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Bundesrat Moritz Leuenberger kündigt Rücktritt an

Leuenberger an der Medienkonferenz in Bern vom Freitag, 9. Juli 2010. Keystone

Bundesrat Moritz Leuenberger, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), tritt auf Ende 2010 zurück. Dies kündigte er am Freitag an einer Medienkonferenz in Bern an.

Mit dem Zürcher Sozialdemokraten und Vize-Bundespräsidenten für dieses Jahr verlässt der amtsälteste Bundesrat die Regierung.

Er leitete während 15 Jahren das Umwelt- und Verkehrsdepartement UVEK.

«Fragen Sie mich nicht, was ich in der Zukunft machen will. Ich bin ja jetzt noch ein halbes Jahr mit Ihnen», erklärte Leuenberger in Bern.

Er könne seine Arbeit in diesem Jahr abrunden und vollenden, sagte der Verkehrsminister – zum einen mit dem Durchstich der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) am Gotthard im Oktober, zum anderen mit der Klimakonferenz im Dezember in Cancun.

Dies entspreche zwei Brennpunkten seiner Tätigkeit, dem Verkehr und der Umwelt, sagte Leuenberger.

«Wechsel fällig»

«Ich bin der Überzeugung, dass die relativ lange Dauer – ich weiss es – für eine konstante Umwelt- und Verkehrspolitik von Bedeutung war», sagte der Umweltminister. «Aber auch hier ist mal ein Wechsel fällig.»

Sein Rücktritt habe keine taktischen Gründe, erklärte Leuenberger. «Wer zu viel taktiert, verheddert sich und fällt. Und dann kommt es anders, als man vorgesehen hat.»

Er betonte, dass er nicht wegen Problemen im Bundesrat zurücktrete. «Die Themen, die wir in den letzten Bundesratssitzungen intensiv diskutierten, haben mit dem Rücktritt nichts zu tun», sagte Leuenberger.

Auch sei er von seiner Partei nicht zum Rücktritt gedrängt worden. «Das Verhältnis zu meiner Partei war noch selten so gut wie in letzter Zeit», sagte der SP-Bundesrat.

Leuthards Lob aus Südostasien

Bundespräsidentin Doris Leuthard, die sich momentan auf einer Reise in Südostasien befindet, sagte gegenüber swissinfo.ch, sie schätze Leuenbergers langjährige Erfahrung und sein fundiertes Urteil.

«Man kann ihm vertrauen. Wir hatten immer konstruktive und interessante Diskussionen, auch wenn wir nicht immer gleicher Meinung waren», lobte Leuthard ihren Regierungskollegen.

Calmy-Reys Vorbereitung erleichtern

Den offiziellen Rücktritt will Leuenberger erst nach der Herbstsession des Schweizer Parlaments einreichen. Der Grund für die vorzeitige Ankündigung liege darin, dass er nächstes Jahr Bundespräsident geworden wäre, sagte Leuenberger.

Das Mitglied, das an der Reihe sei, müsse sich vorbereiten können. An der Reihe ist nach dem Rücktritt Leuenbergers turnusgemäss Parteikollegin Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.

Der urban-intellektuelle Bundesrat

Leuenberger war am 27. September 1995 als Nachfolger von Otto Stich in den Bundesrat gewählt worden. 2011 wäre er turnusgemäss – zum dritten Mal – Bundespräsident geworden.

Leuenberger liebte die Auftritte in der Öffentlichkeit, wenn auch nicht das Bad in der Menge. Seine Auftritte waren oft elegant, witzig und dennoch nachdenklich, zuweilen überdreht. Dabei vertrat er die urban- intellektuelle Schweiz und unterhielt mit geistreichen Reden. Er war damit das Gegenstück zu einem so genannt bodenständigen Politiker.

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Von Bahn 2000 bis CO2

Seine grosse Zeit hatte Leuenberger Ende der 1990er-Jahre, als er die Abstimmungen über die Bahn 2000 und die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) gewann und damit die Voraussetzungen für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs schuf.

Im neuen Jahrhundert konnte Leuenberger die Inbetriebnahme des Eisenbahn-Lötschbergtunnels und den Durchschlag auf der Nordseite des Gotthardtunnels feiern.

Weiter brachte er die Abgabe auf dem Klimaschadstoff CO2 durch und schuf einen Infrastrukturfonds, der es erstmals erlaubte, aus den Erträgen der Strassenabgaben Projekte des privaten und öffentlichen Verkehrs zu finanzieren.

