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Combien Français pour Bundesrat?

Markus Ritter Bundesrat französisch
Markus Ritter redet als Gast im Westschweizer Fernsehen RTS. RTS

Zwei Männer wollen Bundesrat werden. Gute Kenntnisse des Französisch gehören eigentlich dazu. Doch da bestehen Schwächen. Wie schlimm ist das? Eine Betrachtung.

Spätestens wenn Bundesrat Alain Berset jeweils von Französisch auf Deutsch wechselte, merkten die anderen Regierungsmitglieder im Raum: Das ist ihm jetzt wichtig.  

Berset war ein Bundesrat, der mit seinen Sprachkenntnissen punktete. Andere Mitglieder des Bundesrats sind sprachlich weniger begabt, haben teils aber erstaunliche Lernkurven hingelegt, darunter der aktuelle Wirtschaftsminister Guy Parmelin, auch ein Romand, der 2018 noch oft ins Holpern geriet – auf Deutsch wie auf Englisch – etwa als er sagte: «I can English understand but je préfère répondre en français».

Hier die Szene:

«Um Bundesrat zu werden, muss man die Landessprachen können. Um dann ein guter Bundesrat zu werden, muss man Englisch können.» Das sagte Gerhard PfisterExterner Link 2015 im «Tages-Anzeiger». Und das ist nicht ohne Ironie.

Spott für die Französischkenntnisse

Denn zehn Jahre später ist Pfister Präsident der Mitte-Partei, und just diese Partei präsentiert nun zwei Bundesratskandidaten mit Fremdsprachproblemen: da kein Englisch – dort kein Italienisch und das Französisch, wohlwollend beurteilt, knapp genügend.

Aufgefallen ist zuerst Markus Ritter, schweizweit bekannt als Bauernpräsident. Ritter sagt von sich selbst, dass sein Englisch schlecht sei, es reiche gerade, um ein Bier zu bestellen. Sein Französisch aber sei «sehr gut».

Das sehen Französischsprechende anders. In der Romandie hat seine Sprachkompetenz nach einem Auftritt bei RTS kürzlich für Spott gesorgt.

Hier die Szene:

«Dieser Typ will also Präsident werden», witzelte ein Komiker auf TiktokExterner Link. Ritter klinge wie ein alter St. Gallischer Pudel mit eingeklemmtem Fuss. «Dass er sich so schlecht auf Französisch ausdrückt, hat mich schockiert», sagt auch Politologe Sean Müller von der Universität Lausanne.

In der Schweiz werden offiziell vier Sprachen gesprochen: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, in dieser Reihenfolge. Deutsch dominiert, und Französisch ist die dominierende Minderheit. «Es ist eine loyale Minderheit, die oft für staatstragende Lösungen votiert», sagt Sean Müller.

Die Romandie habe allein schon deshalb einen berechtigten Anspruch darauf, dass sich ein Regierungsmitglied auf Französisch ausdrückt. «Dass sich ein Mehrheitsvertreter die Mühe macht, in der Sprache der Minderheit zu reden, ist ein enorm wichtiges Zeichen», sagt Müller. Es geht letztlich um Respekt.

«Italienisch wird leider oft vergessen»

Denn ab dem Moment seiner Wahl vertritt ein Mitglied des Bundesrats nicht mehr seine Partei oder seine Region, sondern die ganze Schweiz in ihrer Vielfalt. Sean Müller hat noch heute den Satz eines Tessiner Parteipräsidenten in Erinnerung, geäussert 2017 in einem RSI-TalkExterner Link: «Es gibt Leute im Tessin, die haben noch nie einen Bundesrat Italienisch reden gehört.» Wie sich das anfühlt, können sich Deutschschweizer:innen wohl nur schwer vorstellen.

«Italienisch wird hie und da leider etwas vergessen», sagt Oswald Sigg, ehemaliger Bundesratssprecher und damit intimer Kenner der Schweizer Regierungsmechanik. Auch Sigg findet: «Ein Mitglied des Bundesrats sollte sich in allen drei Amtssprachen ausdrücken und alle verstehen können.»

