Berlin für Kauf von illegalen Steuerdaten
Kaufen oder nicht kaufen? Ein Informant bietet den deutschen Behörden Informationen über 1500 Schwarzgeldkonten in der Schweiz an. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich für den Erwerb der Daten ausgesprochen, um Steuerhinterziehung zu ahnden.
Deutschland werde sich in seinem Entscheid auf der Linie der Liechtenstein-Steueraffäre bewegen, sagte Michael Offer, Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen. Zunächst müsse es rechtliche Klarheit geben.
Während die bürgerlichen Parteien noch zögern, befürwortet die Opposition den Kauf der illegalen Daten, um Steuersünder zu überführen.
Am Wochenende wurde bekannt, dass der Wuppertaler Steuerfahndung von einem unbekannten Informanten Unterlagen über 1500 Schweizer Schwarzgeldkonten angeboten wurden.
Laut der Financial Times Deutschland stammen die Daten von der britischen Grossbank HSBC; bei welchem Schweizer Geldinstitut die Konten geführt werden, ist bislang unklar. Ermittler rechnen damit, dass die gestohlenen Daten, für die der Informant 2,5 Millionen Euro verlangt, insgesamt rund hundert Millionen Euro in die deutsche Staatskasse spülen würden.
Aufforderungen von SPD und Grünen
Es sei skandalös, dass in Deutschland jeder Parksünder verfolgt werde, aber nicht die Leute, die bis zu 200 Millionen Euro Steuern hinterziehen, so der sozialdemokratische Parteivorsitzende Sigmar Gabriel.
Auch SPD-Finanzexperten raten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, sich auf den Handel einzulassen. Der deutsche Staat könne es sich nicht leisten, auf 100 Millionen Euro zu verzichten.
«Niemand würde verstehen, wenn Schäuble sich weigert, die Straftäter zu überführen», sagte Nicolette Kressl, finanzpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, am Wochenende. Es dürfe auf keinen Fall Rücksicht genommen werden auf die Wählerklientel von Union und FDP, die in der Regel zu den Besitzern grosser Vermögen zähle.
Grünen-Chefin Renate Künast stösst ins gleiche Horn: Wer Krokodilstränen darüber vergiesse, dass sich der Staat auf einen Handel mit Kriminellen einlasse, wolle nur Rücksicht nehmen auf seine Wählerklientel. Eine effektive Verfolgung der Steuersünder aber diene allen.
«Diebstahl bleibt Diebstahl»
Unterschiedliche Stimmen gibt es bei den Freien Demokraten (FDP). Der Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundestags, Volker Wissing, sprach sich für einen Kauf aus. Zuvor müsse aber geprüft werden, ob diese Daten rechtlich einwandfrei erworben werden könnten.
Otto Fricke, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, sagte hingegen: «Da gilt die alte Regel: Keine Geschäfte mit Kriminellen.»
CDU und CSU lehnen den Erwerb der Daten bislang ab. Allerdings scheinen vor allem die Christdemokraten in der Frage zunehmend gespalten. So sprach sich der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) am Montag im Deutschlandfunk dafür aus, die Steuersünder-CD zukaufen. Der CDU-Politiker betonte, wenn der Staat Hinweise auf Steuerhinterzieher bekomme, müsse er diesen nachgehen. Dies sei eine Frage der Gerechtigkeit.
Unions-Fraktionschef Volker Kauder sieht die Sache anders: «Diebstahl bleibt Diebstahl. Mit Dieben soll sich der Staat nicht gemein machen», so Kauder in der Süddeutschen Zeitung.
Ähnlich äusserte sich Hans Michelbach, Vorsitzender der CSU-Mittelstands-Union, im Bayerischen Rundfunk: Ein Rechtsstaat werde unglaubwürdig, wenn er sich bei der Verfolgung von Steuerhinterziehung zum Hehler mache.
Der Fiskus müsse stattdessen versuchen, mit Hilfe der Schweiz legal an die Daten zu gelangen. Die Schweiz habe ja inzwischen erklärt, dass sie nicht mehr Steueroase sein wolle und zum Austausch von Informationen bereit sei.
Bundesländer haben letztes Wort
Die Deutsche Steuergewerkschaft sieht keinen Anlass, im aktuellen Fall von Hehlerware zu sprechen. Es mache keinen Unterschied, ob der Finanzminister Geld zahle oder die Staatsanwaltschaft für Hinweise zur Ergreifung eines Straftäters Belohnungen auslobe, so der Vorsitzende Dieter Ondracek. Für das spätere Strafverfahren sei unerheblich, wie die Anzeige zustande gekommen sei. Es komme einzig auf die saubere Beweissicherung an.
Die Entscheidung, ob gestohlene Informationen über deutsche Steuerhinterzieher für Ermittlungen herangezogen werden sollen, trifft übrigens der Finanzminister des betroffenen Bundeslands – in diesem Fall Nordrhein-Westfalen – im Einvernehmen mit dem Bundesfinanzminister.
Präzedenzfall Liechtenstein
Derzeit prüft die zuständige Landesfinanzverwaltung die Rechtslage. Man werde in Kürze zusammen mit dem zuständigen Bundesland entscheiden, ob man die Daten erwerbe, so ein Sprecher aus dem Bundesfinanzministerium.
In der so genannten Lichtenstein-Affäre vor zwei Jahren hatte der Bundesnachrichtendienst fünf Millionen Euro für gestohlene Kontodaten gezahlt. Diese führten zu Ermittlungen gegen rund 700 deutsche Steuersünder – unter ihnen der frühere Deutsche Post-Chef Klaus Zumwinkel.
Ein Jahr nach dem Offenlegen der Schwarzgeldkonten flossen 177 Millionen Euro in die Staatskassen nach. Ob der Datenkauf rechtmässig war, wurde von einem Gericht nie geklärt.
Paola Carega, Berlin, swissinfo.ch
Der Schweizer Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat auf die Ankündigung der deutschen Regierung, die gestohlenen Daten von deutschen Steuersündern zu kaufen, mit Ablehnung reagiert.
Die Schweiz leiste in einem solchen Fall keine Amtshilfe, machte Bundesrat Merz seinem deutschen Amtskollegen Wolfgang Schäuble klar.
Die Schweiz sei aber bereit, auf der Grundlage eines neuen Doppelbesteuerungs-Abkommens die Zusammenarbeit in Steuerfragen zu vertiefen.
Schon 2008 hatte die damalige rot-grüne Regierung Deutschlands illegal beschaffte Bankdaten aus Liechtenstein gekauft, die deutsche Steuerflüchtlinge entlarvten.
Bundespräsidentin Doris Leuthard erklärte, dass die Schweiz Mühe hätte, «wenn ein Rechtsstaat illegale Daten verwendet».
Bundesrat Ueli Maurers Vertrauen in Deutschland wäre «erschüttert, wenn sich der deutsche Staat dafür hergäbe».
Die vier Bundesratsparteien FDP, SVP, CVP und SP kritisierten den geplanten Kauf der Daten durch die deutsche Regierung.
Insbesondere wird die Unterzeichnung des Doppelbesteuerungs-Abkommen mit Deutschland in Frage gestellt.
Die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) erwartet von der deutschen Regierung ebenfalls, dass sie auf den Kauf verzichtet. Täte sie dies trotzdem, würde sie zum Hehler von Diebesgut, so die Branchenorganisation.
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