Blocher sorgt erneut für Ärger im Bundesrat
Ohne Rücksprache mit dem Gesamtbundesrat lud Justizminister Christoph Blocher Vertreter von Moslem-Organisationen für den Dienstag zu einem Treffen ein. Thema: Sicherheit und Integration von Ausländern.
Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey und Innenminister Pascal Couchepin fühlen sich vor den Kopf gestossen. Sich in Integrationsfragen ausschliesslich an eine Glaubensgemeinschaft zu richten, sei falsch und gefährlich.
Bundesrat Christoph Blocher wird am kommenden Dienstag mit verschiedenen Vertretern von muslimischen Organisationen in der Schweiz zusammentreffen.
Dabei würden Diskussionen zu den Bereichen Integration und Sicherheit geführt, bestätigte Livio Zanolari, Sprecher im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD), einen Zeitungsbericht.
So gehe es darum, ob und in welcher Form der Prozess der Integration der Ausländer auf Bundesebene weitergeführt werden könne. Das Treffen entspreche einem Bedürfnis sowohl der muslimischen Organisationen als auch der Verwaltung, sagte Zanolari.
Es soll nicht in den Kompetenzbereich der Kantone oder anderer staatlicher Einrichtungen eingreifen.
Kritik an Blochers Alleingängen
Doch Innenminister Pascal Couchepin und Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey stösst das geplante Treffen sauer auf. Couchepin will deshalb am kommenden Mittwoch an der Bundesratssitzung eine Integrationsdiskussion verlangen.
Bereits im vergangenen Oktober hatte der Bundesrat Blochers Alleingang in Ankara, was seine Kritik an der Antirassismus-Strafnorm betrifft, gerügt. Eine weitere Kritik rief im Januar Blochers Entscheiden rund den Abgang von Bundesanwalt Valentin Roschacher hervor.
Über das kommende Treffen zwischen dem SVP-Bundesrat (Schweizerische Volkspartei) und Vertretern muslimischer Vereine sei der Gesamtbundesrat nicht informiert gewesen, sagte Couchepin am Freitag in Zeitungsinterviews.
Ausländerintegration nicht bloss Justizfrage
Blocher hätte seine Kollegen vor der Einladung kontaktieren müssen, denn Integrationsfragen seien nicht allein Sache des Justizministers, sondern gingen auch andere Departemente an.
Deshalb werde er an der nächsten Bundesratssitzung «veranlassen, dass wir alle sieben über diese Sache diskutieren».
Integration und Religion trennen
Er selber habe eine andere Haltung in der Integrationsfrage als Blocher, sagte der Freisinnige Couchepin. Aus seiner Sicht sei es verfehlt, Muslime in der Schweiz als eine Glaubensgemeinschaft behandeln zu wollen.
«Wer für Muslime Sonderbehandlungen plant, wer sie in eine Ecke drängt und rigide Vorschriften macht, der schafft möglicherweise neue Probleme – statt bestehende zu lösen.» Integrationsfragen sollten nicht mit der Religion verknüpft werden. Es gehe vielmehr um die Frage, wie Leute anderer Nationalitäten am besten integriert werden könnten.
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Kollegialität
Gefahr der Stigmatisierung
Ähnlich reagierte Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Im Zusammenhang mit Integration nur auf eine religiöse Gemeinschaft, die Moslems, zu fokussieren, beinhalte die Gefahr der Isolation.
Zudem erhöhe dieses Vorgehen das Risiko der Stigmatisierung, sagte die sozialdemokratische Bundesrätin.
Damit dürften neben Blochers formellem Faux-pas, ein Moslem-Treffen zu organisieren, ohne seine Kolleginnen und Kollegen zu informieren, am kommenden Mittwoch inhaltliche Fragen im Zentrum der Diskusion im Bundesrat stehen:
Müssen Integrationsfragen losgelöst von der Religion behandelt und gelöst werden? Definieren sich Ausländer in der Schweiz allein über ihre Nationalität?
Und: Ist es politisch klug und zulässig, dass bestimmte religiöse Gemeinschaften eine Sonderbehandlung durch die Landesregierung erhalten? Auf die Diskussion darf man gespannt sein.
swissinfo und Agenturen
Vier von sieben Eidgenössischen Departementen erklären sich für in der Schweiz lebende Ausländer zuständig. Weshalb?
Im Eidgenössischen Justiz- und Polizei-Departement ist das Bundesamt für Migration angesiedelt, das die Dossiers Integration und Asylpolitik führt.
Im Eidgenössischen Departement des Innern ist die Eidgenössische Rassismuskommission angesiedelt.
Das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement wiederum ist zuständig, wenn Ausländer in der Schweiz arbeiten wollen.
Bei Fragen zu Sicherheit und Terrorabwehr schliesslich möchte ausser dem EJPD auch das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport mitreden.
In der Schweiz leben rund 340’000 Muslime. Die meisten stammen aus Südosteuropa und der Türkei.
Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung wächst stark. 1990 machten sie noch 2,2% der Bevölkerung aus, im Jahr 2000 waren es bereits 4,3%.
Gründe dieses Wachstum: das starke Anschwellen von Kriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien und die jahrelange Vertreibungspolitik Serbiens.
Die Öffentlichkeit in der Schweiz sieht sich regelmässig Forderungen der Muslime gegenüber, sei es eigene Areale in Friedhöfen, dem Bau von Minaretten oder separatem Schwimmunterricht für Schülerinnen und Schüler.
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