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Das Emmental feiert seinen Gerber Tinu

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Er ist mit Roger Federer der erfolgreichste Schweizer Exportschlager im Sport: Der Eishockey-Goalie Martin Gerber. Am Montag hat der Emmentaler in seiner Heimat "seinen" Stanley Cup präsentiert.

Rund 1500 Personen strömten in Langnau zu einem Volksfest zusammen, um «Tinu» samt dem über 15 Kilogramm schweren Riesenpokal zu feiern.

Das Emmental zwischen Bern und Luzern: Verträumte bewaldete Hügel, durchfurcht von tiefen Gräben («Chräche»), wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen.

Dieses Emmental ist aber auch selbstbewusste Exportregion, aus der neben dem weltberühmten Emmentaler Käse etwa die Biscuits von Kambly stammen.

Zu den Exportschlagern mit dem Gütesiegel «Us em Ämmitau», das für höchste Qualität bürgt, gehört auch Martin Gerber. Der 31-jährige Langnauer erzählt aber weder einen Käse noch backt er kleine Bretzeln: Seine Bühne ist das Glatteis – Gerber ist einer der besten Eishockey-Torhüter der Welt.

Der Pokal, der die Eishockeywelt bedeutet

Als zweiter Schweizer Eishockey-Profi nach seinem Nationalmannschafts-Goaliekollegen David Aebischer (2001 mit Colorado) gewann Gerber im Frühling mit seinem damaligen Team, den Carolina Hurricanes, den Stanley Cup. Als einer von erst 75 Europäern, denen dieses Kunststück bisher gelungen ist.

Zu Hunderten stehen Menschen Schlange vor dem Hirschen in Langnau und warten darauf, im Festsaal einen Blick auf den Star aus ihren Reihen und sein imposantes Mitbringsel zu werfen.

Der 15,5 Kilogramm schwere Kübel aus massivem Silber für das Siegerteam der nordamerikanischen Hockey-Meisterschaft NHL ist die prestigeträchtigste Trophäe des Eishockeys. Zumindest in den USA und Kanada, wo ein Weltmeistertitel oder Olympiasieg lediglich als nettes Nebenbei gilt.

Der Schlag der Emmentaler

Die Emmentaler sind nicht erst seit Gotthelf als bodenständiger Schlag bekannt. «Tinu hie», sagen sie, wenn der Held, an die Trophäe gelehnt, in ihre Kameras blicken soll.

Und sie verlieren den Boden nicht so schnell unter ihren Füssen, auch nicht nach einem guten Handel. Gerber, der jüngst für die Ottawa Senators unterschrieben hat und dort bis 2009 jährlich knapp fünf Mio. Franken verdienen wird, hält nicht als König einer Glamourwelt vor seinen Langnauer Untertanen Hof.

Gerber ist vielmehr so heimgekehrt, wie er die Heimat verlassen hat: Als bescheidender, aber stolzer Sohn des Emmentals. Dank seines aussergewöhnlichen Fleisses und Geschickes hat er es in der weiten Welt zu Etwas gebracht. Dennoch ist ihm im trauten Kreis viel wohler als im Rampenlicht.

Amerikanisches Ungetüm, europäische Wurzeln

Der Stanley Cup, Ende der 1880er-Jahre vom englischen Generalgouverneur desselben Namens in Montreal gestiftet, ist eine besondere Trophäe. Nicht nur der typisch nordamerikanischen Dimensionen wegen.

Es ist der Wanderpokal schlechthin, denn alle Spieler des Siegerteams erhalten den Cup für einen Tag, um den Erfolg in ihrer Heimat zu feiern.

Familientreffen mit Premiere

Im Hirschensaal ist der heimgekehrte Sohn aber zu allererst Grossneffe: Das Vorrecht der ersten Gratulantin geniesst Grosstante Hermine Ramseier-Gerber sichtlich: «Ich bin dein ältester Fan», stellt sich die 90-Jährige lachend vor.

Es hat fast hundert Jahre und gut 15 Kilogramm Silber bedurft, bis die Frau aus Eggiwil ihren Neffen aus Langnau zum ersten Mal in ihrem Leben trifft. Familienzusammenführung auf emmentalisch, mit gütiger nordamerikanischer Mithilfe sozusagen.

Hermine Ramseier ist in Begleitung ihrer Tochter sowie zweier Tanten Martin Gerbers. Letztere sind es, welche die alte Frau mit den neuesten Zeitungsartikeln über die sportlichen Grosstaten ihres Neffen draussen in der weiten Welt versorgen.

