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Biodiversitätsinitiative: Wichtig für den Naturschutz oder zu extrem?

Ein Schwan in einem Flussdelta
In der Schweiz sind laut dem Bundesamt für Umwelt die Hälfte der natürlichen Lebensräume und ein Drittel der Arten bedroht. Keystone / Patrick Hürlimann


Am 22. September stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über die Biodiversitätsinitiative ab. Das Volksbegehren fordert mehr Raum und mehr Geld für die Natur. Ein breites Bündnis bekämpft die geplante Verfassungsänderung und bezeichnet sie als unnötig.

Die Schweiz verliert wie andere Länder der Welt immer mehr an Biodiversität. Die Hälfte der Lebensräume und ein Drittel der Arten sind hierzulande gefährdet.

Gemäss dem Bundesamt für Umwelt (Bafu) ist dieser Trend in der Schweiz noch ausgeprägter als in den meisten anderen europäischen Ländern.

Um dem Verlust der Artenvielfalt entgegenzuwirken, haben Natur- und Umweltschutzverbände die eidgenössische Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft»Externer Link eingereicht, die am 22. September an die Urne kommt.

Was will die Biodiversitätsinitiative?

Die Volksinitiative will die Kantone und den Bund mit einem neuen Verfassungsartikel dazu verpflichten, Natur, schutzwürdige Landschaften, Ortsbilder und Kulturdenkmäler besser zu schützen.

Die öffentliche Hand soll mehr Flächen und finanzielle Mittel für die Erhaltung und Förderung der Biodiversität zur Verfügung stellen. Der Text enthält jedoch keine Zahlen.

Wie steht es um die Biodiversität in der Schweiz?

Die Schweiz verfügt durch ihre Lage über günstige Voraussetzungen für eine hohe Biodiversität. Dennoch hat die Artenvielfalt seit 1900 deutlich abgenommen.

Rund 35% der untersuchten Pflanzen-, Tier- und Pilzarten gelten heute als gefährdet, weitere 12% als potenziell gefährdet, wie der Biodiversitätsbericht 2023 des Bafu zeigt.

«Für fast die Hälfte aller in der Schweiz bewerteten einheimischen Arten ist die Situation kritisch», fasst das Bafu zusammen. Zudem sind 48% der Lebensräume gefährdet und 13% potenziell gefährdet.

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Die Schweizer Behörden, die Wissenschaft, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und die Europäische Umweltagentur (EEA) stellen fest, dass die bisher getroffenen Massnahmen teilweise wirksam sind, aber nicht ausreichenExterner Link, um das Verschwinden von Lebensräumen und Arten zu stoppen.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Katy Romy

Welche Massnahmen sollten ergriffen werden, um die Biodiversität in Ihrem Land zu erhalten?

Die Biodiversitäts-Initiative: Sie ist für die Gegnerinnen und Gegner zu extrem und für die Befürworterinnen und Befürworter unverzichtbar.

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Was würde die Umsetzung der Initiative kosten?

Das Initiativkomitee fordert, dass der Bund mehr finanzielle und personelle Ressourcen zur Stärkung der Biodiversität zur Verfügung stellt. Es schlägt aber keine konkreten Massnahmen vor, um diese Forderungen zu erfüllen.

In der Botschaft zur InitiativeExterner Link hält der Bundesrat deshalb fest, dass die konkreten finanziellen Auswirkungen der Initiative auf die öffentliche Hand nicht genau bestimmt werden können.

Die Regierung geht aber davon aus, dass die Umsetzung der Initiative für den Bund Mehrkosten von mindestens 215 Millionen Franken verursachen wird.

Was sind die Argumente für die Initiative?

Die Biodiversität in der Schweiz ist in einem unbefriedigenden Zustand, und die bereits getroffenen Massnahmen reichen nicht aus, um den Rückgang zu stoppen, wie die Regierung einräumt. Das Initiativkomitee will Bund und Kantone verpflichten, mehr zu tun.

Es erinnert daran, dass die Biodiversität «unsere Lebensgrundlage» ist und dass zu ihrer Erhaltung Massnahmen in Bezug auf Fläche, Qualität und Vernetzung der Lebensräume getroffen werden müssen.

Falls wir nicht handeln, werde das Artensterben astronomische Kosten verursachen, warnen die Verbände, die den Text initiiert haben. Die Verluste könnten sich in der Schweiz bis 2050 auf 14 bis 16 Milliarden Franken belaufen, zitieren sie Schätzungen des Bafu.

Eine vielfältige Natur könne den negativen Folgen des Klimawandels besser entgegenwirken, betonen die Initiantinnen und Initianten.

Was sind die Argumente gegen die Initiative?

Die Gegnerinnen und Gegner bezeichnen die Initiative als «extrem und wirkungslos». Sie sind der Meinung, dass die bestehenden Gesetze ausreichen, um die Biodiversität zu fördern.

Das Komitee, das die Initiative ablehnt, ist der Ansicht, dass sie etwa 30% des nationalen Territoriums unantastbar machen würde. Dies würde die Nahrungsmittelproduktion einschränken und die Produktion erneuerbarer Energien behindern.

In den Augen der Gegnerinnen und Gegner stünden diese Massnahmen im Widerspruch zur Volksabstimmung vom 9. Juni über das Stromversorgungsgesetz, das gerade die grünen Energien fördern will. Die Ausdehnung der Waldflächen würde auch der Holzwirtschaft schaden.

Der Bundesrat teilt zwar die Anliegen der Initiantinnen und Initianten, ist aber der Ansicht, dass ihr Text zu weit geht. Der Bundesrat kritisiert besonders, dass der Handlungsspielraum von Bund und Kantonen zu stark eingeschränkt werde. Die Umsetzung des Gesetzes könnte zu erheblichen Zielkonflikten mit der Energie- und Landwirtschaftspolitik führen.

Der Bundesrat anerkennt jedoch den Handlungsbedarf und hat einen Gegenvorschlag zur Initiative ausgearbeitet. Dieser berücksichtigte auch die energiepolitischen Ziele des Bundesrats.

Der Gegenvorschlag konnte das Parlament jedoch nicht überzeugen und wurde abgelehnt. Somit kommt am 22. September nur die Initiative zur Abstimmung.

Wer ist dafür, wer dagegen?

Sieben Natur- und Umweltschutzorganisationen tragen die Initiative, darunter Pro Natura, der Schweizer Heimatschutz und Birdlife. Nur die Grünen und die Sozialdemokratische Partei (SP) unterstützen sie, während die Grünliberale Partei (GLP, Mitte) gespalten ist.

Regierung und Parlament empfehlen, die Initiative abzulehnen. Gegen das Volksbegehren hat sich eine breite Allianz gebildet. Dazu gehören die wichtigsten Parteien der Rechten und der Mitte, die Schweizerische Volkspartei (SVP / rechtskonservativ), die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP / rechts) und Die Mitte.

Die Landwirtschaft, vertreten durch den Schweizerischen Bauernverband, gehört ebenso zur Gegnerschaft der Volksinitiative, wie auch die Schweizer Wirtschaftsverbände.

Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub

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