Das Bundeshaus zum Anfassen
100 Jahre alt ist das Schweizerische Parlamentsgebäude. Ein Grund, es für das breite Publikum zu öffnen - mit grossem Erfolg.
Schweiz, Hauptstadt Bern, Bundesplatz. Neben dem grossen Parkplatz, umrahmt von Banken, stehen Menschen in einer langen Schlange vor dem Bundeshaus.
Ein ungewöhnliches Bild, hasten sonst doch nur Parlaments-Abgeordnete, Verwaltungs-Angestellte und Mitglieder der Journalistengilde durch den Haupteingang des ehrwürdigen Gebäudes. Oder aber es skandieren Tausende politische Parolen vor dem Zentrum der politischen Macht der Schweiz.
Sandstein und Spotlights zum Einen…
Das Ungewöhnliche endet auch nach dem Betreten des Bundeshauses nicht. Auf dem roten Teppich, der die Schritte auf der breiten Steintreppe hoch zu den Drei Eidgenossen dämpfen soll, prangt in Leuchtschrift ein Willkommensgruss. Der mächtige Winkelried – der Erkennung halber – ist ebenfalls leuchtend beschriftet.
Mit grossen Augen bestaunen die mehrheitlich schweizerischen Besucher und Besucherinnen die einladende Eingangshalle. «Es ist gewaltig – ich bin reingekommen und da war so ein Wow-Effekt», erklärt ein Innerschweizer.
Altehrwürdig und bescheiden zum Anderen…
Ein junger Schweizer, der lange in Deutschland gelebt hat, staunt über die «riesigen Dimensionen» und ist beeindruckt. Beeindruckt von der Bescheidenheit. Im Vergleich zum deutschen Bundestag hätten in der Schweiz die Politiker viel weniger Platz für sich. Und: «Hightech hat hier noch nicht Einzug gehalten.» Die Möblierung sei alt und auch schön, «einfach und ursprünglich, nicht unsympathisch».
Beliebt scheint die Ausstellung auch bei Kindern zu sein. «Meine Junioren wollten das Bundeshaus mal in Natura sehen», lacht eine Mutter. Sie liess sich überreden, aus Zürich nach Bern zu reisen. Bedingung: Eine Fahrt im Doppelstockzug der SBB.
Die Familie kennt die Zürcher SP-Nationalrätin Regine Aeppli-Wartmann – deshalb das Interesse. Auch wenn die beiden Jungen sich auf dem Stuhl von SVP-Präsident Ueli Maurer tummeln.
Politik und Dynamit
Eigentlich wären sie gerne auf den Sitz der Nationalrats-Präsidentin geklettert, doch dort prangt ein grosser Flachbildschirm. Alte Aufnahmen von früheren Bundesräten flimmern über im Raum verteilte Computer. Und aus Lautsprechern klingt Mani Matters «Dynamit» – die Geschichte eines Mannes, der sich mit Dynamit am Bundeshaus zu schaffen machte. Dank der flammenden patriotischen Rede eines Schweizers liess er davon ab, das Haus in die Luft zu sprengen (siehe Audio).
Am meisten Menschen tummeln sich im Nationalratssaal oder im Zentrum der politischen Entscheidfindung, der Wandelhalle. Die Immobilie und die Mobilien faszinieren Menschen jeden Alters. Die Stimmung ist mal ehrfürchtig, mal locker witzig. Eine junge Frau erklärt, weshalb sie nie während der Session das Bundeshaus besucht hat: «Den Politikern zuschauen wie sie die Zeitung lesen?»
Der Staat ruft – Tausende kommen
Eine in der Schweiz verheiratete Brasilianerin blickt nachdenklich in die Runde des Stöckli, des Ständeratssaales. Sie will das politische System der Schweiz besser begreifen. Gleichzeitig schwenkt ein kleiner Junge eine kleine Schweizerfahne.
Ein Bundeshaus zum Anfassen. 500 Besucherinnen und Besucher erwarteten die Verantwortlichen täglich. In den ersten Tagen der Ausstellung waren es pro Tag zehnmal mehr. Der Ausstellungserfolg liess die Besucher im Regen stehen, denn die Schlange vor dem Bundeshaus ist lang, die Wartezeit kann ausnahmsweise bis zu einer Stunde dauern.
Der Grund: Seit dem Amoklauf im Zuger Kantonsrat sind Sicherheits-Kontrollen im Bundeshaus obligatorisch. Die Besucherinnen und Besucher müssen nicht nur einen Metalldetektor passieren, sondern sich auch ausweisen und ihr Gepäck vorzeigen. Auch werden nicht mehr als 400 Leute gleichzeitig ins Bundeshaus gelassen, weil sonst im Falle einer Evakuierung Probleme vorprogrammiert wären.
Kurioses aus der Geschichte des Bundesbaus
Bevor das Gebäude gebaut und 1902 eröffnet werden konnte, musste Bern überhaupt erst zur Hauptstadt erkoren werden. Dies ging nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne. Es gab einen harten Konkurrenzkampf gegen Zürich, Luzern und Zofingen. Die Argumente für Bern liessen mitunter wenig Selbstsicherheit der Bernerinnen und Berner erahnen.
So stand zum Beispiel im «Berner Intelligenzblatt»: «Da ohnehin von vielen behauptet wird, die bernische Bevölkerung habe noch Vieles nachzuholen, um der zürcherischen an Bildung gleichzukommen, so ist es um so mehr heilige Pflicht von Seiten Zürichs, auf freundeidgenössische Weise der Schwesterstadt Bern die Aufnahme der Herren Räte zu gönnen, damit die Berner durch den Umgang mit diesen vielseitig gebildeten Männern selbst an Bildung und Takt im Umgang gewinnen können.»
Im «Nouvelle Vaudois» wurde für den Standort Bern damit geworben, dass «Bern den Räten ausserhalb der Sitzungen so wenig für Unterhaltung und Bildung bietet, dass sie die Sessionen möglichst abkürzen und damit dem Bund Geld sparen werden».
Rebecca Vermot und Agenturen
Die Ausstellung ist bis zum 30. August täglich geöffnet. Im Zentrum steht die Architektur des Nationaldenkmals und die Symbolik der Kunstwerke.
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