Das muss Sie an der Herbstsession 2024 interessieren
Die Herbstsession (9. bis 27. September) bringt Aussen- und Verteidigungspolitik in die Eidgenössischen Räte. Zunehmend achtet das Parlament auch darüber, wie das Ausland Einfluss in der Schweiz ausübt. Unser Sessions-Ausblick.
Was Auslandschweizer:innen betrifft
Neuer Anlauf in Sachen Krankenkassenlösung für Schweizerinnen und Schweizer, die in nicht EU/Efta-Länder ausgewandert sind: Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte) findet es stossend, wenn Ausgewanderte ein Leben lang in die Grundversicherung einbezahlt haben, eventuell nie Leistungen bezogen und bei Auswanderung dann ihre Krankenkasse aufgeben müssen.
Sie will, dass der Bundesrat aufzeigt, wie «Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer auf freiwilliger Basis die bisherige Grundversicherung einer Schweizer Krankenkasse fortführen können.» Der Bundesrat empfiehlt das PostulatExterner Link zur Ablehnung. Die Auslandschweizer-Organisation ASO setzt sich dafür ein.
Die ASO argumentiert, mit einer Schweizer Krankenkasse würden diese Leute das Gesundheitssystem entlasten, «da sie nicht mehr aus Krankheitsgründen in die Schweiz zurückkehren müssten, sondern sich in ihren oftmals günstigeren Wohnländern behandeln lassen könnten.»
Kinderrenten auf der Kippe
Gleichzeitig wehrt sich die ASO gegen einen erneuten Angriff auf die Kinderrenten. Einige sind bereits gescheitert, dieser aber kommt von der Sozialkommission des Nationalrats. Vor allem die Rechte stört sich an den Kinderrenten, weil ausgewanderte Schweizer damit auch Kinder einer ausländischen Ehefrau im Ausland alimentieren können. Sie sieht Missbrauchspotenzial. Aber auch die Linke sieht Kinderrenten skeptisch, da diese zu 90% an Männer ausbezahlt werden und so patriarchale Strukturen stützen.
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Ob in der Schweiz oder im Ausland: Die Kinderrenten sollen abgeschafft werden
Die nun vorliegende MotionExterner Link schlägt die Abschaffung vor – bei gleichzeitiger Kompensation über das System der Ergänzungsleistungen. Das würde nach Ansicht der ASO aber die Auslandschweizer auf der Strecke lassen. Der Nationalrat hat die Motion bereits angenommen.Externer Link «Im Fall einer Annahme des Vorstosses müsste der Bundesrat dringend die Situation der einkommensschwachen Auslandschweizer-Eltern mitbedenken», fordert die Lobby der Fünften Schweiz.
Diskriminierte Schweizer:innen
Im Ständerat kommt in der Herbstsession eine Vorlage nochmals ins Wanken, deren Annahme eigentlich nur noch Formsache schien. Es geht um den Familiennachzug von Schweizerinnen und Schweizern mit Verwandtschaft im Ausland. Davon betroffen wären zum Beispiel Schweizer Rückkehrende, die ihre Schwiegereltern aus Drittstaaten in die Schweiz holen möchten.
EU-Bürger:innen haben in dieser Hinsicht heute mehr Rechte als Schweizer:innen. Das ist eine Diskriminierung von Inländern, und diese wollte ein Vorstoss beseitigenExterner Link. Der Nationalrat hatte die Gesetzesänderung in der Sommersession klar angenommen, im Ständerat aber steht das Geschäft nun wieder auf der Kippe, denn die zuständige Kommission empfiehlt ein Nein. Es sei zu wenig klar, welche Konsequenz das Gesetz bezüglich zusätzlicher Einwanderung habe.
Ins Wanken ist auch das Auslandsbudget der Schweizer Kulturförderung gekommen. Die zuständige Nationalratskommission schlägt vor, die Auslandaktivitäten von Pro Helvetia um 6,5 Millionen Franken zu kürzen. Wir haben hier darüber berichtet. Bei der Festlegung der Kulturbotschaft 2025 – 2028Externer Link wird dies zuerst im Nationalrat und dann im Ständerat Teil diskutiert.
