Bundesratswahl im Zentrum des Wahlkampfs
Die Wochen vor den Parlamentswahlen vom 23. Oktober werden von der Kontroverse um die Neuwahlen des Bundesrats bestimmt. Laut einer Umfrage wird die Kampagne durch den Rücktritt von Aussenministerin Calmy-Rey personenbezogener.
Die jüngste Umfrage des Instituts gfs.bern im Auftrag der SRG SSR wurde zwar Ende August durchgeführt, noch vor der Rücktritts-Ankündigung der sozialdemokratischen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.
Die Umfrage zeigt aber, dass «die Kritik an einem Verbleib im Bundesrat bei niemandem so gross war wie bei ihr», wie das Institut in seinem Bericht zur Telefonbefragung von über 2000 Personen schreibt.
Politologe Claude Longchamp von gfs.bern ist der Meinung, die Sozialdemokratische Partei (SP) könnte vom Rücktritt Calmy-Reys profitieren, da die Debatte über ihre Nachfolge der Partei zusätzliche Medienpräsenz verschaffen werde.
Vorteil SP
Die SP erhalte so eine öffentliche Bühne, um Angriffe anderer Parteien auf ihren zweiten Regierungssitz abzuwehren und damit mehr Anhänger zu mobilisieren.
«Der grösste Konflikt zeichnet sich zwischen den beiden Parteien an den politischen Polen ab», sagt Longchamp. Andere Parteien würden unweigerlich in den Kampf zwischen der SP und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) hineingezogen, wenn diese um ihre Sitze in der Vielparteien-Regierung kämpften.
Für Longchamp ist die SP für die nächsten Wochen in einer guten Position. Die Zahlen der neusten Umfrage scheinen dies zu bestätigen: Erstmals kommt die Partei in einer Umfrage mit 20,5% nämlich auf über 20% der Wählerstimmen.
Verschiedene Bühnen
Die SVP ist mit 28% immer noch die stärkste Partei, doch ihre Kampagne habe etwas an Schwung verloren, wenn man mit Anfang Jahr vergleiche. Trotzdem hält Longchamp nichts von Behauptungen, dass die Medien die SVP-Kampagne ignorierten: «Im Gegenteil, ich sehe bis jetzt drei klare Phasen im Wahlkampf. Die SVP ist lediglich am Wehklagen.»
Eine erste Phase der Wahlkampagne stellte die Abstimmung über die Ausschaffung krimineller Ausländer vom letzten November dar. Die Annahme dieser Initiative gab der SVP mächtig Rückenwind.
Doch dann verschafften die Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima und die Diskussionen um den starken Schweizer Franken den Grünen und der SP wieder etwas Auftrieb – die zweite Phase.
«Die Migrationsfrage bleibt das zentrale Bevölkerungsthema, gefolgt von der Umwelt/Energie-Thematik und den Wirtschaftsfragen. Entlang dieser drei Themen lässt sich auch die Geschichte des bisherigen Wahlkampfes erzählen», so Longchamp.
Wenn nicht noch etwas Aussergewöhnliches vorfällt, wird die letzte, die vierte Phase der Wahlkampagne, von einem Seilziehen um die Regierungssitze bestimmt. Diese Wahl findet in der ersten Dezemberhälfte statt.
«Vier verschiedene Phasen im Wahlkampf sind genug», sagt Longchamp. «Es ist unwahrscheinlich, dass noch ein zusätzliches grosses Thema wichtig werden könnte.»
In den letzten 12 Jahren sei der Wahlkampf immer nationaler geworden, die kantonalen Wahlkreise hätten immer weniger Bedeutung, weil häufiger internationale Themen die Agenda bestimmten.
Stabilität
Die Umfrage, acht Wochen vor den Parlamentswahlen durchgeführt, zeigt die rechtskonservative SVP klar in Führung, gefolgt von der etwas aufholenden SP und den beiden traditionellen Mitte-rechts-Parteien, der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP.Die Liberalen, 15,6%) und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP, 14,5%), die Wähleranteile verlieren oder stagnieren.
Laut Longchamp zum Erstarken der SP beigetragen haben wohl auch Konsumenten-Themen und die Angst vor einem Jobverlust. Im Gegensatz dazu sähen die Aussichten für die FDP eher düster aus: Die Umfrage brachte hervor, dass die Partei Mühe hat, ihre Stammwählerschaft zu mobilisieren.
Die beiden neuen, kleinen Mitte-rechts-Parteien, die Grünliberalen und die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP), werden laut Umfrage im Oktober die grössten Gewinne einfahren. Dies zeigte sich bereits in früheren Umfragen.
Global gesehen scheinen die grossen Parteien ihre Position weniger als zwei Monate vor den Wahlen gefestigt zu haben. Auch die Liste der Themen, welche die Wählenden am meisten bewegen – Einwanderung, Umwelt und Wirtschaft – hat sich nicht mehr verändert.
Das 6. von insgesamt 7 Wahlbarometern stützt sich auf Telefon-Interviews mit 2009 Personen aus der ganzen Schweiz, geführt zwischen 23. August und 3. September.
Die Schweizer Auslandgemeinde wurde nicht befragt.
Der Stichprobenfehler beträgt 2,2%.
Das Wahlbarometer wurde von der SRG SSR in Auftrag gegeben, zu der auch swissinfo.ch gehört.
Im Wahlbarometer wurde auch gefragt, welche der bisherigen Bundesräte wieder gewählt werden sollten und welche nicht.
Am besten abgeschnitten hat Verkehrsministerin Doris Leuthard, gefolgt von Justizministerin Simonetta Sommaruga und Innenminister Didier Burkhalter.
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf folgte an vierter Stelle, gefolgt von Verteidigungsminister Ueli Maurer und Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann. Das Schlusslicht machte die gegenwärtige Bundespräsidentin, Aussenministerin Micheline Calmy-Rey.
Die Umfrage war durchgeführt worden, bevor Calmy-Rey am 7. September ihren Rücktritt auf Ende Jahr angekündigt hatte.
Die sieben Bundesräte werden alle vier Jahre nach den Wahlen vom Parlament bestimmt. Die nächste Wahl findet am 14. Dezember statt.
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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