Brüssel lässt im Steuerstreit nicht locker
Die Europäische Union will mit Bern über die Besteuerung ausländischer Unternehmen in der Schweiz verhandeln. Der EU-Ministerrat hat grünes Licht für ein Verhandlungsmandat gegeben.
Während sich EU-Aussenkommissarin Ferrero-Waldner optimistisch gibt, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen, lehnt die Schweizer Regierung Verhandlungen weiterhin ab.
Die Zustimmung erfolgte ohne Diskussion auf Ministerebene. Die zuständige EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner zeigte sich zufrieden über die Erteilung des Verhandlungsmandats für «Gespräche mit der Schweiz», wie sie in einer Mitteilung erklärte.
«Wir werden uns im Sinne des Mandates um eine für beide Seiten akzeptable Lösung bemühen», so Ferrero-Waldner weiter. Sie betonte erneut, die EU-Kommission befinde sich nicht in einem «Streit» mit der Schweiz.
«Daher geht es auch nicht um Streitbeilegung, um Recht oder Unrecht, sondern viel mehr um die Überwindung einer Meinungsverschiedenheit, die wir miteinander lösen sollten.» Die EU-Kommissarin äusserte sich optimistisch, dass man eine solche Lösung finden werde.
«Fiskalpraxis führt zu Verzerrung»
Die EU stellt sich auf den Standpunkt, dass die Fiskalpraxis einzelner Kantone wie Zug und Schwyz eine ungerechte Wettbewerbsverzerrung durch staatliche Beihilfe darstellt, die den Handel beeinträchtigt.
Es gehe nicht an, dass ausländische Unternehmen ihren Sitz in die Schweiz verlegten, um Steuern zu sparen. Dies sei weder mit dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU von 1972 noch mit dem Geist der bilateralen
Zusammenarbeit vereinbar, hatte die EU bereits früher argumentiert.
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«Es gibt nichts zu verhandeln»
Seitens des Bundes will man den Entscheid aus Brüssel derzeit nicht kommentieren. Der Schritt der EU werde zur Kenntnis genommen, sagte Jean-Michel Treyvaud, Sprecher des Finanzdepartements (EFD). Der Bundesrat werde die Angelegenheit an einer der nächsten Sitzungen besprechen.
Es gebe nichts zu verhandeln, der Bundesrat müsse hart bleiben, sagte der Sprecher der Schweizerischen Volkspartei (SVP), Roman Jäggi. Die vier Monate, welche die EU gebraucht habe, um überhaupt ein Mandat zu beschliessen, zeigten, wie dort gearbeitet werde. Die EU müsse ihre Steuerprobleme selber lösen.
Auch die Christlichdemokratische Volkspartei sieht keine Notwendigkeit, mit der EU zu diskutieren oder gar zu verhandeln. Die CVP bestehe nach wie vor darauf, dass das Schweizer Steuerrecht das Freihandelsabkommen von 1972 nicht verletzte, sagte Sprecherin Alexandra Perina-Werz.
FDP und SP für autonome Steuerreform
Wenig überrascht zeigten sich die Sozialdemokraten von der Ankündigung aus Brüssel. Es handle sich dabei nur um die Fortsetzung eines in Gang gesetzten Prozesses, sagte SP-Sprecherin Claudine Godat. Die SP sei zwar für eine Steuerreform, doch diese dürfe nicht zu milliardenschweren Steuerverlusten führen.
Die Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) begrüsst, wie die Sozialdemokraten auch, eine autonome Steuerreform. Denn die Schweiz müsse weitere Reformen im Steuerbereich anpacken, heisst es in einer Mitteilung.
Die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz AUNS fordert den Bundesrat auf, Gegenmassnahmen vorzubereiten. Der Bundesrat müsse der EU ohne Wenn und Aber klar machen, dass unser Land auch in Steuerfragen souverän sei.
swissinfo und Agenturen
Für die EU-Kommission stehen die Steuerprivilegien, die gewisse Schweizer Kantone ausländischen Unternehmen gewähren, im Widerspruch zum Freihandelsabkommen von 1972 zwischen der Schweiz und der EU.
Die Schweiz vertritt die Haltung, die Steuervergünstigung gewisser Kantone für Auslandgeschäfte von Holdings, Verwaltungsgesellschaften und gemischten Gesellschaften falle nicht unter das Freihandelsabkommen.
Im September 2005 beanstandet die EU-Kommission in einem Brief nach Bern die Steuerpraktiken in den Kantonen Zug und Schwyz.
Im Juli 2006 verschärft Kommissionspräsident José Manuel Barroso den Ton: Die Steuerpraxis einiger Kantone verstosse gegen die Regeln des EU-Binnenmarktes.
Im November 2006, nach der Zustimmung des Schweizer Stimmvolkes zur Kohäsionsmilliarde für die neuen EU-Staaten, droht der Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EU, die Kommission werde ein Dokument an alle EU-Staaten verschicken, das die Schweiz auffordert, sich den EU-Regeln anzupassen.
Im März 2007 wirft Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey der EU schlechten Stil und inakzeptable Forderungen im Steuerstreit vor.
Ende April 2007 kündigte Finanzminister Hans-Rudolf Merz eine Reform der Unternehmensbesteuerung an, mit dem Ziel, die Gewinnsteuern zu senken.
Am 24. April 2007 einigen sich die Fachdiplomaten der EU auf ein Verhandlungsmandat für die EU-Kommission, das der Ministerrat am 14. Mai offiziell verabschiedet.
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