BVG-Reform: Darum geht es bei der Abstimmung
Die BVG-Reform will Renten sicherer finanzieren und die Situation von Teilzeitangestellten und Personen mit tieferen Löhnen verbessern. Die Gewerkschaften sind dagegen. Darum geht es bei der Abstimmung vom 22. September.
Die BVG-Reform betrifft die Pensionskasse. Die Pensionskasse ist der Teil des Schweizer Rentensystems, bei dem die Berufstätigen und ihre Arbeitgeber monatlich einen Vorsorgebeitrag leisten.
Die Abkürzung BVG steht für «Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge». Die Reform des BVG ist eine der komplexeren Vorlagen, die in letzter Zeit zur Abstimmung kamen.
Ein Grund dafür ist, dass in der Schweiz weit über 1000 Pensionskassen tätig sind. Viele von ihnen haben ihre eigenen Reglemente. Entsprechend müssten die einzelnen Stimmberechtigten einiges unternehmen, um herauszufinden, ob und wie sie durch diese Reform persönlich betroffen sind.
BVG-Reform: Um welche Altersvorsorge geht es?
Zur Erinnerung: Die Schweizer Altersvorsorge ist ein System, das auf drei Säulen beruht.
Die erste Säule bildet die obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV). Sie ist staatlich organisiert. Ihr liegt die Idee zugrunde, dass die Schweizer Bevölkerung eine existenzsichernde Grundrente erhalten soll.
Die zweite Säule – um die es hier geht – bilden die Pensionskassen. Von diesem System profitieren Berufstätige. Sie bezahlen obligatorisch über Lohnabzüge auf ihr individuelles Pensionskassenkonto ein.
Auch die Arbeitgebenden überweisen Beiträge auf dieses Konto. Diese sind abhängig von der Lohnhöhe. Mit der Pensionskasse sollen Rentnerinnen und Rentner ihren gewohnten Lebensstandard erhalten können.
Die dritte Säule bildet schliesslich das freiwillige individuelle Alterssparen, das der Staat steuerlich belohnt.
Wie kam es zu dieser BVG-Reform?
Bundesrat und Parlament wollen das Gesetz über die berufliche Vorsorge schon lange aufdatieren. Bereits 2017 scheiterte eine Vorsorge-Reform vor dem Stimmvolk.
Diese hatte die Pensionskassen der beruflichen Vorsorge und die AHV verknüpft. Danach ging der Bundesrat die beiden Vorsorgewerke einzeln an. Die AHV-Reform ist inzwischen vollzogen, jene der beruflichen Vorsorge noch nicht.
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Den ReformvorschlagExterner Link, der nun zur Abstimmung kommt, hat das Parlament nach mehreren hart umkämpften Runden angenommen. Danach hat der Gewerkschaftsbund dagegen das Referendum ergriffen. Darum entscheidet nun das Stimmvolk am 22. September darüber.
Was will die BVG-Reform?
Künftige Renten sollen sicherer zu finanzieren sein, das war die Leitidee der BVG-Reform. Auch bei den Pensionskassen wird spürbar, dass die Leute in der Schweiz immer länger leben – und damit länger Rente beziehen.
Das bei der Pensionierung vorliegende Alterskapital wird bis ans Lebensende jährlich zum gleichen Anteils-Satz ausbezahlt, unabhängig davon, wie lange man lebt, oder ob man es je aufbraucht. Zum andern sind auch die Renditeerwartungen der Pensionskassen kleiner geworden.
Ein weiteres Ziel der Reform ist, Teilzeitbeschäftigte und Personen mit tieferen Löhnen besser abzusichern. Laut Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider geht es dabei vor allem auch um Frauen, die oft Teilzeit und zu tieferen Löhnen arbeiten.
Welche Schritte sind konkret angedacht?
Die BVG-Reform umfasst ein Paket von fünf Massnahmen.
Tieferer Umwandlungssatz: Dieser Prozentsatz bestimmt, wieviel vom angesparten Alterskapital die Pensionskassen jährlich auszahlen. Heute liegt dieser Satz bei 6,8%. Das bedeutet, dass eine Kasse bei 100’000 Franken Alterskapital jährlich 6800 Franken Rente ausbezahlt.
Gemäss Reformplan soll dieser Satz auf 6% sinken. Die individuellen Renten werden damit geringer. Dafür kann theoretisch länger vom Alterskapital gezehrt werden. Die Renteneinbusse beträgt rund 12%.
Kompensation für die Übergangsgeneration: Diese Renteneinbusse soll für die 15 Jahrgänge, die davon betroffen sind, stufenweise ausgeglichen werden. Der Ausgleich erfolgt gemäss Alter und Höhe des angesparten Alterskapitals. Je älter die Betroffenen sind, und je weniger Kapital sie angespart haben, desto höher soll der Ausgleich ausfallen.
Anpassung der Altersgutschriften: Die Beiträge an die Pensionskasse werden von Arbeitnehmenden wie den Arbeitgebenden gleichermassen geleistet. Die Prozentsätze des Lohns, welche die Arbeitgebenden einzahlen, wachsen mit dem Alter der Arbeitnehmenden an.