Weiterhin auf Kurs ist hingegen die E-ID. Der entsprechende GesetzentwurfExterner Link des Bundesrats hat im Frühling den Nationalrat mit deutlicher Zustimmung (175 Ja, 12 Nein) passiert. In der Herbstsession nun kommt er in den Ständerat, und auch hier empfiehlt die vorberatende Kommission ein Ja.
Drei Jahre nach dem Scheitern einer ersten Vorlage scheint damit möglich, dass die E-ID im Jahr 2026 eingeführt wird. Für Schweizer:innen im Ausland würde dies Behördengänge, allenfalls auch Bankgeschäfte erleichtern. Eine funktionierende E-ID sieht die ASO auch als Voraussetzung für eine flächendeckendes Schweizer E-Voting-System an.
Der Nationalrat wird zudem über ein aufdatiertes Doppelbesteuerungsabkommen mit Serbien befinden.
Schweiz – EU
Zwischen Bern und Brüssel laufen Verhandlungen. Wenig dringt nach aussen, doch arbeitete die Politik über den Sommer an ihren Positionen. Nebst dem permanent ablehnenden Grundrauschen der SVP hat insbesondere Mitte-Präsident Gerhard Pfister in InterviewsExterner Link eine Steuerung der Zuwanderung gefordert. Und im Parlament will nun FDP-Parteichef Thierry Burkart mehr Klarheit über das, was auf die Schweiz bei der dynamischen Rechtsübernahme zukommen könnte.
Druck auf den Bundesrat kommt auch von gleich vier Kantonen, die je eine identische StandesinitiativeExterner Link vorlegen. Die Waadt, das Tessin, der Jura und Freiburg fordern darin den Bundesrat auf, «schnellstmöglich die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit die Schweiz weiterhin am Forschungs- und Innovationsprogramm der EU Horizon Europe teilnehmen kann.»
Der Handlungsspielraum des Bundesrats in Sachen Horizon ist aber begrenzt. Die EU hat die Teilnahme der Schweiz an diesem wichtigen Forschungsfonds zum Verhandlungspfand gemacht.
«Die Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union ist zentral»: Das steht übrigens in der aussenpolitischen Strategie 2024 – 2027 des Bundes, die ebenfalls in der Herbstsession zur Kenntnisnahme vor beide Räte kommt.
Schweizer Aussenpolitik in der Herbstsession
Heftiger als die Strategie zur Aussenpolitik dürfte die Strategie der internationalen ZusammenarbeitExterner Link debattiert werden. Für Aufregung hat in diesem Zusammenhang der Plan des Bundesrats gesorgt, einen Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine über die Entwicklungshilfe-Gelder zu finanzieren: 1, 5 der 11,3 Entwicklungshilfe-Milliarden sind dafür vorgesehen.
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Aber nicht nur das ruft Gegner:innen auf den Plan: Dieses Wiederaufbau-Budget soll darüber hinaus auch Schweizer Firmen zugeführt werden, die in der Ukraine tätig sind. Für die Aussenpolitische Kommission des Ständerats blieben in der Vorbereitung des Geschäfts Fragezeichen zu dieser «gezielten Bevorzugung der Schweizer Privatwirtschaft». Eine Empfehlung blieb aus. Wir haben dazu auch ein Interview mit der Schweizer Staatssekretärin für Wirtschaft, Helene Budliger-Artieda, geführt.
Die Schweizer Aussenpolitik betreffen darüber hinaus zwei im Frühling eingereichte Vorstösse im Nationalrat zum Gaza-Krieg, bzw. zu den Schweizer Beiträgen ans Palästinenser-Hilfswerk UNRWA. Einer will diese Zahlungen einstellenExterner Link, einer in die Nothilfe umleitenExterner Link.
Der Nationalrat könnte zudem den Holodomor per Erklärung als VölkermordExterner Link anerkennen. Der Begriff steht für eine 1932 durch Russland herbeigeführte Hungersnot, die in der Ukraine und Kasachstan geschätzt 6 Millionen Menschenleben forderte.
Im Ständerat wird der aktuelle russische Krieg gegen die Ukraine zum Thema. Die Mitte fordert mehr nichtmilitärisches EngagementExterner Link der Schweiz.
