Bundesrat: Zauberformel unter Druck
Ausser der CVP befürworten nun sämtliche Regierungsparteien den zweiten Bundesratssitz für die SVP.
Auch die Schweizer Medien schliessen den zweiten Bundesrats-Sitz für die SVP nicht aus, stellen sich aber Fragen zum Stil der Forderung.
Nach den Wahlen in das Schweizer Parlament haben sich die Kräfteverhältnisse in der Parteienlandschaft verschoben. Die grosse Frage der Stunde: Wird sich diese Verschiebung in der nach dem Kollegialprinzip zusammengesetzten siebenköpfigen Regierung, dem Bundesrat, auswirken?
Wird die Zauberformel geknackt? Seit 1959 setzt sich der Bundesrat aus je zwei Vertretern der SP, FDP und CVP und einem Sitz der SVP zusammen. Ausschlaggebend für diese Formel ist die Parteienstärke.
Genau um diese Parteienstärke geht es nun. Seit den Wahlen vom Sonntag ist die ehemals «kleinste» Partei, die SVP, zur wählerstärksten geworden. Sie fordert ultimativ den zweiten Sitz und will ihn mit Nationalrat Christoph Blocher besetzen, dem Frontmann der Partei.
Die SVP hält mit 26,6% der Stimmen den grössten Wähleranteil und stellt die grösste Fraktion in der Bundesversammlung (National- und Ständerat zusammen).
Welche Formel?
Diese Tatsache kann nun von der FDP, CVP und SP nicht mehr länger ignoriert werden, sagen die Politologen Claude Longchamp und Werner Seitz und finden: «Die Zauberformel muss deshalb angepasst werden.»
Beide Politologen bezeichnen die Forderung der SVP nach einem zweiten Bundesratssitz als legitim. Aus ihrer Sicht wäre es nun am einfachsten, wenn die CVP als wählerschwächste Bundesratspartei (14,4%) auf einen ihrer beiden Sitze verzichten würde.
Was aber theoretisch logisch erscheint, ist auf der tatsächlichen Politbühne schwieriger zu gestalten. Denn, immer noch wählten zwei Drittel der Schweizerinnen und Schweizer bürgerlich.
Die bürgerlichen Parteien haben in der Bundesversammlung, welche die Landesregierung wählt, eine komfortable Mehrheit. Es wäre also auch denkbar, dass ein rein bürgerlicher Bundesrat gewählt würde und die Sozialdemokraten aus der Regierung verbannt werden. Die SVP hatte im Vorfeld der Wahlen diese Möglichkeit immer wieder angesprochen.
SVP-Pressesprecher Yves Bichsel dementiert jedoch gegenüber swissinfo: «Wir werden nur um den Sitz der CVP kämpfen.» Die Probleme in der Schweiz seien so gross, dass «auch die Linke in die Regierung eingebunden werden muss».
Szenarien
Es sind nun diverse Szenarien denkbar, um die Regierungs-Zusammensetzung zu verändern. Entweder zieht sich die CVP vor der Bundesrats-Bestätigungswahl am 10. Dezember – bei der auch eine Nachfolge von Finanzminister Villiger gewählt wird – einen ihrer Bundesräte zurück.
Oder es gelingt den Christlichdemokraten, mit andern Parteien einen ehrenhaften Rückzug des CVP-Vertreters auszuhandeln.
Konkret würde das darauf hinaus laufen, dass Joseph Deiss oder Ruth Metzler auf einen vorbestimmten Termin zurücktreten und durch ein SVP-Mitglied ersetzt werden.
Will die CVP nicht verzichten, könnte die Vereinigte Bundesversammlung am 10. Dezember den Wechsel erzwingen. Longchamp denkt sogar, dass die SVP versuchen könnte, am 10. Dezember den Sitz des zurücktretenden FDP-Bundesrates Kaspar Villiger zu erobern.
Was sagen aber die Bundesratsparteien selber zum Anspruch der SVP auf den zweiten Sitz?
Grosse Akzeptanz
Für die FDP hat der Anspruch der SVP mit den Ergebnissen der Wahl vom Sonntag «ein neues Gewicht erhalten», wie sich FDP-Generalsekretär Guido Schommer ausdrückte.
Die bürgerlichen Parteien wollten sich möglichst bald treffen, um die Zauberformel zu diskutieren. Für Schommer kommt es aber «nicht in Frage», die Sozialdemokraten aus der Regierung auszuschliessen. Gegen den SVP-Kandidaten Christoph Blocher für das Amt des Bundesrates hat die FDP «an sich nichts einzuwenden».
Auch die SP unterstrich, dass der Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz berechtigt sei. Deshalb habe man schon vor den Wahlen ein Gespräch unter den Regierungsparteien zur Zusammensetzung des Bundesrates angeregt.
Die CVP selber hält trotz ihrer Wahlniederlage an ihren beiden Bundesratsmandaten fest. «Ein Rückzug der CVP-Bundesräte ist ausgeschlossen», sagte CVP-Generalsekretär Reto Nause. Auch für Vizepräsidentin Doris Leuthard wäre «eine Abwahl stillos und nicht korrekt, wenn Bundesräte ihre Arbeit gut machen».
Risiko
Der Politologe Claude Longchamp sieht in einer neuen Zusammensetzung der Regierung aber das Risiko einer politischen Blockade. Dann nämlich, wenn die beiden Pole links und rechts, SVP und SP, je zwei Sitze, sprich vier der sieben Bundesratssitze besetzten.
Longchamp empfiehlt deshalb FDP und CVP, einen eigenen Pol zu bilden. Als gemeinsame Fraktion oder mit einem gemeinsamen Programm könnten die beiden Mitte-Rechts-Parteien dank ihrer Mehrheit in der Kleinen Kammer, dem Ständerat, den beiden andern Blöcken Paroli bieten.
Andere Polit-Beobachter geben dieser Möglichkeit wenig Chancen: «Die FDP ist ideologisch viel näher an der SVP als bei der CVP», sagen sie.
swissinfo, Urs Maurer
Unter der Zauberformel versteht man in der Schweiz die Zusammanesetzung der Regierung gemäss Wähleranteil der Parteien.
Heute: 2 FDP, 2 SP, 2 CVP, 1 SVP.
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