Bern erwartet mehr tamilische Flüchtlinge
Die Regierung von Sri Lanka hat den jahrzehntelangen Bürgerkrieg mit den Tamilen für beendet erklärt. Die Schweiz, seit langem eine Destination der tamilischen Flüchtlinge, erwartet in diesem Jahr eine wachsende Anzahl von ihnen.
Viele in der Schweiz lebende Tamilen haben Verwandte im Norden Sri Lankas.
Es kamen bereits Befürchtungen auf, dass für diese eine Flucht nicht möglich sein wird.
Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapaksa erklärte am Dienstag, das Land sei nach 26-jährigem Krieg zwischen den Regierungstruppen und den Rebellen jetzt von den Tamil Tigers (LTTE) «befreit».
Am Tag zuvor hatte die srilankische Armee mitgeteilt, LTTE-Führer Velupillai Prabhakaran sei getötet worden.
Im Verlauf des Bürgerkrieges, in dem die tamilischen Rebellen für einen unabhängigen Staat im Norden Sri Lankas kämpften, wurden rund 70’000 Menschen getötet.
Die Schweizer Regierung begrüsste in einer Stellungnahme das Ende des bewaffneten Konfliktes und forderte beide Parteien zum politischen Dialog auf. Die srilankische Regierung müsse der humanitären Hilfe für die kriegsversehrte Bevölkerung freien Zugang verschaffen.
Mehr Asylgesuche
Der Konflikt in Sri Lanka hatte bereits Auswirkungen auf die tamilischen Asylgesuche in der Schweiz. Die Anzahl der Gesuche stieg 2008 auf 1282. Im Vorjahr waren es laut Bundesamt für Migration (BFM) noch 636 gewesen.
BFM-Sprecher Jonas Montani erklärte, der Trend werde sich fortsetzen, doch werde es keine «Welle» geben. Jedes Gesuch werde sorgfältig überprüft werden. «Wir werden niemanden in eine Konfliktzone zurückschicken.»
Ein Bericht des Bundesamts für Polizei (Fedpol) vom Dienstag hielt fest, dass die Verschärfung der Konflikte in Sri Lanka sowie in der Türkei und Irak die Gefahr von extremistischer Gewalt in der Schweiz erhöht hätte.
Noch kein Frieden
Für die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), eine Nichtregierungs-Organisation, ist trotz Beendigung des Krieges in Sri Lanka noch kein Frieden in Sicht. Laut SFH sind über 180’000 Menschen aus ihren Häusern im Norden des Landes geflüchtet.
«Unsere grösste Sorge ist, dass es nun zu Vergeltungsaktionen kommen könnte. Die Flüchtlinge leben jetzt in Lagern, die eher Gefängnisse als Camps sind. Diese Camps werden jetzt nach LTTE-Verantwortlichen durchkämmt werden», sagt Rainer Mattern von der SFH gegenüber swissinfo.ch.
Die meisten Menschen seien nicht fähig, aus dem Norden des Landes zu fliehen. «Auch in anderen Teilen Sri Lankas wird die Suche nach LTTE-Verantwortlichen weitergehen, und ich stelle mir vor, dass dort Leute fliehen können und in die Schweiz oder andere Länder kommen werden», so Mattern.
Die SFH appellierte an die Schweizer Behörden, von negativen Entscheiden für tamilische Asylsuchende abzusehen und einen Wegweisungsstopp anzuordnen. «Gefährdete Menschen sollten geschützt werden», sagt Mattern.
Tamilische Gemeinde besorgt
Innerhalb der tamilischen Gemeinde in der Schweiz herrscht grosse Sorge. «Die Tamilen in der Schweiz haben Angst um ihre Verwandten in Sri Lanka. Es wurden auch schon Verwandte von ihnen getötet», sagt der Führer der tamilischen Gemeinde, Anton Ponrajah, gegenüber swissinfo.ch.
Ponrajah, der auch administrativer Direktor des Zentrums für gerechten Frieden und Demokratie in Luzern ist, bezeichnet die Lage im Norden Sri Lankas als «verzweifelt».
Er äussert sich skeptisch zur Rede von Präsident Velupillai Prabhakaran, in der dieser eine Öffnung gegenüber der tamilischen Minderheit für eine friedliche Zukunft in Sri Lanka ankündigte.
«Wir Tamilen in der Schweiz werden dieser Regierung nie glauben, das sie eine politische Lösung des Konflikts will», so Ponrajah.
Hilfe erfordert
Lathan Suntharalingam, sozialdemokratischer Luzerner Kantonsrat tamilischer Herkunft, ist enttäuscht über die Nichtintervention der internationalen Gemeinschaft in einem Konflikt, in dem die Genfer Menschenrechts-Konventionen von beiden Seiten verletzt wurden. Dabei seien sehr viele Zivilisten betroffen worden.
Er habe zahlreiche Telefonanrufe aus der tamilischen Gemeinde erhalten, die ihn um Hilfe gebeten hätten, sagt Suntharalingam gegenüber swissinfo.ch.
Seit den 1970er-Jahren kamen Tamilen in die Schweiz. Sie gelten als fleissig und sind im Schweizer Arbeitsmarkt integriert. Viele haben jedoch unqualifizierte Jobs. Und unter ihnen herrscht nach wie vor ein starkes Gemeinschaftsgefühl.
Neue Flüchtlinge unter Schock
Neue tamilische Flüchtlinge würden wahrscheinlich unter Schock stehen, nach dem Verlust ihrer politischen Stimme durch den Tod von LTTE-Führer Velupillai Prabhakaran, meint Suntharalingam. Sie hätten sich durch die LTTE-Rebellen lange Zeit vertreten gefühlt.
Der Luzerner Kantonsrat tamilischer Herkunft glaubt jedoch, dass sich die neuen Flüchtlinge rasch an das Leben in der Schweiz gewöhnen werden.
Isobel Leybold-Johnson, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)
Ende 2008 lebten 27’721 srilankische Staatsbürger in der Schweiz, davon sind 90 bis 95% Angehörige der tamilischen Minderheit.
Die Tamilen sind eine der grössten Migrantengemeinden in der Schweiz.
Seit 1973 haben über 11’000 Tamilen die Schweizer Staatsbürgerschaft erlangt.
Ein Drittel der Srilanker mit dauerhafter Aufenthaltsbewilligung oder Schweizer Staatsbürgerschaft wurden in der Schweiz geboren.
Die Mehrheit der Tamilen in der Schweiz lebt im deutschsprachigen Teil des Landes, hauptsächlich in den Kantonen Bern, Zürich und Basel.
Die grössten tamilischen Flüchtlingswellen gab es in den 1980er-Jahren.
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