Bund drängt bei Cleantech an die Spitze
2020 ist die Schweiz im Cleantech-Bereich Spitze. Dieses ehrgeizige Ziel hat der Bundesrat in einem Masterplan formuliert. Wie soll es erreicht werden? Maya Graf, Bäuerin und grüne Nationalrätin, zeigt es auf einem Rundgang durch die "Cleantech-Expo".
Ökologie und Nachhaltigkeit sind tot, es lebe Cleantech! Mit einer grossangelegten Offensive wollen der Bundesrat, Behörden, Hochschulen und Berufsverbände die Schweiz in der kommenden Dekade in Sachen «sauberer Technik» an die Spitze katapultieren (siehe Kasten).
Den Startschuss gab Bundespräsidentin Doris Leuthard mit dem Masterplan Cleantech Schweiz, den sie letzte Woche im Rahmen der Innovationskonferenz in Bern vorstellte.
Anerkennung, endlich
Mit dem Stempel für Cleantech als Regierungsziel sieht sich insbesondere die Partei der Grünen bestärkt. Seit ihrer Entstehung in den frühen 1980er-Jahren hat sie einen ökologischen Umbau der Wirtschaft gefordert. Erst als lokale Bewegung, später als nationale Partei.
«Es ist sehr zu begrüssen, dass die Cleantech-Branche die Anerkennung des Bundes erhält», freut sich Maya Graf, die für die Grünen seit 2001 im Nationalrat sitzt und dort deren Fraktion präsidiert. Mit dem Masterplan bringe der Bund Wissen und Technologien der gesamten Branche zusammen.
Dafür sei es höchste Zeit. «Wir haben schon vor zehn Jahren auf die Rückschritte der Schweiz im Cleantech-Bereich aufmerksam gemacht. Dadurch vergrössert sich der Rückstand auf die Weltspitze, und es geht viel Potenzial für künftige Arbeitsplätze verloren», sagt Graf, Mutter zweier Kinder und Mitbetreiberin eines Bio-Bauernhofs im Kanton Basel-Landschaft, gegenüber swissinfo.ch.
Fragen hinter Finanzierung
Ob Nachhaltigkeit oder auf Neudeutsch Cleantech: Maya Graf spricht am liebsten von grüner Wirtschaft. «Diese erfasst alles, Technologien, Prozesse und Materialien, aber auch unser Konsumverhalten. Denn dieses führt dazu, dass wir weit über unseren Verhältnissen leben.»
Diesen letzten Punkt vermisst sie in der Strategie des Bundes. Aber vor allem konkrete Angaben zur Finanzierung. «Diese wird der Knackpunkt, denn ohne solche wird es nicht funktionieren», befürchtet sie.
Erfreut zeigt sich Maya Graf hingegen, dass der Bundesrat Cleantech mit einem ökologischeren Steuersystem und Lenkungsinstrumenten zum Durchbruch verhelfen will, wie dies Doris Leuthard in Bern zusicherte. Gleichzeitig hegt Graf diesbezüglich aber auch Zweifel. «Seit Beginn fordern wir die Belohnung von nachhaltigem Konsumentenverhalten. Umgekehrt sollen jene, die beispielsweise nicht nachhaltige Fahrzeuge kaufen, höhere Motorfahrzeugsteuern zahlen. Aber genau dies blocken die Bürgerlichen seit 20 Jahren nonstop ab.»
Zukunft hat noch nicht für alle begonnen
Den Aufbruch in eine saubere, nachhaltigere Zukunft illustrierten 14 Unternehmen, die in der Ausstellung «Cleantech made in Switzerland» am Rande der Innovationskonferenz ihre Produkte präsentierten.
Sie alle stellen fertige Lösungen oder vielversprechende Ansätze dar, damit die Menschen die Herausforderungen ihrer nächsten Zukunft meistern könnten, wie Maya Graf auf einem Rundgang erfreut feststellte.
Die swissauto Wenko AG hat ein Aggregat entwickelt, mit dem Elektroautos ihre bisher sehr begrenzte Reichweite praktisch unbeschränkt ausdehnen können. Ein Mini-Verbrennungsmotor treibt dabei einen Generator an, der die Batterien während der Fahrt aufladen kann.