Im Alltag von Politik und Verwaltung hat das mehrsprachige Land einen pragmatischen Modus vivendi gefunden: Jede spricht ihre Sprache. Und jeder sollte passiv mindestens eine Landessprache verstehen. Das gilt in der Bundesverwaltung und im Parlament, so fungieren diese auch als Sprachbäder.

Nach der Wahl zum Sprachkurs

«Im Parlament wächst man automatisch in die Fremdsprache hinein, da die Kommissionssitzungen nicht simultan übersetzt sind», sagt Kommunikationstrainerin Myriam Holzner. Sie weiss aber auch von einigen frisch gewählten Parlamentarier:innen, die ihre Kandidatur oder spätestens ihre Wahl ins Parlament zum Anlass für einen Sprachkurs nahmen, um sozusagen fit für Bundesbern, bereit für die Schweiz zu werden.

Holzner weiss aus Ihrer Erfahrung bei der Bundesverwaltung zudem: «Möchte man über alle Regionen etwas durch- oder umsetzen, dann hilft es extrem, wenn bereits der Bund als Absender die Mehrsprachigkeit der Schweiz wirklich lebt.» Denn es gehe nicht nur um Sprache allein, sondern auch um ein Verständnis der anderen Kultur. Sie folgert: «Wer als Bundesratsmitglied im ganzen Land Erfolg haben will, muss sich auf die Kulturen das Landes einlassen.»

Armee als Schule der Landessprachen

Eigentlich sorgt bereits das Bildungssystem in der Schweiz dafür, dass die Bevölkerung eine andere Landessprache zumindest versteht. Doch bei vielen bleibt dies Theorie.

Als wertvoll hat sich auch die Armee erwiesen. Davon berichtet Martin Pfister, der zweite Kandidat, den die Mitte-Partei für die Bundesratswahl vorschlägt. Auch er kämpfte sich durch die Sätze, als er kürzlich vor den Medien nach sehr langer Zeit wieder einmal Französisch sprechen musste.  «Ich habe mein Französisch vor allem im Militär gelernt, lange her», erklärte er seine Fähigkeitslücke.

Ritter Bundesrat französisch
Die beiden Bundesratskandidaten der Mitte: Martin Pfister (l.) und Markus Ritter. Keystone / Michael Buholzer

Ein Gesetz lautet: Wer in der Schweiz Karriere machen will, sollte Deutsch könnenExterner Link. Ein anderes: Wer Bundesrat werden will, muss mindestens zwei Landessprachen beherrschen. Beide sind ungeschrieben.

In der Verfassung steht nichts über die Sprache des Bundesrats. «Dass die Schweizer Landesregierung in zwei Sprachen sprechen muss, darüber herrschte aber von Anfang an Klarheit – und es wurde auch nie angezweifelt», sagt Historiker Urs Altermatt, er hat das Standardwerk zur Schweizer Regierung, das «Bundesratslexikon» herausgegeben.

Altermatt sieht den zweisprachigen Bundesrat als «wichtiges Integrationselement» und als «entscheidend für den Zusammenhalt des Landes». Dabei gibt es auch eine Art Zauberformel für das Gremium aus sieben Köpfen: fünf deutschsprachige, zwei Lateiner. «Ausnahmsweise gab es auch mal Phasen mit Verhältnissen von sechs zu eins oder drei zu vier», ergänzt der Historiker.

Es macht eine Bundesrätin wie die französischsprachige Elisabeth Baume-Schneider nicht unsympathisch, wenn sie an einer Medienkonferenz nach einem Fachbegriff auf Deutsch suchen muss, oder wenn ihr eine SRF-Moderatorin bei dieser Wortsuche zu Hilfe eilt, weil es die Magistratin so lange sucht und doch nicht findet. Wer sich beim Fehlermachen beobachten lässt, wirkt im Minimum nahbar.  

Die Erwartungen sind gestiegen

«Alleine, dass ein Bundesrat einen Medienauftritt in der Fremdsprache wagt und durchzieht, kommt in der Bevölkerung sehr gut an», sagt Sean Müller. Als «Goldstandard» gelte dabei die Teilnahme an kontroversen Diskussionsgefässen, live am TV. Bundesrat Albert Rösti punktete schon in «Infrarouge» auf RTS, Elisabeth Baume-Schneider in der «Arena» auf SRF. Niemand erwartet da sprachliche Perfektion, aber alle sehen Engagement.

