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Bern wird zum «Safe Haven» für Migrant:innen. Aber was bedeutet das?

EIne Person steht vor einer Wand mit Zetteln, auf denen die Namen der Verstorbenen stehen.
Zettel mit den Namen verstorbener Flüchtlinge hängen an der Heiliggeistkirche in Bern (Aufnahme von 2020). Keystone

Die Schweizer Hauptstadt Bern hat sich einem Netzwerk deutscher Städte angeschlossen, die sich zu sicheren Häfen für Flüchtlinge und Migrant:innen erklärt haben - in offener Opposition gegen die nationale Politik.

Die Kanarischen Inseln gelten normalerweise als Urlaubsziel für europäische Tourist:innen. Doch derzeit erleben sie einen Zustrom ganz anderer Art: Im Januar landeten über 7000 Menschen aus Westafrika auf den spanischen Inseln, die nach einer Überfahrt von bis zu 15 Tagen in kleinen Booten ankamen.

Andere starben auf dem Weg. Viele stammten aus dem Senegal, wo es zu Unruhen gekommen ist. Die kanarischen Behörden haben Mühe, mit der Situation fertig zu werden, nachdem sie bereits 2023 einen Anstieg dieser Art von Migration um 150% verzeichnet hatten.

Rund 3500 Kilometer nordöstlich des Geschehens will die Stadt Bern nun helfen. Diese Woche erklärten die Behörden der Schweizer Hauptstadt die Stadt zum «sicheren Hafen», d. h. sie sind bereit, «auf dem Meer gerettete Menschen direkt aufzunehmen und unterzubringen» und generell mehr Flüchtlinge aufzunehmen.

Die Erklärung ist «ein weiterer Schritt in Berns Engagement für eine humanitäre und aktive Asyl- und Flüchtlingspolitik», schreibt die StadtExterner Link.

Was bedeutet das? Da Bern 450 Kilometer von der nächsten Küste entfernt ist, kann es keinen Hafen für Boote öffnen. Es kann auch nicht einseitig mehr Asylbewerber:innen aufnehmen; in der Schweiz entscheiden die Bundesbehörden über die Aufnahme, bevor sie die Bewerber:innen auf die 26 Kantone verteilen.

Gegenüber der Zeitung «Der Bund» räumteExterner Link die Berner Sozialdirektorin Franziska Teuscher ein, dass die Erklärung nichts an den rechtlichen Möglichkeiten ändere. Trotzdem sei es nicht nur ein symbolischer Akt, sagte sie. Vielmehr würden damit die Bemühungen Berns zur Integration und Inklusion von Flüchtlingen gestärkt. «Wir bieten einen sicheren Hafen durch eine ‹Kultur des Willkommens'», sagte Teuscher.

Die Erklärung ist auch ein Mittel, um sich für mehr lokale Macht in der Migrationspolitik einzusetzen, die laut Bern «zu beschränkt» ist. Sie knüpft damit an die «Allianz der Städte und Gemeinden für die Aufnahme von Flüchtlingen» an, eine Initiative der acht grössten Schweizer Städte vom April 2020, die sich gemeinsam bereit erklärten, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als ihnen zugewiesen werden.

Das Zürcher Sozialdepartement schreibt auf seiner WebsiteExterner Link: «Obwohl diese Städte [inzwischen sind es 16] bereit sind, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen, hat der Bund das Angebot leider nicht angenommen». Die Bundesbehörden argumentieren laut der Wochenzeitung WOZ damit, dass der gesetzliche Rahmen dies nicht zulasse.

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«Unhaltbare Zustände»

Als erste Schweizer Stadt, die sich zum «sicheren Hafen» erklärt hat, ist Bern nun über die Grenze hinaus aktiv geworden und hat sich dem Projekt » Seebrücke»Externer Link angeschlossen: Eine deutsche zivilgesellschaftliche Gruppe fordert eine «solidarische Migrationspolitik» und ein Ende der «unhaltbaren Zustände an den europäischen Aussengrenzen». Die Seebrücke versteht sich als Teil einer lokalen «Gegenbewegung» gegen die nationale und europäische Migrationspolitik, schreibt sie.

Als eines ihrer Projekte nennt die Initiative «Sicherer Hafen» acht Ziele für Städte, darunter die Aufnahme von mehr Flüchtlingen, die Vernetzung mit anderen Städten und die Unterstützung von Seenotrettungseinsätzen.