«Es ist ganz wichtig, an Innovationen wie diesem Prototypen weiterzuarbeiten. Dies bringt der Schweiz auch Know-how, obwohl sie selber keine Automobilindustrie besitzt», ist Graf überzeugt.
Minus 30% Energieverbrauch
Der Kühlschrank der Awtec AG für Technologie und Innovation verbraucht 30% weniger Energie als Geräte der energieeffizientesten Klasse A++. Dies wird mit einem drehzahlgeregeltem anstelle eines konstant drehenden Kompressors erreicht. Der Aufpreis beträgt laut Entwickler lediglich 50 Franken gegenüber den aktuellen Spitzenreitern.
«Im Zuge von Umbauarbeiten auf unserem Hof benötigen wir auch einen neuen Kühlschrank», sagt Graf und bedauert, dass der Kühlschrank noch nicht käuflich ist. Weil elektrische Küchengeräte rund einen Drittel des gesamten Stromverbrauchs ausmachten, erachtet es die Bäuerin und Politikerin als entscheidend, wie viel oder vielmehr wie wenig Strom diese Geräte künftig verbrauchten. «Ich bin überzeugt, dass man hier enorm viel herausholen kann.»
Gute Nachricht für bahnreisende Kaffeetrinker
Freude löst bei Graf die mobile Kaffeemaschine mit Brennstoffzelle der Ceka AG aus dem St. Gallischen Toggenburg aus. Sie ist für Bahnreisende in den Zügen ab nächstem Jahr im Einsatz. Die Energie der Brennstoffzelle wird mit Wasserstoff erzeugt, der in wieder auffüllbaren Flaschen mitgeführt wird.
«Ich gehöre zu jenen SBB-Kundinnen, die im Zug immer gern einen Kaffee trinken», sagt Maya Graf. Der Betrieb mit Brennstoffzelle bedeute, dass Kunden nicht mehr leer ausgingen, weil die Akkus der aktuellen Maschinen leer seien, wie dies oft vorkomme.
Weitere gute Nachricht: Die Umstellung auf «sauberen Betrieb», als Emission resultiert lediglich Wasserdampf, soll kostenneutral geschehen. Dies obwohl Strom aus Wasserstoff teurer ist. Weil keine Akkus mehr ersetzt werden müssten, könne das Geld für die Mehrkosten des Wasserstoffs verwendet werden, sagt ein Firmenvertreter.
An Anwendungen mangelt es nicht. Neben der Armee erwähnt er den Einsatz sämtlicher strombetriebener Geräte dort, wo kein Stromnetz (mehr) vorhanden ist, also beispielsweise in Katastrophengebieten.
Sechs-Blatt-Grenze
In die richtige Richtung zielt laut Graf auch die Umtec mit ihrer «cleveren» Toilettenspülung zur Senkung des Wasserverbrauchs. Werden weniger als sechs Blatt WC-Papier abgerissen, rauscht weniger Wasser die Toilette herunter.
«Einerseits drücken viele meist die grosse Taste, auch wenn die kleine reichen würde», sagt Maya Graf. «Andererseits verwenden wir zur Toilettenspülung immer noch Trinkwasser, was wir uns aber nicht mehr werden leisten können.»
Zwar ist sie sich nicht so ganz sicher, ob die Bemessungsgrösse der Weisheit letzter Schluss sei. «Aber der Weg ist sicher richtig, in der Toilettenspülung vom Trinkwasser wegzukommen, denn eigentlich müsste man Regenwasser verwenden.»
Vor der Tür
Die Gramitech AG führt Maya Graf vor Augen, dass sie für die neue Wärmedämmung ihres Bauernhofes nicht weit hätte suchen müssen: Das Unternehmen stellt Dämmstoffplatten aus Gras her.
«Gras ist ein Rohstoff, der fast überall wächst. Bei unserem Umbau hätten wir Gras verwenden können, das auf unserem eigenen Land wächst», sagt Graf und bedauert, das Produkt erst jetzt kennen zu lernen.