Heute passiert das gestaffelt in vier Stufen, neu soll es nur noch zwei Stufen geben. Arbeitnehmende ab 45 Jahren erhalten damit noch 14% ihres Lohns in die Pensionskasse einbezahlt. Heute liegt dieser Satz bei über 55-Jährigen bei 18%.
Diese Massnahme soll die Chancen von älteren Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt erhöhen. Denn die hohen Pensionskassenbeiträge machen Menschen ab 55 Jahren für die Arbeitgebenden momentan quasi von Gesetzes wegen teurer als jüngere Arbeitnehmende.
Tiefere Eintrittsschwelle: Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute mindestens 22’050 Franken pro Jahr verdienen. Wer weniger verdient, profitiert nicht von diesem System.
Neu sollen bereits Einkommen ab 19’845 Franken pensionskassenberechtigt sein. Davon betroffen wären rund 100’000 Arbeitnehmende.
Angepasster Koordinationsabzug: Damit bezeichnet man den Betrag, der für die Berechnung der Pensionskassenbeiträge vom Bruttolohn abgezogen wird. Die Idee dahinter ist: Weil schon AHV-Abzüge erfolgt sind, soll für die Pensionskasse auf diesen Teil nicht nochmals ein Abzug kommen.
Der Koordinationsabzug ist bis anhin ein jährlich festgelegter, fixer Betrag. Neu wären bis zu einer Höhe von 88’200 Franken jeweils 80% des Lohns versichert.
Besonders die letzteren beiden Massnahmen zielen darauf ab, dass sich die Vorsorge von Personen mit einem geringen Einkommen verbessert. Dazu gehören Teilzeitangestellte und Frauen.
Wer ist von der BVG-Reform betroffen?
Das ist generell kaum zu beantworten. Denn viele Pensionskassen haben heute schon tiefere Umwandlungssätze etabliert. Das ist möglich, wenn es nicht den gesetzlichen Mindestumwandlungssatz betrifft. Dieser regelt nur den obligatorischen Teil des Alterskapitals, der bis zu einem Jahreslohn von 88’200 Franken gilt.
Die meisten Versicherten in der Schweiz sind im so genannten Überobligatorium versichert. Viele haben darum heute schon tiefere Umwandlungssätze als 6,8%.
Einen Effekt hätte die Reform vor allem für jene 15% bis 30% der Versicherten, die hauptsächlich im obligatorischen Teil versichert sind. Nicht betroffen sind bereits Pensionierte, denn an den laufenden Renten ändert sich nichts.
Sind Auslandschweizer:innen betroffen?
Eher nicht. Bereits Pensionierte sind generell nicht betroffen, denn an den laufenden Renten ändert sich nichts. Arbeitstätige im Ausland, die für ein Schweizer Unternehmen mit Schweizer Pensionskasse tätig sind, könnten betroffen sein.
Was sagen die Befürwortenden?
Für Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider ist die Vorlage «ein Fortschritt, der viel Positives bringt». Insgesamt stellt der Bundesrat die Reform als faire und ausgewogene Kompromiss-lösung dar.
Befürwortende sagen zudem, dass die künftigen Renten der obligatorischen beruflichen Vorsorge mit der Reform wieder ausreichend und langfristig finanziert seien.
Ausserdem verbessere die BVG-Reform die Altersvorsorge von Personen mit tieferen Einkommen. Rund 360’000 Personen würden eine höhere Rente erhalten, der Grossteil davon Frauen, denn profitieren würden Teilzeitarbeitende, Mehrfacharbeitende und tiefe Einkommen.
Weiteres Argument: Die Reform bringe auch das Ende einer Ungerechtigkeit. Denn heute müssen die Erwerbstätigen den obligatorischen Anteil der Renten querfinanzieren. Weiteres Argument: Ein Nein würde den Reformstau für mindestens zehn weitere Jahre zementieren.
Zu den Befürwortenden zählen Bundesrat und Parlament, dazu zahlreiche Wirtschaftsverbände und die bürgerlichen Parteien.
Was sagt die Gegenseite zur BVG-Reform?
Die Gewerkschaften kritisieren, dass die Senkung des Umwandlungssatzes und die gleichzeitige Anhebung der Lohnbeiträge kombiniert werden.
«Mit dieser Vorlage sollen die Leute für weniger Rente mehr bezahlen», sagt Urban Hodel vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. Im Gegenzug profitiere aber die Finanzindustrie, die von den Pensionskassen Milliarden abschöpfe. Konkret rechnen die Gewerkschaften vor, dass einzelne Betroffene bis zu 3200 Franken weniger Rente erhalten würden.
Das Argument, dass vor allem Frauen profitieren würden, lassen sie nicht gelten: «Lösungen für familienbedingte Erwerbsunterbrüche und Teilzeitarbeit fehlen. Und viele Mehrfachbeschäftigte wie beispielsweise Tagesmütter oder Putzfrauen werden weiterhin keinen Pensionskassenanschluss haben», kritisieren sie.
Zur Gegnerschaft gehören die SP, die Gewerkschaften und einige Verbände aus Tieflohnbranchen wie Gastrosuisse. Sie befürchten eine Verteuerung der Arbeit im Tieflohnbereich. Stimmfreigabe hat der Bauernverband beschlossen.
Editiert von Benjamin von Wyl
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