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Calmy-Rey reist in den Kosovo

Serben demonstrieren nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos in der Schweiz. Reuters

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey beginnt am Donnerstag eine Reise durch Südosteuropa. In Pristina wird sie eine Schweizer Botschaft eröffnen. Bereits im Vorfeld wird Kritik laut: Die Schweiz belaste dadurch die Beziehungen zu Serbien.

Nach ihrem Besuch in Iran, der ihr harsche Kritik von den USA und Israel einbrachte, steht Bundesrätin Micheline Calmy-Rey erneut vor einer heiklen Mission: Am Donnerstag startet sie eine fünftägige Osteuropa-Reise, die sie neben Bosnien-Herzegowina und Mazedonien auch nach Kosovo führt.

Dort wird sie in Pristina das bisherige Schweizer Verbindungsbüro offiziell zur Schweizer Botschaft erklären. Die Schweiz spielt damit einmal mehr eine Vorreiterrolle im Kosovo: Bisher unterhält im Kosovo einzig Grossbritannien eine Vertretung, die von einem Botschafter geführt wird.

Auch der Besuch Calmy-Reys folgt rasch: Nach dem schwedischen Aussenminister Carl Bildt ist die Schweizer Aussenministerin das zweite ausländische Regierungsmitglied, das den unabhängigen Kosovo besucht. Mit der Anerkennung Kosovos wartete die Schweiz ebenfalls nicht lange zu: Sie anerkannte den Kosovo bereits zehn Tage nach der Unabhängigkeit. Der serbische Botschafter in der Schweiz ist darauf abgezogen worden.

Schnelligkeit erstaunt

Die Schnelligkeit, welche die sonst eher für ihre Zurückhaltung bekannte Schweiz im Kosovo an den Tag legt, erstaunt.

Die Schweiz lege grossen Wert auf den Ausbau ihrer guten Beziehungen zu den drei Balkanländern, heisst es in der Medienmitteilung des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Südosteuropa stelle seit den 1990er-Jahren einen Schwerpunkt des aussenpolitischen Engagements der Schweiz dar. Das Budget der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und des Staatssekretariats für Wirtschaft Seco sieht für 2008 einen Betrag von 67 Mio. Franken für die ganze Region vor.

Zudem begleite die Schweiz den politischen Dialog zur Wiederherstellung des Vertrauens zwischen den Gemeinschaften, heisst es weiter.

Die Eröffnung der Schweizer Botschaft im Kosovo dürfte die schweizerisch-serbischen Beziehungen, die seit der Anerkennung Kosovos durch die Schweiz mehr als getrübt sind, jedenfalls alles andere als verbessern, zumal Calmy-Rey Serbien nicht besucht. Weshalb die Aussenministerin auf ihrer Südosteuropa-Reise ausgerechnet Serbien auslässt, dazu ist weder in Bern noch in Belgrad etwas zu vernehmen.

Kritik vor der Reise

In der Schweiz wird an Calmy-Reys Reise Kritk laut, bevor sie ihre Reise überhaupt in Angriff genommen hat. «Nach dem Wahlsieg der prowestlichen Kräfte in Serbien wäre eine Geste gegenüber Belgrad angebracht gewesen. Doch die Schweiz und die EU tun alles, Serbien in die Arme Russlands zu treiben», sagt Dick Marty, der freisinnige Präsident der aussenpolitischen Kommission des Ständerates, der kleinen Parlamentskammer, am Mittwoch in der Zeitung «Der Tages Anzeiger».

Marty, der bereits vor einer raschen Anerkennung Kosovos gewarnt hatte, sieht keinen Grund, weshalb die Aussenministerin derart schnell den Kosovo besucht – ohne dabei auch Halt in Serbien zu machen. Das Angebot Calmy-Reys, sie auf der Reise zu begleiten, hat er abgelehnt.

Auch aus dem Lager der Schweizerischen Volkspartei (SVP) wird einmal mehr Kritik an Calmy-Rey laut. «Damit wird die Schweiz als Vermittlerin im Balkan massiv an Einfluss verlieren, wie im Nahen Osten und seit neuestem auch in Iran», sagt SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli im «Tages Anzeiger».