Info-Transfer nach unten und oben
Als eine der Schwierigkeiten des Cleantech-Masterplans identifiziert Graf denn auch den Transfer von Informationen und Know-how über innovative Produkte und Techniken aus den Entwicklungslabors der Technischen Hochschulen hinunter «an die Front», sprich zu den Handwerkern. Nur so könnten diese ihre Auftraggeber umfassend beraten.
Gleichzeitig verlangt Graf, auch den Erfahrungsschatz der Handwerkprofis aus der täglichen Berufspraxis stärker in die Entwicklung und Anwendung von Neuerungen einzubeziehen. «Nur dieses Zusammenspiel führt zu einer Veränderung des Konsumentenverhaltens. Mehr nachhaltige Lebensqualität heisst auch, darüber nachzudenken, wie wir leben», schliesst Maya Graf.
Bis in die 1980er-Jahre war die Schweiz Spitzenreiterin in der Entwicklung von Technologien zum Gewinn sauberer Energien, insbesondere in der Photovoltaik.
Wegen Kürzung von Fördergeldern verschwanden aber die meisten (Klein-)Firmen oder wanderten ins Ausland ab.
Laut Studien ist die Innovationskraft im Cleantech-Sektor der Schweiz seit 2000 nach einem Aufwärtstrend erlahmt.
Mit dem Masterplan Cleantech will der Bundesrat das verlorene Terrain zurück gewinnen und die Schweiz bis 2020 zum weltweit führenden Wirtschafts- und Innovationsplatz für saubere Technologien machen.
Weitere Ziele des ambitionierten Programms: Förderung der Forschung und Wissen über saubere Technologien und Steigerung der Innovationskraft der Branche.
Bei Entwicklung, Nachfrage und Einsatz im Umwelt- und Energiebereich sollen ressourcenschonende Technologien zum Standard werden.
Die Schweiz soll dereinst nur noch so viele Ressourcen verbrauchen, wie im Land nachwachsen.
Die Umsetzung erfolgt mit 50 Massnahmen, 28 liegen beim Bund, der Rest bei den Kantonen.
Für die Umsetzung stellt der Bund keinen gesonderten Budgetposten bereit. Vielmehr sollen Anreize das öffentliche Beschaffungswesen und private Konsumenten zu richtigem Verhalten anregen.
Der Masterplan befindet sich bis Ende Februar 2011 in der Vernehmlassung. Der Bundesrat soll ihn im nächsten Frühling verabschieden.
Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) lancierte im vergangenen März ihre Volksinitiative «Neue Arbeitsplätze dank erneuerbaren Energien (Cleantech-Initiative)».
Das Volksbegehren wird auch von den Grünen, der Christlichsozialen Partei (CSP), mehreren Gewerkschaften sowie Unternehmen aus der Cleantech-Branche getragen.
Mit einer Änderung der Bundesverfassung (Art. 69) verlangen die Initianten die konsequente Umstellung auf erneuerbare Energien in der Schweiz. Daraus sollen rund 100‘000 neue Arbeitsplätze resultieren.
Das Begehren verlangt, dass der Bund Massnahmen zur Förderung von Innovationen im Energiebereich sowie private und öffentliche Investitionen zu Gunsten erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz unterstützen soll.
Der Gesamtenergiebedarf der Schweiz soll ab 2030 mindestens zur Hälfte aus erneuerbaren Energien gedeckt werden.
Die Sammelfrist für die 100’000 Unterschriften läuft bis September 2011.
Sie beschäftigt in der Schweiz 155’000 bis 160’000 Menschen oder 4,5% der aktiven Bevölkerung.
Die jährliche Bruttowertschöpfung belief sich 2008 auf 18 bis 20 Mrd. Franken, was laut Bundesrätin Doris Leuthard in etwa der Bedeutung des Tourismus entspricht.
Bis 2020 erwartet sie ein weltweites Marktvolumen von 2,2 Billionen Euro, was bis 6% aller wirtschaftlichen Tätigkeiten ausmacht.
Die Schweizer Cleantech-Exporte kamen zwischen 1996 und 2008 auf knapp 15%, büssten aber im Vergleich mit den übrigen Ausfuhren an Boden ein.
Der Vorsprung beim Weltmarktanteil schrumpfte seit Mitte der 1990-er Jahre und ist laut Regierung heute dahin.
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