Bis heute hat die Initiative 322 Mitglieder, darunter Grossstädte wie Berlin und München. Bis auf zwei, Salzburg in Österreich und jetzt Bern, sind davon alle in Deutschland.

Konkrete Auswirkungen sind schwer zu messen, aber mehr als die Hälfte der Städte haben nur eines oder zwei der acht Kriterien erfüllt, während keine Stadt alle acht Kriterien erfüllt hat. Das sei vor allem so, weil die Städte durch die nationale Politik an der Aufnahme von mehr Flüchtlingen «gehindert» würden, schreibt die Organisation.

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Finanzierung von Rettungseinsätzen

Doch Städte – und nicht nur die im Seebrücke-Netzwerk – haben in den letzten Jahren auch auf andere Weise gegen die jeweilige nationale Migrationspolitik protestiert.

Im Jahr 2018 öffnetenExterner Link Neapel und Palermo ihre Häfen für Rettungsboote von Migrant:innen, nachdem die italienische Regierung hart durchgegriffen hatte. Städte wie Mailand und Barcelona haben Migrant:innen aufgenommenExterner Link, die als «illegal» eingestuft wurden. Letztes Jahr hat Bern das Mittelmeer-Rettungsboot «Sea-Eye 4» mit 70’000 Franken unterstützt..

Solche Spenden können jedoch auch umstritten sein, da sie humanitäre Rettungseinsätze fördern, die im Widerspruch zur Politik z.B. von Italien oder Libyen stehen, dessen Küstenwache von der Europäischen Union unterstützt wird.

Die von SWI swissinfo.ch kontaktierte Organisation SOS Méditerranée, die solche Rettungseinsätze durchführt, hat sich nicht direkt zu den Bemühungen Berns geäussert. Was die politischen Forderungen betrifft, so bekräftigt der stellvertretende Generaldirektor Elliot Guy, dass SOS Méditerranée «einen koordinierten Rettungs- und Anlandungsmechanismus fordert, um die Zahl der Todesopfer auf See zu verringern und unsere humanitäre Mission zu erleichtern», d.h. die Einrichtung eines «operationellen und effizienten Koordinationszentrums für die Seenotrettung» mit «ausreichenden Luft- und Seeressourcen».

«Das Leid nimmt zu»

Auf europäischer Ebene könnte die Migrationspolitik in der Tat koordinierter werden, aber nicht so, wie es sich die Aktivist:innen wünschen. Kurz vor Weihnachten einigte sich die EU auf einen «Neuen Pakt zu Migration und Asyl», um Verfahren wie die Prüfung von Asylanträgen in der Union einheitlicher zu gestalten.

Der Plan zielt auf mehr Solidarität bei der Verteilung von 30’000 neuen Migrant:innen pro Jahr auf die Mitgliedsstaaten ab, will aber auch die irreguläre Migration eindämmen und die Bearbeitung von Anträgen beschleunigen. Das schliesst Menschen ein, die «auf See aufgegriffen» werden.

Der Pakt wurde von Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International scharf kritisiert, die vor einem «Anstieg des Leids» in den Flüchtlingslagern an den europäischen Aussengrenzen warnenExterner Link.

Auch im Nicht-EU-Land Schweiz stiess das Abkommen auf gemischte Reaktionen. Während der Schweizerische Flüchtlingsrat sich der Kritik von Amnesty anschloss, begrüsste die damalige Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider den «bedeutenden politischen Schritt». Die Migrationsbehörden werden nun prüfen, welche Aspekte der Schweizer Politik an den neuen EU-Ansatz angepasst werden müssen.

Es gibt bereits einige Anzeichen dafür, dass auch die Schweiz ihre Asylpolitik verschärft: Diese Woche bestätigte das Staatssekretariat für Migration (SEM), dass im vergangenen Jahr mehr abgewiesene Asylbewerber:innen als je zuvor in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt wurden, unter anderem dank der Zusammenarbeit mit Regierungen in Ländern wie Algerien. Und erst kürzlich kündigte die Regierung an, sie werde einen Machbarkeitsbericht über die mögliche Ausweisung von Asylsuchenden in Drittstaaten erstellen.

Die Position des sicheren Hafens Bern zu all diesen Verschiebungen scheint klar: Die Stadt beklagt «eine europäische Flüchtlingspolitik, die auf Abschreckung, Abschottung und Wegschauen beruht».

Editiert von Reto Gysi von Wartburg/ts, aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger

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