die Unternehmer wüssten aber selber, dass dies angesichts der Schweizer Skepis gegen den Bau neuer AKW eine Maximalvariante darstelle. Dabei stützt sich 24 heures auch auf Moritz Leuenberger. Der Energieminister wolle den Verbrauch senken, dass nur ein neues AKW notwendig werde.
Weder Träume noch Ideologien
«Keine (Alb-)Träume in der Energiepolitik» will die Neue Zürcher Zeitung. Die drei Gesuche widerspiegelten die Konkurrenzsituation der Stromproduzenten. Um aber einen breiten politischen Rückhalt zu erzielen, sei die Einigung auf zwei Projekte notwendig.
Angesichts der Volksabstimmungen über die Rahmenbewilligungsgesuche macht die NZZ einen wieder aufflammenden Widerstand gegen die Atomkraftwerke aus. In linksgrünen Kreisen dominiere bis heute eine dogmatische Ablehnung der AKWs. Dabei würden die Kritiker Fortschritte in der Sicherheitstechnik ignorieren.
Immerhin: Ein Ausbau der alternativen Energieformen müsse freilich seinen Platz in den Perspektiven der Stromversorgung haben, so die NZZ. «Ökonomie wie Ökologie sollen dabei berücksichtigt werden, Ideologien und Träume nicht.»
swissinfo, Renat Künzi
1. Standortabklärung, geschehen (Gösgen, Beznau, Mühleberg).
2. Rahmenbewilligungs-Verfahren (2008). Dauer mind. vier Jahre. Bundesrat und Parlament entscheiden; fakultatives Referendum.
3. Baubewilligungs-Verfahren, ab 2012/2014. Dauer mind. vier Jahre. Einsprachen, letzte Instanz: Bundesgericht.
4. Betriebsbewilligungs-Verfahren, ab 2018. Einsprachen, letzte Instanz: Bundesgericht.
5. Betriebsbewilligung, ca. 2024.
Die drei Stromkonzerne Atel, Axpo und BKW sind Konkurrenten auf dem Strommarkt.
Statt sich abzusprechen, haben sie drei separate Gesuche zum Bau neuer AKW eingereicht.
Würden alle drei Projekte realisiert, ergäbe sich im Jahr 2030 eine Atomstrom-Produktion von 55 Mrd. Kilowattstunden. Das sind mehr als doppelt so viel Atomstrom wie heute.
Zusammen mit dem Strom aus Wasser-, Wind- und Sonnenkraft sowie Biomasse beliefe sich die gesamte Stromproduktion dann zumal auf 95 Mrd. Kilowattstunden.
Der Gesamtverbrauch heute liegt bei gut 60 Mrd. Kilowattstunden jährlich.
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