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Berner Wahlen mit historischer Fussnote

PdA (Logo links) und PNOS steigen kämpferisch in die Berner Grossratswahlen. swissinfo.ch

"Déjà vu" bei den Wahlen ins Berner Kantonsparlament vom 9. April: Es stehen sich auch Rechtsextreme und Kommunisten gegenüber – wie in den 1930er-Jahren.

Die einen provozieren gerne mit Rechtsverletzungen, die andern sind systemkompatibel, so der Politologe Werner Seitz.

Politisch sind weder die rechtsextreme Partei national orientierter Schweizer (PNOS) noch die Partei der Arbeit (PdA) für den Kanton Bern eine ernstzunehmende Konkurrenz für die etablierten Parteien.

Beides sind Nachfolge-Organisationen von Formationen, die zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz verboten worden waren (1940), als Erben der Hitler verherrlichenden Frontisten und der moskautreuen Kommunisten.

Von Hitler abgeschrieben

Die PNOS bekämpft die aktuelle Demokratie als «entartetes System». Ihr 20-Punkte-Programm stammt auch aus der Feder von Bernhard Schaub, einem verurteilten notorischen Schweizer Holocaustleugner.

Für den Schweizer Strafrechtsprofessor Marcel Niggli sind Teile des Parteiprogramms «ein klarer Fall für den Strafrichter». Der deutsche Historiker Michael Schröders entlarvte gar Passagen als praktisch wortwörtliche Plagiate aus dem Programm von Hitlers Nationalsozialistischer Deutscher Arbeiterpartei (NSDAP).

Im Februar nahm die PNOS Retouschen an ihrem Parteiprogramm vor, erklärte aber gleichzeitig, die alten Forderungen nicht abzuschwächen.

Revolutionärer Ansatz

Erklärtes Ziel der PdA dagegen ist die Überwindung des Kapitalismus, an dessen Stelle eine basisdemokratische, klassenlose und gerechte Gesellschaft treten soll.

Der revolutionäre Ansatz wird im Politik-Alltag pragmatisch umgesetzt: Aktuell engagiert sich die PdA stark gegen die Verschärfung des Schweizer Ausländer- und Asylgesetzes.

Stadt und Land

«Die PNOS ist eine Splitterpartei und vorab auf dem Land aktiv. Sie verfügt für die Berner Grossratswahlen nur über zwei Kandidaten und hat überhaupt keine Wahlchancen,» sagt Werner Seitz, Politologe und Leiter der Sektion Politik, Kultur, Medien im Bundesamt für Statistik, gegenüber swissinfo.

Der PdA dagegen, befreit von den stalinistischen Schlacken und vor allem in der Romandie und in den Zentren stark, attestiert der Parteienspezialist gewisse Aussichten. «Der Mitte-Kurs der rot/grünen Stadtregierungen öffnet am linken Rand Möglichkeiten für kleine Splittergruppierungen wie die PdA.» Für ein Mandat im Grossrat dürfte es aber kaum reichen, so Seitz.

Menschenrechte und Rechtsstaat

Den Hauptunterschied zwischen PNOS und PdA macht Seitz in deren Verhältnis zu Menschenrechten und Rechtsstaat aus. «Da setzt sich die PNOS gerne mit Provokationen drüber hinweg.» Die PdA habe sich dagegen seit deren Gründung 1944 immer im Rahmen des Rechtsstaates bewegt.

Übertragen auf den politischen Alltag der PNOS bedeutet dies: Störungen der 1.-Augustfeier auf dem Rütli mit Pöbeleien, Hitlergruss und Hasstiraden. Auf ihr Konto gehen zahlreiche körperliche und verbale Angriffe auf Andersdenkende und Ausländer. Der Staat sanktionierte diese Attacken denn auch mit Verurteilungen von PNOS-Aktivisten.

Wahl-Pannen

Hans Stutz, einer der besten Kenner der rechtsextremen Szene in der Schweiz, dazu: «Offiziell distanziert sich die PNOS – wie alle anderen Parteien auch – von der Gewalt. Allerdings bewegen sich die PNOS-Aktivisten als Rechtsextremisten in einem gesellschaftspolitischen Umfeld, in dem Gewalt gegen missliebige Personen akzeptiert ist.»

Die Schweizer Medien reagierten irritiert, als zwei PNOS-Vertreter in den Kantonen Bern und Solothurn den Sprung in politische Ämter schafften. «Betriebsunfälle», beschwichtigt Seitz. «Die Gruppierung ist zwar präsent, in politischen Institutionen aber zur Erfolglosigkeit verurteilt.»

Praktisch integriert

Anders sieht es bei der PdA aus: Zwei Westschweizer Vertreter, ein Theologe und eine Ärztin, sitzen im Nationalrat. Vorab der Waadtländer Josef Zisyadis hat sich zu einer Stimme entwickelt, die im linken Lager und in der Westschweiz Gewicht hat.

In Genf und der Waadt haben die Neo-Kommunisten Sitze in Kantons- und Gemeinde-Exekutiven errungen. Die Uhrmacherstadt Le Locle im Neuenburger Jura ist gar traditionell in PdA-Hand.

Seitz Folgerung: «Die PdA ist eine durchaus systemkompatible Partei, ganz klar am linken Rand, aber nicht extrem im Sinne von chronischen Gesetzesübertretungen, bei denen Menschen gekränkt und beleidigt werden.»

Unterschiedliche Bildungsschichten

In der Stadt Bern sitzt eine PdA-Vertreterin im Stadtparlament. Jetzt versuchen die Neo-Kommunisten den Sprung ins Kantonalparlament. Die Kandidierenden, unter anderem ein Universitäts-Professor, ein Anwalt und eine soziokulturelle Animatorin, repräsentieren ein hohes Bildungsniveau.

Anders sieht es bei der PNOS aus: «Deren Vertreter sind meist in handwerklichen Berufen tätig, und haben – abgesehen von der Berufsbildung – keine Schulbildung, die über die obligatorische Schulzeit hinausgeht», charakterisiert Hans Stutz.

swissinfo, Renat Künzi

Die PdA: Gegründet 1944. Vorgängerin: Kommunist. Partei der Schweiz.

Ziel: Überwindung des Kapitalismus; klassenlose, internationalistische Gesellschaft.

Die PdA agiert systemkonform.

Die PNOS ging im September 2000 aus der äusserst brutalen Skinhead-Gruppe «Blood & Honour» hervor.

Zwei PNOS-Vertreter wurden in den Kantonen Bern und Solothurn in lokale politische Behörden gewählt.

Die PNOS erklärt sich für gewaltfrei. Der Schweizer Staatschutz hält diesen Gewaltverzicht für strategisch.

Zahlreiche PNOS-Aktivisten wurden wegen körperlichen und verbalen Attacken auf Ausländer und Andersdenkende verurteilt.

Am 9. April 2006 finden in Bern Wahlen ins Kantonsparlament (Grossrat) statt.
Erstmals sind nur noch 160 statt wie bisher 200 Sitze zu vergeben.
Es ist eine Proporz- oder Verhältniswahl: Die Sitze werden nach Anteile der Kandidaten- und Parteistimmen verteilt.
Bei der Wahl treffen erstmals seit den Zeiten des Zweiten Weltkriegs Vertreter der Rechtsextremen (PNOS) und der Kommunisten (PdA) aufeinander.

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