«Beim Kampfjetkauf geht es auch um Karrieren»
Die Debatte um die Beschaffung neuer Kampfjets schlägt in der Schweiz hohe Wellen. Laut Hans-Ulrich Ernst, dem früheren Generalsekretär des Verteidigungsdepartements, geht es der Schweizer Luftwaffe dabei auch um sich selbst.
Wie bereits 1993 bei der Abstimmung über die von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) eingereichten Volksinitiative gegen den Kauf von 34 F/A-18, die abgelehnt wurde, ist in der Schweiz eine Kontroverse entstanden um den Ersatz der 30-jährigen Tiger.
Vorgesehen war ursprünglich die Beschaffung von 50, dann von 33 neuen Kampfjets. Später sollten es noch 22 Kampfjets für 2,2 Mrd. Franken sein, um die 54 veralteten Tiger-Kampfflugzeuge zu ersetzen.
Bei den Befürwortern stiess Bundesrat Ueli Maurer letzte Woche mit seinem Antrag auf Abbruch des Evaluationsverfahrens auf Unverständnis.
swissinfo.ch: Weshalb braucht die Schweiz überhaupt Kampfjets?
Hans-Ulrich Ernst: Für mich ist das eine Frage des Risikos und nicht der Finanzen. Und das einzig erkennbare Risiko auf eine Vorwarnzeit von 10 bis 15 Jahren ist, das Eindringen eines Terroristen in einen gesperrten Luftraum zu verhindern. Es geht um Luftpolizeiaufgaben wie jene in Davos beim WEF oder während der Euro08. Dafür reichen die 33 FA/18 bei Weitem.
swissinfo.ch: Was macht Sie da so sicher?
H.U.E.: Seit dem 1. September fliegt die deutsche Luftwaffe im Auftrag der Nato Luftpolizei-Missionen über dem Baltikum mit vier Eurofightern. Dieser Luftraum ist mehr als vier Mal so gross wie jener der Schweiz und liegt in einer risikoreichen Region an der Schengen-Aussengrenze zu Russland, Weissrussland und Ukraine.
Nun könnte man einwerfen, der Eurofighter sei moderner als der FA/-18. Doch ab dem 1. November wird diese Mission von einem deutschen Geschwader geflogen, das mit Phantom-Fliegern ausgerüstet ist. Der Phantom ist eine Generation älter als der F/A-18.
Ein anderes Beispiel ist Österreich, das einen zwei Mal so grossen Luftraum wie die Schweiz aufweist. Für die Erfüllung des Luftpolizeiauftrags reichen der österreichischen Luftwaffe 15 Eurofighter.
Bei der Luftpolizei geht es nicht um Geschwindigkeit und Bewaffnung, sondern um den Radar.
swissinfo.ch: Die Schweizer Luftwaffe argumentiert, ohne neue Kampfjets könne die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden.
H.U.E.: Das ist ein schweizerischer Zug, wir sind das bestversicherte Volk der Welt. Wir neigen dazu, uns drei bis vier Mal überzuversichern.
Diese Tendenz sieht man auch bei der Schweizer Armee, die etwa im Vergleich mit Finnland, Schweden oder Österreich viel zu gross ist.
swissinfo.ch: Sie zweifeln damit die Sicherheitseinschätzungen der Schweizer Luftwaffe an.
H.U.E.: Laut den Militärs können für die Lagebeurteilung nicht Absichten interpretiert werden, sondern lediglich Potenziale.
Das führt zu einem exzessiven Worstcase-Denken. Alles, was auf diesem Planeten geschehen ist oder noch geschehen könnte, wird direkt verknüpft mit der Sicherheit der Schweiz.
Aber für die Politik reicht das nicht, da braucht es plausible Szenarien und nicht solche, wie jenes vom heutigen Kommandanten der Luftwaffe, der vor eineinhalb Jahren die Anschaffung neuer Kampfjets mit der zunehmenden Wasserknappheit auf der Erde begründete.
swissinfo.ch: Was sind denn Ihrer Meinung nach die wahren Gründe für die Anschaffung neuer Kampfjets?
H.U.E.: Es geht um Karrieren und rund 200 Arbeitsplätze.
Werden die über 30-jährigen Tiger, die technisch out sind und Haarrisse aufweisen, nicht ersetzt, bedeutet das Stellenabbau bei den Berufspiloten und der Bodenorganisation.
Ich möchte diese Arbeitsplätze nicht gering schätzen, aber das ist ja wohl keine Rechtfertigung für die Landesverteidigung. Viele Unternehmen in der Schweiz müssen im Moment wegen sinkender Nachfrage Stellen abbauen.
swissinfo.ch: Bald wird der neue sicherheitspolitische Bericht erscheinen. Welches sind Ihre persönlichen Empfehlungen für die Schweizer Luftwaffe?
H.U.E.: Bei der Anschaffung neuer Kampfjets muss man die gleiche Überlegung machen wie beim Kauf eines neuen Autos. Kauft man es zu früh, verliert man an Nutzung. Die F/A-18 haben noch eine Lebensdauer von 10 bis 15 Jahren.
Bis die Lebensdauer der F/A-18 abgelaufen ist und damit eine Flugzeugbeschaffung wieder aktuell wird, gibt es vielleicht auch andere Flugzeuge als heute – zum Beispiel unbemannte.
Corinne Buchser, swissinfo.ch
«Die Tiger sind mit 35 Jahren veraltet und müssen jetzt ersetzt werden», sagte John Hüssy, Sprecher der Gesellschaft der Offiziere der Luftwaffe AVIA in der Sendung 10vor10 des Schweizer Fenrsehens.
«Bedrohung ist vielseitig», so Hüssy. Im Fall des World Trade Center habe man auch nicht gewusst, dass aus einem Verkehrsflugzeug eine Bombe werde. Gegen solche Gefahren brauche die Schweiz ein Mittel. «Niemand kann voraussagen, wie sich die Gefahren äussern werden.»
«Die Motivation der Truppen profitiert auch vom neuen Material», ist Hüssy überzeugt. «Neue Jets beflügeln vor allem den Piloten. Ein modernes Flugzeug ermöglicht ihm, seine Mission besser zu erfüllen.»
Die Sicherheitspolitische Kommission (SIK) des Nationalrats empfiehlt dem Bundesrat, die Evaluation eines neuen Kampflugzeugs als Ersatz der Tiger abzuschliessen. Über die Ersatzbeschaffung soll erst nach Vorliegen des neuen Sicherheitspolitischen Berichts entschieden werden.
Aus den Ausführungen von Bundesrat Ueli Maurer habe die Kommission geschlossen, dass Maurer zuerst einen Antrag gestellt habe, der Armee mehr Geld zuzuführen, sagte SIK-Präsident Bruno Zuppiger.
Maurer habe seinen Antrag vor der Kommission damit begründet, dass die Armee so viele andere Aufgaben und Prioritäten zu erledigen habe, dass es für den Tiger-Teilersatz zurzeit kein Geld gebe.
Der von Maurer beantragte Übungsabbruch der Flugzeugbeschaffung sei ein «Hilfeschrei» des VBS an den Bund und die Finanzpolitik, der Armee mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, erklärte Zuppiger im Namen der Kommissionsmehrheit.
In einem Brief fordert die Kommission den Bundesrat auf, die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit die Armee ihren Auftrag erfüllen könne.
Mit 17 zu 8 Stimmen lehnte die SIK die Initiative der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) «Gegen neue Kampfflugzeuge» ab.
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