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Bilaterale II auf der Zielgeraden

Die Schweiz und die EU haben sich nach langen Verhandlungen geeinigt. Keystone

Knapp drei Jahre nach Beginn ist der Abschluss der zweiten bilateralen Verhandlungen Schweiz-EU in Griffweite gerückt. Die EU-Botschafter einigten sich auf eine gemeinsame Position.

Damit sollte dem Gipfeltreffen zwischen der Schweiz und der EU nichts mehr im Weg stehen.

«Am Mittwoch können wir nach Brüssel fahren und auf der Basis der Resultate der 25 Botschafter einen Abschluss finden», freut sich Bundespräsident Joseph Deiss. «Das ist für uns eine grosse Befriedigung.»

Beim Gipfeltreffen zwischen der EU und der Schweiz am kommenden Mitwoch, sollen die bilateralen Verhandlungen offiziell abgeschlossen werden.

Der Bundesrat wird sich bereits am Montag an einer Sondersitzung mit dem Verhandlungsergebnis befassen. Offen ist, in welcher Form die Verträge dem Parlament unterbreitet werden, ob als Paket oder als Einzelabkommen.

EU-Aussenminister beschliessen definitiv

Gemäss dem von den EU-Botschaftern genehmigten Kompromiss-Vorschlag soll die Schweiz bei der Rechtshilfe im Fall von Steuerhinterziehung eine Ausnahmeregelung erhalten.

EU-Länder wie Luxemburg sollen dabei künftig nicht schlechter gestellt werden und denselben Regeln unterliegen. Wie es weiter hiess, stimmten Frankreich und die Niederlande dem Kompromiss nur mit grossen Bedenken zu.

Die EU-Position muss noch definitiv von den EU-Aussenministern beschlossen werden. Diese werden sich am Montag in Brüssel treffen. Laut einem Diplomaten gibt es noch einige Restbedenken technischer Art, die aber eine Zustimmung der Minister nicht verhindern sollten.

Eine Einigung gab es bei den neun Dossiers der Bilateralen II, bei der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitgliedländer, bei den Re-Exporten sowie grundsätzlich beim Schweizer Kohäsionsbeitrag für die Entwicklung der ärmeren EU-Regionen.

Verzögerungen wegen Referndumfsrist?

Das Schweizer Hauptaugenmerk lag in verschiedenen Dossiers beim Bankgeheimnis, das bestehen bleiben soll. Während bereits 2003 eine Lösung bei der Zinsbesteuerung gefunden worden war (Quellensteuer), sollte nun nicht im Schengen-Dossier eine Aufweichung erfolgen.

Konkret wollte die Schweiz bei der möglichen Ausweitung der Justizkooperation auf Steuerhinterziehung nicht mitmachen. Die EU gewährte der Schweiz nun eine unbefristete Ausnahme. Luxemburg stimmte nur unter der Bedingung zu, dass seinem Finanzplatz ebenfalls Konzessionen zugestanden werden.

Die nun rasch erfolgte Einigung hatte primär mit EU-internem Druck zu tun: Die Europäische Union wollte die Zinsbesteuerung unbedingt auf Anfang 2005 in Kraft setzen. Die Schweiz hatte ihre Zustimmung jedoch von einem Abschluss bei den gesamten bilateralen Verhandlungen abhängig gemacht.

In der Schweiz können die Verträge der bilateralen Verhandlungen II möglicherweise nicht schon Anfang 2005 in Kraft gesetzt werden. Bundespräsident Josef Deiss geht davon aus, dass die Verträge nicht vor September 2004 dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt werden können, wie er ausführte.

Würden die Referendumsfristen eingehalten, werde es nicht möglich sein, Anfang nächsten Jahres vollkommen bereit zu sein, sagte er. Ob damit alle neun im Rahmen der Bilateralen II ausgehandelten Verträge erst mit Verzögerung in
Kraft gesetzt werden könnten, ist noch offen.

Parteien reagieren mehrheitlich positiv

Man habe mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass die EU einem Abschluss der Verhandlungen auf der Basis der am 26. April auf Unterhändlerstufe gefundenen Lösungen zustimme, sagte Adrian Sollberger, Sprecher des Integrationsbüros, auf Anfrage.

Die Einigung bedeute einen ersten Schritt zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU, erklärte Béatrice Wertli, Sprecherin der Christlichdemokratischen Volkspartei.

«Eine gute Nachricht», kommentierte auch der Sprecher der Freisinnigen, Christian Weber. Jubeln wollten die Freisinnigen aber nicht, bevor sie die Verträge im Detail gesehen hätten.

Für den Präsidenten der Sozialdemokraten, Hans-Jürg Fehr, ist das Ende des vom Volk gewünschten bilateralen Weges der Schweiz in Sichtweite gekommen. Es sei nun an der Zeit, das auf Eis gelegte Beitrittsgesuch der Schweiz zur EU wieder zu reaktivieren, «damit das Volk nach einem erneut Jahre dauernden Prozess darüber befinden kann».

Die Schweizerische Volkspartei sei wenig zuversichtlich, erklärte Parteipräsident Ueli Maurer. Nach derzeitigem Wissensstand müsse die Schweiz mit den Bilateralen II mehr geben, als sie bekomme. Detailauskünfte zum Vertragswerk habe man vom Bundesrat allerdings bisher nicht erhalten, kritisierte Maurer.

swissinfo und Agenturen

Das erste Paket der Bilateralen trat am 1. Juni 2002 in Kraft. Die umfassenden Verhandlungen um die zweite Runde begannen zwei Wochen später, am 17. Juni 2002.

Knackpunkt der Verhandlungen waren Dossiers, bei denen die Schweiz um ihr Bankgeheimnis fürchtete: Zinsbesteuerung und Rechtshilfe bei Steuerhinterziehung.

Die Schweiz will sich mit 1 Mrd. Franken am Kohäsionsfonds beteiligen und den Arbeitsmarkt für Personen aus den neuen EU-Ländern öffnen.

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