«Martin ist heute noch genau wie damals als ‹Schulbueb›: Lieb, sympathisch, langsam und gemütlich», beschreiben ihn die beiden Tanten.

Das Vorbild

Nach dem Familientreffen wird «Tinu» zum Sohn aller. «Ich bin mächtig stolz auf ihn, besonders wenn man schaut, woher er kommt und wo er jetzt steht», zollt ihm eine junge Langnauerin Anerkennung. «Es ist schön und sehr emotional, neben Tinu Gerber zu stehen.»

Die Grösse von «Stanley», wie der Protz von Hockey-Insidern genannt wird, hat durchaus ihren Sinn, denn jedes Jahr werden die Namen aller 25 Spieler des NHL-Meisterteams eingraviert.

Permanenter Hochglanz

Nach Langnau kam die Trophäe nicht allein, sondern im Tross mit fünf Männern, drei aus Nordamerika und zwei aus dem Gastland. Vier kümmerten sich um Bewachung und Transport, während ein «Polier» den Silberbecher von Zeit zu Zeit mit zwei gelben Tüchern glänzig rieb. Ganz ohne professionellen Glamour geht es auch in Langnau nicht ab.

Martin Gerbers Name hat auf dem Cup, wie er ihn seinen Fans präsentierte, keinen Platz mehr. Dieser wird geschaffen, indem der oberste Ring von einem kundigen Silberschmied entfernt wird. Dieser kommt dann ins Museum.

Ein Baum des (Sportler-)Lebens

Unten wird ein neuer Ring angesetzt, auf dem Gerber und seine Ex-Kollegen von den Hurricanes verewigt werden. Auf einmal wird das protzig-klobige Ungetüm zum lebendigen Baum. Im Gegensatz zu denjenigen aus Holz wächst er aber nicht im Jahresrhythmus von innen nach aussen. Sondern ganz unamerikanisch in 13-Jahres-Schritten. Gemütlich, wie es Martin Gerber ist.

Dieser, als der gefeierte Held des Tages, soll das letzte Wort haben: «Mit dem Gewinn des Stanley Cups ist ein Bubentraum in Erfüllung gegangen. Jedes Jahr versuchen 700 Spieler, ihn zu gewinnen, aber nur 25 von ihnen schaffen es. Davon kann man sehr lange zehren.»

swissinfo, Renat Künzi, Langnau

Martin Gerbers Goalie-Konkurrent David Aebischer war der erste Schweizer, der in der NHL den Durchbruch schaffte (Colorado, 2001 Sieger des Stanley Cup).

Die beiden Torhüter sind die Wegbereiter für Schweizer Spieler in die NHL.

Im kommenden Winter spielen gleich vier Schweizer in der renommiertesten Eishockey-Meisterschaft der Welt: Neben Gerber (Ottawa), Aebischer, Mark Streit (beide Montreal) neu auch Patrick Fischer (Phoenix).

An den Olympischen Spielen von Turin schlug die Schweiz die Eishockey-Lehrmeister aus Kanada in einem historischen Spiel mit 2:0, auch dank eines so genannten Shut-Outs von Martin Gerber (kein Tor kassiert).

Martin Gerber (31) wächst mit fünf Geschwistern in Langnau in einfachen Verhältnissen auf.

Beim SC Langnau attestieren ihm die Trainer kaum Entwicklungspotenzial, er wird abgeschoben.

Er spielt 1991 bis 1993 beim SC Signau in der 2. Liga (vierthöchste Schweizer Spielklasse).

Nach einer Saison bei Thun (1. Liga) kehrt er zu seinem Stammverein SC Langnau zurück, mit dem er 1998/1999 den Aufstieg von der Nationalliga B in die A-Liga schafft.

2001/2002 gelingt ihm der internationale Durchbruch: Gerber hat grossen Anteil am schwedischen Titelgewinn von Färjestad.

2002 wechselt er zu den Anaheim Mighty Ducks in die NHL nach Nordamerika.

2005/2006 ist Gerber bei den Carolina Hurricanes, mit denen er den Stanley Cup gewinnt.

Ab nächster Spielzeit steht der Emmentaler im Tor der Ottawa Senators, wo er Goalie-Legende Dominik Hasek ersetzt. Gerber besitzt einen Dreijahresvertrag, der mit knapp 15 Mio. Franken dotiert ist.

Mit seinen überragenden Reflexen und seiner Konzentration ist Gerber auch der Grundstein des so genannten Schweizer Eishockey-Wunders: Unter Coach Ralph Krueger hat sich die Schweiz als eines der acht besten Teams der Welt etabliert.

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