Bilaterale Verträge bleiben Kern der Europapolitik
Der Bundesrat setzt weiter auf die bilateralen Verträge mit der EU. Mittelfristig betrachtet er sie als besten Weg, die diplomatischen und wirtschaftlichen Interessen der Schweiz zu wahren.
Die Regierung hat ihren Europabericht 2006 am Mittwoch dem Parlament übergeben. Kritik kam sowohl von Anhängern eines EU-Beitritts wie aus isolationistischen Kreisen.
Der Bundesrat setzt weiter auf die Verträge mit der Europäischen Union (EU). Solange die Schweiz ausreichend mitreden könne, müsse die Strategie nicht geändert werden.
Seinen Europabericht 2006 hat der Bundesrat am Mittwoch genehmigt und dem Parlament zugeleitet.
Wirtschaftsminister Joseph Deiss und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey sagten, sie erhofften sich nun eine fundierte Debatte über das Verhältnis Schweiz-EU.
Alleingang ausgeschlossen
Im Bericht werden im Sinn einer Auslegeordnung fünf Optionen dargestellt. Sie reichen vom Ausbau des bilateralen Netzwerks über eine Zollunion, einen multilateralen Ansatz vom Typus EWR und eine differenzierte Integration bis zum EU-Beitritt. Die einzige Option, die ausgeschlossen sei, sei der Alleingang, sagte Calmy-Rey.
Der Bericht analysiert die Auswirkungen der Instrumente der Europapolitik auf rund 20 Schlüsselthemen wie direkte Demokratie, Föderalismus, Neutralität, Arbeitsmarkt, Finanzen, Steuerwesen, Infrastrukturpolitik und Wirtschaftspolitik. Er will damit den Bürgerinnen und Bürgern Antwort auf ihre häufigsten Fragen geben.
Kurz- und mittelfristig geht es dem Bundesrat in der Europapolitik darum, die bestehenden bilateralen Abkommen so effizient wie möglich umzusetzen und abzusichern. Die vertraglichen Beziehungen seien zu vertiefen und um neue Verhandlungsgegenstände anzureichern.
Gemischte Reaktionen
Die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) hätte sich vom Bundesrat gewünscht, dass sich dieser entschiedener hinter den bilateralen Weg stellt, umso mehr als dieser durch mehrere Abstimmungen gefährdet sei.
Diese Ansicht teilt die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP). Sie bedauert, dass der Bundesrat nicht sage, wie er den bilateralen Weg innenpolitisch verteidigen wolle.
Die Sozialdemokratische Partei (SP) wirft dem Bundesrat vor, zu wenig mutig zu sein und keine Beitrittsdebatte zu lancieren. Auch die Grünen würden einen EU-Beitritt dem bilateralen Weg vorziehen. Nur ein Vollbeitritt erlaube es der Schweiz, Europa als echte Partnerin mitzugestalten.
Die Schweizerische Volkspartei (SVP) ist dagegen überzeugt, dass der Bundesrat wie schon in der Vergangenheit zu einem EU-Beitritt tendiere. Obwohl er im Bericht schreibe, dass die Interessen der Schweiz im Mittelpunkt stehen sollten, sei dies nicht der Fall. Die Schweiz bezahle teuer für jede Annäherung an die EU.
Zurückhaltung in Brüssel
Die EU-Kommission äusserte sich bis anhin nicht offiziell. Wie in Brüssel aber verlautete, wurde der Bericht nach einem ersten Augenschein positiv gewertet. Alles, was zur Versachlichung beitrage, sei zu begrüssen, sagte ein Kenner der Materie.
Die Kantone wollen ihre europapolitische Standortbestimmung bis Ende Jahr vornehmen, wie die Konferenz der Kantonsregierungen mitteilte. Zuvor werde man den Bericht analysieren.
swissinfo und Agenturen
Schweizer Exporte in die EU: über 80 Mrd. Franken pro Jahr (60% der gesamten Exporte).
Importe aus der EU: gegen 110 Mrd. Franken (80% der gesamten Importe).
Schweizer Unternehmen in der EU beschäftigen 850’000 Personen.
Gegen 60% der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz kommen aus der EU, das sind über 900’000 Personen.
60% der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer leben in einem EU-Land, das sind mehr als 380’000 Personen.
Seit dem Nein des Schweizer Stimmvolks 1992 zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) hat die Schweiz den bilateralen Weg mit der EU aufgenommen.
Ein erstes Paket mit Abkommen in 7 Bereichen, darunter der freie Personenverkehr, ist seit 2002 in Kraft.
Ein zweites Paket, das 2004 unterzeichnet wurde, betrifft die Beteiligung der Schweiz am Schengen-Dublin-Raum in Bezug auf die Kriminalität und die Kontrolle der Flüchtlingsströme.
Die nächste Etappe der Bilateralen betrifft den Strommarkt und die Beteiligung am Satelliten-Navigationssystem Galileo.
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