Das EDA will zurzeit zu dieser Kritik keine Stellung nehmen. Es werde während der Reise laufend informieren, liess es verlauten.

«Logische Selbstverständlichkeit»

Mario Fehr, Nationalrat der Sozialdemokratischen Partei (SP) und Mitglied der aussenpolitischen Kommission, kann mit dieser Kritik nichts anfangen. Die Eröffnung der Botschaft in Pristina ist für ihn «ein wichtiges politisches Zeichen, dass sich die Schweiz für Stabilität und Frieden in der Region engagiert.»

Der Bundesrat habe entschieden, Kosovo anzuerkennen, die Schweiz leiste massgebliche zivile und militärische Hilfe – da sei die Eröffnung einer Schweizer Botschaft «eine logische Selbstverständlichkeit», sagt er gegenüber swissinfo. Es reiche nicht, den Kosovo anzuerkennen, man müsse dann auch Verantwortung übernehmen.

Die Schweiz habe grossen Einfluss vor Ort und habe bereits relativ früh eine Führungsrolle übernommen. «Wer eine Führungsrolle übernimmt, braucht auch eine Botschaft.»

Schon 2005 hatte Aussenministerin Micheline Calmy-Rey gesagt, dass die Schweiz eine formelle Unabhängigkeit für den Kosovo befürworte.

«Serben entscheiden selbst»

Den Vorwurf, die Schweiz würde auf diese Weise Serbien weg von Europa führen, bezeichnet er als «völlig verfehlt»: «Serbien entscheidet selbst, welchen Weg es gehen will. Wenn jemand Serbien in die Arme Russlands treibt, dann sind es die serbischen Nationalisten und nicht die Schweiz.»

Gemäss Fehr wird durch das Engagement der Schweiz im Kosovo auch nicht die Neutralität tangiert. «Die meisten Länder in Europa werden über kurz oder lang den Kosovo anerkennen. Und nur so können wir uns engagieren für Minderheiten im Kosovo.»

Ausserdem werde im Mai 2008 die aussenpolitische Kommission nicht nur nach Kosovo und Bosnien, sondern auch nach Serbien reisen.

Auch für den neuen SP-Präsidenten Christian Levrat, der kürzlich noch den Besuch Calmy-Reys im Iran kritisiert hatte, gibt es in Bezug auf die Eröffnung der Botschaft in Kosovo «nichts zu beanstanden». Die Schweiz sei angewiesen auf gute Beziehungen zu Kosovo, denn angesichts des hohen Anteils von Kosovaren in der Schweiz stehe viel auf dem Spiel, sagt er.

swissinfo, Corinne Buchser

Bundesrätin Micheline Calmy-Rey weilt vom 27. bis 31. März in Südosteuropa. Sie besucht Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Mazedonien. In Pristina trifft die Aussenministerin Premierminister Hashim Taci und Präsident Fatmir Sejdiu.

Gespräche wird sie auch mit dem Internationalen Zivilen Vertreter Pieter Feith sowie mit dem Chef der Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Tim Guldimann, führen.

Ausserdem will Calmy-Rey während ihres zweitägigen Aufenthalts im Kosovo Projekte der bilateralen Zusammenarbeit sowie Angehörige der Swisscoy besuchen. Auch Gespräche mit Vertretern der verschiedenen Gemein­schaften Kosovos stehen auf dem Programm.

In der Schweiz leben rund 270 000 Personen aus den drei südosteuropäischen Ländern (Kosovo: ca. 170’000, Mazedonien: ca. 60’000, Bosnien-Herzegowina: ca. 40’000).

In der Schweiz leben zwischen 170’000 und 190’000 Kosovarinnen und Kosovaren. Das entspricht rund 10% der Bevölkerungszahl im Kosovo.

Seit 1999 beteiligt sich die Schweiz an den von der Nato angeführten internationalen Friedenstruppen KFOR. Rund 200 Swisscoy-Soldaten sind im Kosovo stationiert.

Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Geberländern des Kosovo. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wollen für ihre Hilfsprogramme 2008 13,9 Mio. Franken einsetzen.

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