Ebenfalls in den Ständerat kommt eine Motion, die genauer hinschauen möchte, wenn die Schweiz ihre CO2-Kompensationen im Ausland einkauft. Konkret kompensiert die Schweiz 50 Millionen Tonnen CO2-Ausstoss in anderen Ländern. Das aber könnte diese Länder animieren, ihre eigenen Klimaziele zu vernachlässigen. «So würde die Erreichung des globalen Klimaziele wegen der Schweizer Klimapolitik geschwächt», heisst es in der Motion der GrünliberalenExterner Link.
Ausländische Aktivitäten in der Schweiz
Für Debatten sorgt zunehmend auch, was ausländische Akteure in der Schweiz tun. Der grösste Brocken in dieser Hinsicht bildet das sogenannte InvestitionsprüfgesetzExterner Link, das nun in den Nationalrat kommt. Mit diesem Gesetz will der Bundesrat Übernahmen von inländischen Unternehmen durch ausländische Investoren verhindern, wenn sie die Interessen der Schweiz gefährden oder bedrohen. Es geht um Branchen wie Rüstung, Telekom, Energie, Wasser oder Transport.
Begleitend dazu kommt auch eine MotionExterner Link von linker Seite. Sie fordert, dass Wasserkraftwerke, Stromnetze und Gasnetze generell nicht von ausländischen Personen gekauft werden können.
Ins Visier des Parlaments geraten ist auch das Tankstellennetz der staatlichen Ölfirma Asarbeidschans, Socar. Mit ihm vertreibt Aserbeidschan an 200 Tankstellen in der Schweiz seine Erdölprodukte. Eine Parlamentarische InitiativeExterner Link will der Schweiz nun Mittel in die Hand geben, damit mit diesen Tankstellen kein Krieg finanziert wird. «Die Schweiz als neutrales Land hat jedes Interesse, nicht an der Finanzierung ausländischer Militärapparate von Staaten zu partizipieren, die sich nicht an die Charta der Vereinten Nationen halten», heisst es in der Begründung dazu.
Genauer hinschauen will die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats zudem bei islamischen Gebetshäusern in der Schweiz, wenn diese aus dem Ausland finanziert werden. Anlass für das PostulatExterner Link bildet eine Offensive der türkischen Religionsbehörde Diyanet. Sie finanziert weltweit Moscheen und gibt den dort tätigen Predigern eine türkisch-nationalistische, mutmasslich islamistische Linie vor.
Innenpolitik: Verteilkämpfe
Die grosse Schlacht der Herbstsession wird aber um die Innenpolitik geführt, vor allem um die Armee. Noch immer steht die Schweiz unter Spardruck und muss ein strukturelles Defizit bewältigen. Gleichzeitig herrscht über alle Parteien hinweg ein Konsens, dass die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz verbessert werden muss. Das allein wird aber kaum zum Passierschein für die Armeebotschaft 2024Externer Link werden.
Der Ständerat hat den Vorschlag der Regierung bereits in der Sommersession um 4 Milliarden erhöht – und gleichzeitig vorgeschlagen, die Hälfte dafür von der Entwicklungshilfe zu nehmen. Jetzt kommt das Geschäft in den Nationalrat – und hier hat die vorberatende Kommission zwar der Erhöhung zugestimmt, aber eine andere Finanzierung, über die Kantone, vorgeschlagen. Differenzen sind damit programmiert.
Im Ständerat liegt derweil die Idee vor, ein befristetes «Sicherheitsprozent»Externer Link auf die Mehrwertsteuer zu schlagen, um die ausserordentliche Finanzierung zu stemmen. Es wird also ein wertegetriebenes Hin und Her, bei der auch die Frage nach der Neutralität nicht fehlen darf. Eine Motion der Sicherheitspolitischen Kommission des NationalratsExterner Link verlangt ein Nein zu Teilnahmen an Nato-Bündnisfallübungen.
Zwar hat sich die Finanzlage inzwischen leicht entspannt. Eine Fehlkalkulation um die erwarteten Kosten bei der staatlichen Altersvorsorge AHV offenbarte unverhofft bessere Finanzaussichten. Doch steigen damit auch die Begehrlichkeiten – und mitunter: die Streitlust.
Die Herbstsession der eidgenössischen Räte in Bern dauert vom 9. bis 27. September. Wir werden darüber berichten.
Editiert von Samuel Jaberg
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