Im Clinch mit der Partei

Weniger erfolgreich war der Verkehrsminister im Fluglärmstreit mit Deutschland: 2003 setzte Deutschland nach einem gescheiterten Staatsvertrag eine einseitige Verordnung in Kraft, die den Flugverkehr über Süddeutschland mit Nacht- und Wochenend-Sperrzeiten deutlich einschränkte. Seither wird Kloten auch von Süden her angeflogen – zum Ärger der betroffenen Anwohner.

Auf die Probe gestellt wurde der SP-Bundesrat im Zuge der Liberalisierung des Post- und des Strommarktes. Es kam zum Kampf gegen die eigene Partei. Bei der Strommarktliberalisierung musste er einen zweiten Anlauf nehmen, nachdem die erste Vorlage an der Urne Schiffbruch erlitten hatte.

Vorwurf des Sesselklebens

In den letzten Jahren sah sich Leuenberger zunehmend mit dem Vorwurf konfrontiert, am Bundesratssessel zu kleben. Nicht nur politische Gegner befanden, er sei amtsmüde. SP-Strategen hofften darauf, mit einem neuen Gesicht in den Wahlkampf 2011 steigen zu können.

Bei seiner Wahl zum Vizepräsidenten im Dezember 2009 kassierte Leuenberger eine Ohrfeige. Die Bundesversammlung wählte ihn mit lediglich 128 von 187 gültigen Stimmen – ein im historischen Vergleich sehr schlechtes Resultat.

Ohne «Ghostwriter»

Stolz war Leuenberger stets auf seine Reden, die er selber schrieb. Er hat sie in drei Büchern veröffentlicht («Träume und Traktanden», «Die Rose und der Stein», «Lüge, List und Leidenschaft»). Mit der Bevölkerung trat er – ein Unikum – via Blog in Kontakt.

Als einen der Höhepunkte seiner Laufbahn dürfte Leuenberger die Verleihung des deutschen Cicero-Preises für die beste politische Rede 2002 empfunden haben. In der Laudatio wurde Leuenberger als Politiker gewürdigt, der sich «nicht bloss der Politikverwaltung hingibt, sondern verführerisch über den Tag hinausdenkt».

Sein rhetorisches Talent kam Leuenberger auch in schwierigen Momenten zugute: So fand er die richtigen Worte nach dem Massaker an Touristen in Luxor, dem Attentat im Zuger Parlament und nach Flugzeugabstürzen in Bassersdorf, Nassenwil und Überlingen.

swissinfo.ch

Moritz Leuenberger wurde am 21. September 1946 in Biel geboren und ist in Rohrbach (Kanton Bern) heimatberechtigt.

Er wuchs in Biel, Basel und Zürich auf.

Studium der Rechtswissenschaften, Gerichtspraxis und anschliessend von 1972 bis 1991 eigenes Anwaltsbüro in Zürich.

1969 trat er der Sozialdemokratischen Partei (SP) bei.

1972 bis 1980 war er Präsident der SP der Stadt Zürich, von 1986 bis 1991 Präsident des schweizerischen Mieterverbandes.

Von 1974 bis 1983 sass Leuenberger im Gemeinderat (Parlament) der Stadt Zürich.

1979: Wahl in den Nationalrat.

Dort unter anderem Präsident der parlamentarischen Untersuchungskommission PUK 1, welche die Amtsgeheimnisverletzung der zurückgetretenen Bundesrätin Elisabeth Kopp aufklären sollte, im Verlauf der Untersuchung aber den so genannten Fichenskandal aufdeckte.

1991: Wahl zum Regierungsrat des Kantons Zürich (zweiter Regierungssitz für die SP zulasten der SVP, unterlegener Gegenkandidat: Ueli Maurer).

27. September 1995: Wahl in den Bundesrat, Leitung des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschafts-Departements, heute UVEK.

In den Jahren 2001 und 2006 war Moritz Leuenberger Bundespräsident.

Die Kür einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers für Moritz Leuenberger dürfte der mit Wählerschwund kämpfenden SP Auftrieb geben.

In den Startlöchern sind derzeit vor allem Frauen: Die Ständerätinnen Simonetta Sommaruga und Anita Fetz, Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer oder die Basler Finanzdirektorin Eva Herzog wollen sich eine Kandidatur überlegen.

Im Stillen wird die Ersatzwahl am 8. Dezember kaum über die Bühne gehen. Die SVP kündigte bereits an, der SP den Sitz streitig machen zu wollen.

Ob sie damit Chancen hat, ist fraglich, haben sich doch FDP und Grüne klar hinter die Sozialdemokraten gestellt.

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