Behinderte Forschung
Welche wirtschaftlichen und politischen Beziehungen pflegte die Schweiz mit dem Apartheid-Regime in Südafrika? Dieser Frage ist das Nationale Forschungsprogramm "Beziehungen Schweiz-Südafrika" (NFP 42+) nachgegangen.
Der Schlussbericht erhellt ein dunkles Kapitel der jüngeren Schweizer Vergangenheit.
Der Ruf nach Aufarbeitung der Beziehungen der Schweiz zum Apartheid-Regime war nach der Wende in Südafrika 1990 laut geworden. Schweizer Parlamentsmitglieder forderten die Einsetzung eines Expertengremiums nach Vorbild der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg (Bergier-Kommission).
Dies lehnte der Nationalrat im März 1999 aber als unverhältnismässig ab. Er sprach sich dafür aus, den Nationalfonds mit entsprechenden Untersuchungen zu betrauen. Der Bundesrat setzte etwa gleichzeitig eine Arbeitsgruppe unter Botschafter Pierre-Louis Girard ein, die das juristische und politische Umfeld der Beziehungen Schweiz-Südafrika untersuchte.
In ihrem am 1. Oktober 1999 veröffentlichten Bericht zeigte die Arbeitsgruppe auf, wie die Schweiz einerseits die Apartheid moralisch verurteilte, Wirtschaftssanktionen aber nicht mittrug. Dadurch isolierte sie sich international zusehends. Eine derart vorsichtige Haltung lasse sich heute nicht mehr rechtfertigen, hiess es im Bericht.
Aktensperre
Für eine vertiefte Analyse schlug die Arbeitsgruppe Studien im Rahmen eines Nationalen Forschungsprogramms (NFP 42+) vor. Der Bundesrat erteilte daraufhin am 3. Mai 2000 dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) einen entsprechenden Auftrag.
Als übergeordnetes Ziel galt die Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen für eine Beurteilung der schweizerischen Südafrika-Politik. Eine der Rahmenbedingungen für die Forschungsarbeiten war, dass der Zugang zu den Akten der Bundesverwaltung, für die eine Schutzfrist von 30 Jahren besteht, liberal geregelt würde.
Ursprünglich hätten die Arbeiten schon im Frühjahr 2004 beendet werden sollen, doch verzögerte eine vom Bundesrat verfügte Akteneinsicht-Sperre deren Abschluss. Vor dem Hintergrund der Sammelklagen gegen Schweizer Unternehmen unterband die Landesregierung Mitte April 2003 den Zugang zu Südafrika-Akten des Bundesarchivs, sofern darin Namen von Unternehmen enthalten sind. Damit wollte die Landesregierung verhindern, dass schweizerische Unternehmen international benachteiligt würden.
Die Einsichtssperre des Bundesrates in Bezug auf staatliche Akten (Bundesarchiv) kam auf massgeblichen Druck von Banken- und Wirtschaftskreisen zustande. Betroffen von der Sperre waren fünf der insgesamt zehn Projekte. Dies bedeutete für das Forschungsprogramm eine «ernsthafte Störung», wie Georg Kreis, Präsident der Leitungsgruppe des NFP 42+, sagt.
Keine Zensur, aber «zensorisch»
«Die Massnahme des Bundes ist nicht direkt eine Zensur, aber sie hat für mich einen zensorischen Aspekt: Sie erfolgte im Zusammenhang mit dem Druck der Sammelklagen», so Kreis gegenüber swissinfo. «Zensorisch auch, weil es erlaubte, innenpolitisch nicht über die Rolle der Schweiz diskutieren zu müssen.»
Für Kreis handelt es sich um eine Vorenthaltung von Akten in Abweichung der abgemachten Spielregeln bei der Aufgabenvorgabe für das Forschungsprogramm – «und das ist gravierend genug».
Demgegenüber öffnete im Juli 2004 die südafrikanische Regierung Privat- und Staatsarchive für Wissenschafter, so dass dortige Akten für die Forschungsarbeiten ausgewertet werden konnten. Besonders der Historiker Peter Hug, der die militärischen und rüstungsindustriellen Beziehungen untersuchte, konnte davon profitieren.
Für ein vollständiges Bild der schweizerisch-südafrikanischen Beziehungen wäre der uneingeschränkte Einblick in die Akten des Bundes, aber auch von Firmen- und Privatarchiven nötig. Letztere öffneten ihre Archive den Forschenden nicht. Parlament und Bundesrat lehnten es ab, entsprechende Verpflichtungen zu beschliessen.
Zensur in den Departementen?
Die einzelnen Berichte mussten den betroffenen Departementen vorgelegt werden. Selbst der Schlussbericht wurde einer langwierigen Überprüfung unterzogen, bevor er jetzt veröffentlicht worden ist.
Laut der Recherchiergruppe Südafrika wird im Bericht ersichtlich, dass die verschiedenen Departemente offenbar unterschiedlich stark zensuriert hätten.
Der Bericht enthalte sehr interessantes, detailliertes Material zur Politik des Eidg. Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Der im Schlussbericht behauptete dominierende Einfluss des Staatssekretariates für Wirtschaft (seco, früher BAWI) und des Eidg. Finanzdepartementes (EFD) auf die staatliche Südafrika-Politik sei aufgrund der präsentierten Fakten nur in Bruchstücken und indirekten Formulierungen ersichtlich.
In einer Antwort im Jahr 2002 auf eine Anfrage von Nationalrätin Pia Hollenstein hatte die Schweizer Regierung erklärt: «Der Bundesrat ist der Meinung, dass die Berücksichtigung einer möglichst breiten Quellenbasis für eine umfassende und tatsachengerechte Klärung der schweizerisch-südafrikanischen Beziehung von zentraler Bedeutung ist.»
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
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