Bundesrat lanciert Kampagne für IV-Revision
Innenminister Pascal Couchepin wirbt für ein Ja zur 5. Revision der Invalidenversicherung IV, die in der Schweiz am 17. Juni zur Abstimmung kommt.
Die Revision sei aus finanziellen Gründen unumgänglich. Die IV ist mit über neun Mrd. Franken verschuldet. Das Referendum gegen die Revision wird vor allem von links unterstützt.
Im Zentrum der Vorlage stehe die Devise «Eingliederung kommt vor Rente», sagte der Sozialminister vor den Medien.
Das Motto der Gegner hingegen laute «wenn möglich eine Rente». Damit sei weder den Betroffenen noch der schwer defizitären und hoch verschuldeten IV gedient.
Laut Couchepin ist es schon mit der 4. IV-Revision und einer strengeren Praxis gelungen, den Anstieg der Neurenten zu bremsen. Mit Früherkennung, Frühintervention und Integration müsse dieser Prozess nun weitergeführt werden.
Dabei gehe es vor allem um Jüngere und um psychisch Angeschlagene, auf die 40% der Neurenten entfielen.
Anreize statt Zwang
Laut Couchepin dauert heute ein IV-Verfahren mit zwei bis drei Jahren viel zu lange.
Künftig werde ein erster Entscheid innert zwei bis drei Monaten fallen. Dies sei wichtig, denn schon nach 12 Monaten betrage die Chance der Eingliederung nur noch 20%.
Nicht gelten liess Couchepin den Einwand der Gegner, nur verbindliche Quoten für die Unternehmen könnten die Integration der Behinderten in die Arbeitswelt tatsächlich verbessern. Die Schweiz stehe auch ohne Quoten international gut da. «Wir müssen die Arbeitnehmer ermuntern, nicht zwingen.»
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Invaliden-Versicherung
Gezielte Sparmassnahmen
Nach Auskunft von Vizededirektor Alard du Bois-Reymond vom Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) sind jährlich 120 Mio. Franken für Einarbeitungs-Zuschüsse und andere Anreize zur Beschäftigung Behinderter vorgesehen. 250 Millionen würden in die Integration investiert, 120 Millionen in die Früherkennung.
Als zweites Ziel neben dem erschwerten Zugang zur Rente und der verstärkten Eingliederung nannte Couchepin gezielte Sparmassnahmen. Die wichtigsten seien die Streichung der laufenden Zusatzrenten für Ehegatten und der Wegfall des Karrierezuschlags, um den sich die Renten heute wegen des durch die Behinderung «verpassten» Lohnanstiegs erhöhen.
Sparen allein unverantwortlich
Mit jährlichen Defiziten von rund 1,5 Milliarden und einem Schuldenberg von 9,3 Mrd. Franken sei die Lage der Invalidenversicherung dramatisch, so Couchepin.
Bis 2012 drohe sich die Schuld zu verdoppeln. Leidtragende sei trotz guten Abschlüssen die Alters- und Hinterlassenen-Versicherung (AHV): Wenn es so weitergehe, sei der gemeinsame Fonds zwischen 2015 und 2020 aufgebraucht.
«Wer die IV nur mit Sparen sanieren will, handelt unverantwortlich.» Die Renten müssten zu einem Drittel ganz gestrichen werden oder fielen unter das Existenzminimum.
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AHV
Gegen SVP-Idee
Couchepin hält auch nichts von der Forderung der Schweizerischen Volkspartei (SVP) nach einer 6. IV-Revision, mit der sämtliche bestehenden 257’000 Renten überprüft würden. Eine solche Überprüfung brächte einen riesigen Aufwand ohne minimale Rechtssicherheit, sagte er. «Das wäre das Ende des Rechtsstaates.»
Die 5. IV-Revision wurde von den Räten im Herbst 2006 in Flims verabschiedet. Das Volk muss darüber entscheiden, weil kleine Selbsthilfe-Organisationen der Behinderten mit Unterstützung der Gewerkschaften und der Linken das Referendum ergriffen haben. Nach Ansicht der Gegner wird «auf dem Rücken der Schwächsten gespart».
swissinfo und Agenturen
Schulden der IV Ende 2006:
9,3 Mrd. Fr.
Dafür bezahlte Zinsen:
221 Mio. Fr.
Neurentner 2006:
19’600
Neurentner im Rekordjahr 2003:
28’200
Laufende Renten 2006:
257’200
Am 17. Juni 2007 gelangt die fünfte Reform der Invalidenversicherung vors Volk. Gegen die Revision war von linker Seite das Referendum ergriffen worden.
Unter dem Motto «Arbeit vor Rente» sieht die Revision vor, den Zugang zur IV-Rente zu erschweren. Stattdessen soll vermehrt auf Eingliederung gesetzt werden.
Der Begriff der Invalidität wird restriktiver ausgelegt und gewisse Leistungen werden gekürzt. Insgesamt sollen damit bis 2025 jährlich gegen 600 Mio. Franken eingespart werden.
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