Biometrische Pässe: Ausgang bleibt offen
In der zweiten repräsentativen Umfrage zur Abstimmung vom 17. Mai haben die Ja-Stimmen zu den biometrischen Pässen leicht zugenommen. Trotzdem bleibt die Ausgangslage offen. Viel klarer steht es um die Komplementärmedizin: Über zwei Drittel sagen Ja.
Wäre Ende April über die beiden Vorlagen befunden worden, hätten 49% der Befragten klar oder eher Ja gesagt zur Einführung biometrischer Pässe. Das sind 2% mehr als bei der ersten Umfrage vor vier Wochen.
Die Komplementärmedizin wäre von 69% (+2%) mehr oder weniger klar gutgeheissen worden. Damit zeichnet sich in der zweiten und letzten Umfrage vor der Abstimmung vom 17. Mai kein neuer Trend ab.
In Sachen Biometrie-Pass ist für Studienleiter Claude Longchamp vom Institut gfs.bern, das die Umfrage im Auftrag der SRG SSR idée suisse durchführt, der Ausgang des Urnengangs nach wie vor offen. «Das bedeutet aber nicht, dass das Resultat knapp sein muss, lediglich, dass noch alles möglich ist.»
Datenbank und Reisefreiheit
Auffällig sei das geringe Interesse der Wählerschaft für die umstrittene Einführung biometrischer Pässe. Das stehe im Widerspruch zum starken Interesse in den Medien, welche ausführlich über Sicherheitsfragen des Passes mit biometrischen Daten geschrieben hätten.
Laut der SRG-Umfrage hatte dies jedoch kaum Einfluss auf die öffentliche Meinung. «Die Mehrheit der Befürworter bleibt überzeugt davon, dass das neue Dokument sicher ist. Auch auf der Nein-Seite gebe es mehrheitsfähige Argumente, so Longchamp. So etwa der Überwachungsstaat, die Kosten oder die Verletzung der Privatsphäre.
Unentschlossene stünden bei dieser Vorlage vor einem Dilemma. «Sie müssen entscheiden zwischen dem Schnüffelstaat und dem Wunsch nach Reisefreiheit.»
Die Kraft der Grünen
Erstmals wurde der Abstimmungskampf von der Grünen Partei dominiert. «Sie ist die Partei, die ihre Mitglieder am besten mobilisieren konnte. Ein Phänomen, das auch bei der anderen Vorlage, der Komplementärmedizin, beobachtet werden konnte», so das Fazit des gfs-Teams.
Das sei ein unübliches Szenario, denn die Mobilisierung der Wählerschaft durch die Regierungsparteien sei normalerweise grösser. Grund für diese Entwicklung könnte sein, so der Politologe, dass beim biometrischen Pass nur das Departement von Eveline Widmer-Schlumpf betroffen sei. Sie sei auch als Einzige aktiv geworden. Und die Justizministerin habe keine grosse Partei im Rücken.
Und auch wenn die Parteispitzen der beiden grossen Parteien SP und SVP sich gegen die Einführung biometrischer Pässe ausgesprochen haben, finden sich an deren Basis keine gesicherten Mehrheiten.
Ein weiteres neues Phänomen sieht Claude Longchamp in der Kampagne via Internet, was Wirkung bei den Jungen, bei der Facebook-Generation, zeige. Traditionelle Mittel wie Inserate und Plakate seien hingegen rar. Dies verstärkt laut dem Studienleiter den Eindruck, dass der Abstimmungskampf vor allem im Internet stattfinde.
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Komplementärmedizin fast unumstritten
Während die Vorlage über die biometrischen Pässe also noch in der Schwebe ist, scheint beim Verfassungsartikel «Zukunft mit Komplementärmedizin» mit einem Ja-Stimmen-Anteil von knapp 70% die Lage weit komfortabler.
«Die grosse Unterstützung für dieses Anliegen bei Anhängern quer durch alle Parteien – auch innerhalb der SVP, welche die Vorlage bekämpft – widerspiegelt die Individualisierung der helvetischen Gesellschaft», sagt der Politologe.
Entscheidend sei hier, dass jeder Einzelne frei über seine eigene Gesundheit entscheiden wolle. Medizinisch-wissenschaftliche, aber auch politische Argumente hätten keinen Einfluss. «Und die Wählerinnen und Wähler wollen reinen Tisch machen. Sie wünschen sich, dass das Problem ein für alle Mal gelöst wird, das heisst, dass die Komplementärmedizin wieder Teil der Grundversicherung wird.»
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Die eher lahme Mobilisierung der Wählerschaft hat laut dem Forschungsinstitut auch mit den Kapazitäten der Parteien zu tun: «Wichtigste Abstimmung in diesem Jahr war jene über den freien Personenverkehr im Februar, hier haben die Parteien ihre Kräfte investiert.» Und jetzt stünden andere Themen im Mittelpunkt, so die Wirtschaftskrise, welche die Politik dominiere, sagt Longchamp.
Dazu komme, dass die beiden Abstimmungsvorlagen vom 17. Mai wenig Anlass zur Polarisierung bieten würden, geschweige denn gross Emotionen weckten. «Die Einzigen, die sich aufregen, sind die Sicherheitsexperten», meint der Experte.
Gaby Ochsenbein und Sonja Fenazzi, swissinfo.ch
Biometrische Pässe:
49% (47%) Ja, davon 31% (25%) bestimmt Ja und 18% (22%) eher Ja
37% (39%) Nein, davon 24% (22%) bestimmt Nein und 13% (17%) eher Nein
14% (14%) sind unschlüssig
Komplementärmedizin:
69% (67%) Ja, davon 55% (46%) bestimmt Ja und 14% (21%) eher Ja
19% (15%) Nein, davon 11% (7%) bestimmt Nein und 8% (8%) eher Nein
12% (18%) sind unschlüssig
Stimmbeteiligung:
Lediglich 40% (35%) der Befragten wollen an die Urne gehen.
Für die zweite Umfrage zu den Abstimmungen vom 17. Mai 2009 befragte das Institut gfs.bern 1216 Stimmberechtigte aus der ganzen Schweiz.
Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer wurden nicht befragt.
Die telefonischen, sprachregional gewichteten Befragungen fanden zwischen dem 27. April und dem 2. Mai 2009 statt (Stichtag 29. April).
Der Stichprobenfehler liegt bei +/- 2,9%.
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