Calmy-Rey für kreativen Umgang mit Migration
Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey hat am Dienstag zu einem offenen, toleranten und kreativen Umgang mit Migration aufgerufen. Die aktuelle Migrationspolitik stellte sie in Frage.
An der Jahreskonferenz der Politischen Abteilung IV des Aussenministeriums brachte sie die Idee von Migrations-Partnerschaften im Bereich des Lehrstellenmarktes ins Spiel.
«Wir müssen uns die Frage stellen, ob unsere Migrationspolitik adäquat ist», sagte Bundesrätin Micheline Calmy-Rey in Bern.
Es sei nicht normal, dass in den USA und in Europa mehr Geld dafür ausgegeben werde, die Migrationsströme zu stoppen als für Entwicklungshilfe in den Herkunftsländern. Eine offene und tolerante Schweiz entspreche nicht nur den Werten der Schweiz, sondern nütze auch dem Land.
Im Umgang mit Migration rief die Aussenministerin dazu auf, auch in Dimensionen ausserhalb der traditionellen Migrations-Instrumente zu denken: «Wir sollten nicht davor zurückschrecken, auch Themen wie den Zugang zum schweizerischen Arbeitsmarkt oder die zirkuläre Migration genauer zu betrachten», sagte sie.
«Mit dem Verweis auf den Mangel an Lehrkräften in gewissen Sektoren regte Calmy-Rey an, jungen Menschen aus einem Partnerstaat den kontrollierten Zugang zum Schweizer Lehrstellenmarkt zu bieten.
Einreisen-Lernen-Zurückkehren
«Mit den nötigen Stützmassnahmen vor der Abreise sowie Reintegrationsmassnahmen im Heimatland könnte ein solches Modell zu einer Win-Win-Win-Situation für die Schweiz, das Partnerland und die Migranten werden», sagte sie.
Nebst solchen Migrations-Partnerschaften appellierte Calmy-Rey daran, den Möglichkeiten und den Herausforderungen der Migration mit Offenheit, Toleranz und Kreativität zu begegnen. Sie sprach sich gegen die Schwarz-Weiss-Perspektive aus, die lediglich Gefühle der Angst und des Verlustes der Heimat stärke.
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Kein Wachstum ohne Ausländer
«Wir müssen keine Angst vor dem Fremden haben, denn die Schweiz ist ein starkes Land und unsere Identität und unsere Werte sind fest verankert», sagte sie.
«Leider ist der Begriff der Migration in der öffentlichen Diskussion sehr negativ besetzt», sagte Botschafter Thomas Greminger gegenüber swissinfo. Viele Menschen würden dabei in erster Linie an kriminelle Ausländer oder Asylmissbrauch denken.
Dabei werden laut dem Leiter der Politischen Abteilung IV des Aussenministeriums die positiven Beiträge von Migranten unter den Tisch gekehrt, beispielsweise ihre Beiträge zum Wirtschaftswachstum der Schweiz.
Greminger verweist darauf, dass die Schweiz generell eine erfolgreiche Integrationspolitik betreibe, die im Ausland Beachtung finde. «Die Rückkehrhilfen für die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien gelten als beispielhaft, sowohl was die individuelle als auch die strukturelle Unterstützung angeht.»
Integrationsvertrag, aber nicht für alle
Auch Eduard Gnesa, Direktor des Bundesamtes für Migration (BFM), unterstreicht die Bedeutung der Migration für die Schweiz. «Jede vierte Arbeitskraft stammt aus dem Ausland, deshalb haben wir grosses Interesse, dass diese Gruppe gut integriert ist», sagt der Chefbeamte.
Es gebe aber auch Negatives. «Einige Parteien wollten in den letzten zehn Jahren nicht wahrhaben, dass Probleme hinsichtlich Kriminalität und schlecht integrierten Jugendlichen existieren.»
Angehörige von Risikogruppen, namentlich mit Herkunft vom Balkan, sollten deshalb einen Integrationsvertrag unterschreiben müssen. «Darin sind die Rechte aufgelistet, aber auch die Pflichten in der Schweiz», so Gnesa.
swissinfo und Agenturen
Das verschärfte Asyl- und Ausländergesetz wurde im September 2006 vom Schweizer Volk mit 68% Ja-Stimmen angenommen. Es handelte sich um die neunte Revision seit 1984.
Das revidierte Asylgesetz setzt die Sozialhilfe an abgewiesene Asylbewerber aus und verdoppelt die maximale Ausschaffungshaft für Menschen mit negativem Asylbescheid auf zwei Jahre.
Das neue Ausländergesetz bevorzugt Bürger aus Staaten der Europäischen Union (EU) und beschränkt die Einwanderung von Nicht-Europäern auf hochqualifizierte Arbeitskräfte. Die Bedingungen einer Familienzusammenführung werden erschwert.
Damit zählt die Schweiz in Europa zu den Ländern mit den strengsten Ausländerbestimmungen. Sie wurde deswegen auch international kritisiert.
Die Idee der ausländischen Lehrlinge löse das Problem nicht, meinte der Schweizerische Gewerbeverband. Die jungen Leute kämen aus anderen Kultursystemen und könnten in der Schweiz nicht rasch genug integriert werden.
Andererseits müssten sie nach der Lehre wieder gehen, und dann hätte die Schweiz trotzdem wieder einen Mangel an Fachkräften.
Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund zeigte kein Verständnis. In der Schweiz herrsche Jugendarbeitslosigkeit. Bereits heute fänden viele Schulabgänger keine Lehrstelle.
20’000 Jugendliche seien in einer so genannten Warteschlaufe und warteten teils Jahre auf eine Stelle. Am meisten benachteiligt von der neuen Idee wären Kinder von Migranten.
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