Dennoch sind die Erwartungen an die Sprachkompetenz gestiegen, insbesondere was Englisch anbelangt. «Durch die Globalisierung ist Englisch zur Lingua Franca geworden und nach 1989 hat sich auch in der Schweiz der Druck erhöht, dass Bundesratsmitglieder Englisch sprechen sollten», sagt Bundesratslexikon-Herausgeber Urs Altermatt. Unvergessen bleibt der Auftritt von Bundesrat Ueli Maurer bei CNN 2019.

Hier die Szene:

In einer Live-Schaltung sahen die Zuschauenden, wie der Schweizer Bundespräsident einfache Fragen nicht verstand. Und sie hörten, wie ein Sprecher im Hintergrund dem Schweizer Bundespräsidenten die Worte auf Englisch in der korrekten Diktion einflüsterte.

«Why is this not in English?»

Englisch ist in der Schweiz auch längst Alltagssprache. An einem Primarschul-Elternabend in Zürich stand kürzlich ein zugewanderter Vater auf und fragte: «Why is this not in English?» Die Stadt beherbergt zahlreiche internationale Firmen und zieht tausende Expats an.

«Mit Englisch sind wir faktisch inzwischen eine fünfsprachige Schweiz», sagt Politologe Sean Müller. Doch zur offiziellen Landessprache wird Englisch so schnell nicht.  Wie die Zürcher Schulen verzichtet auch die äusserst internationale Auslandschweizer-Organisation ASO bewusst darauf, Englisch als interne Kommunikationssprache zuzulassen. Wenn Investition in Fremdsprachen, dann in Landessprachen, lautet die landesweit akzeptierte Lösung.

Geht es ohne Englisch? 

Zu besetzen ist aktuell die Spitze des Verteidigungsdepartements. Auf den ersten Blick ist es ein Ministerium, in dem ein Bundesrat ohne Englischkenntnisse wie Markus Ritter weniger an Grenzen stossen könnte. Es ist naturgemäss nach innen gerichtet, Reisetätigkeit hält sich in Grenzen. Doch internationale Konferenzen, Verhandlungen und Ereignisse erwarten früher oder später jedes Bundesratsmitglied, gerade im Jahr des Bundespräsidiums.

Wie wichtig Fremdsprachkenntnisse auch im VBS sind, illustriert Politologe Sean Müller mit dem grössten Sieg, den die abtretende Verteidigungsministerin Viola Amherd verbuchen konnte: Sie gewann die Stimmbevölkerung für den Kauf eines neuen Kampfjets.

«Es gab damals Strategiepapiere bezüglich der Zielgruppe», erzählt Müller. «Man wusste von Beginn an, man würde die Romandie und die Frauen überzeugen müssen.» Resultat davon war eine Kampagne mit einer jungen Kampfpilotin aus der Romandie – und Viola Amherd, die französischsprechend durch die Westschweiz tourte.

Ohne Französisch in den Bundesrat? Heute wäre es nicht mehr möglich. Aber 1973 gelang es Willy Ritschard. Schon unmittelbar nach seiner Wahl begann der legendäre Sozialdemokrat aber wie besessen, Französisch zu büffeln. Oswald Sigg, sein damaliger Mitarbeiter, erzählt: «Auf jeder Autofahrt durch die Schweiz sass er auf der Rückbank, ein französisches Schulbuch auf dem Schoss.» Ritschard ging als beliebtester Bundesrat in die Geschichte ein.

Bundesrat französisch
Ohne Französischkenntnisse in den Bundesrat: Willi Ritschard bei seiner Vereidigung 1973. Keystone

Auch Markus Ritter lernt bereits Französisch. «Mehr schaffen als ich kannst du gar nicht», sagt erExterner Link. Er lernt also eifrig. Am 12. März wird gewählt.

Editiert von Marc Leutenegger

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