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Das WEF und der Streit um neue Regulierungen

Harte Worte für Banker: Bundespräsidentin Doris Leuthard und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy. swiss-image

Nach dem Pessimismus vor einem Jahr prägte die Frage, wie stark die Politik die Bankenwelt regulieren soll, das diesjährige 40. Weltwirtschaftsforum in Davos. Einig wurden sich die Politiker und die Banker nicht - im Gegenteil.

Bundespräsidentin Doris Leuthard und der französische Präsident Nicolas Sarkozy kritisierten in ihren Eröffnungsreden gleich zu Beginn Bonusexzesse und den mangelnden Willen für eine Reform des Finanzsystems.

Sarkozy kanzelte mit einer kapitalismuskritischen Rede die versammelten Wirtschaftskapitäne ab: Die Globalisierung habe eine Welt geschaffen, wo fast nur das Finanzkapital zähle und die Arbeit wenig.

Es sei normal geworden, mit dem Geld der anderen zu spielen, um schnelle Gewinne zu erzielen, ohne Wohlstand oder Arbeitsplätze zu schaffen. Die Banken hätten ihre Rolle der Finanzierung der realen Wirtschaft nicht mehr wahrgenommen. Warum sollten sie das Risiko eingehen und Unternehmern Geld leihen, wenn Gewinne so einfach durch Spekulationen an den Finanzmärkten zu erzielen waren, fragte Sarkozy.

Ende der Rhetorik

Bundespräsidentin Leuthard forderte ein Ende der Rhetorik: «Jetzt ist Zeit zu handeln.» Der Graben zwischen Rhetorik und Realität öffne sich. In der Realität würden viele Länder sehr wenig für eine Reform des Finanzsystems und der Bonusexzesse unternehmen.

Zudem nehme trotz anderslautenden Bekenntnissen der Protektionismus weiterherum zu. Auch gegen die hohe Staatsverschuldung würden die Staaten wenig machen, sagte Leuthard.

Banker lehnen strengere Regeln ab

Die Banker, die vor einem Jahr als Verantwortliche für den Scherbenhaufen das Rampenlicht am WEF gemieden hatten, versuchten dieses Jahr bereits wieder, ihren angekratzten Ruf aufzupolieren.

Nun sangen sie, die zuvor Milliardengewinne mit spekulativen Geschäften erzielt hatten, das hohe Lied von der edlen Rolle der Banken bei der Finanzierung der Realwirtschaft. Strengere Regeln lehnten sie ab und warfen den Politikern vor, sie hätten mit ihren populären Vorschlägen vor allem ihre Wiederwahl im Auge.

Denn über der Branche schwebt das Damoklesschwert der Vorschläge von US-Präsident Barack Obama: Obama will Banken, riskante Geschäfte wie etwa den Eigenhandel, Hedge-Funds oder Beteiligungsgesellschaften (Private Equity) verbieten sowie die Grösse von Banken beschränken.

Zwar sei eine Reform des Finanzsektors nötig, gestand der Präsident der britischen Grossbank Barclays, Robert Diamond, ein: Aber die Verkleinerung von Banken sei keine Antwort und hätte nur negative Auswirkungen auf Arbeitsplätze und die Weltwirtschaft.

Mahnung zur Eile

Patrick Odier, Präsident der Schweizerischen Bankiervereinigung, warnte gegenüber swissinfo, allzu strikte Regulierungen könnten eine Art Schatten-Banking zur Folge haben: «Werden die Regeln in einem Bereich zu spezifisch, wächst das Risiko, dass gewisse Akteure diesen Bereich verlassen und in noch nicht regulierte neue Bereiche vorstossen. Dort wäre dann eine Kontrolle der Aktivitäten noch viel schwieriger.»

Vertreter von Finanzinstitutionen und Politiker mahnten zur Eile: Der Zeitfaktor für eine Reform des Finanzsystems sei von entscheidender Bedeutung für die öffentliche Meinung in vielen Ländern, sagte die französische Wirtschaftsministerin
Christine Lagarde.

Zudem brauche es eine globale Reform des Finanzsystems: «Wenn wir nur lokale, regionale, nationale oder kontinentale Lösungen finden, ist das das Rezept für eine neue Katastrophe», sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) Jean-Claude Trichet.

Clintons Appell

Neben Themen wie der Fussball-Weltmeisterschaft und Südafrika, neusten technologischen Trends und der Überalterung der Gesellschaft, befassten sich die Manager, Banker und Politiker in Davos auch mit dem verheerenden Erdbeben in Haiti.

Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton rief die Unternehmenschefs zur Hilfe auf. Gemeinsam mit dem WEF wurde eine Initiative gestartet, damit Konzerne sich langfristig beim Wiederaufbau Haitis engagieren.

«Wir müssen provisorische Schulen auf die Beine stellen», sagte Clinton. Die Regierung Haitis habe dafür die Mittel nicht. «In den letzten Wochen habe ich mich nur mit Lastwagen und Toiletten befasst.»

Die bisherigen 15 Verteilzentren für Wasser und Nahrungsmittel reichten bei weitem nicht, sagte Clinton. Man brauche 100 Verteilzentren. Das gehe nur mit Lastwagen, mit denen ein Verteilnetz aufgebaut werden müsse. «Wenn jemand hier im Saal ist, der weiss, wie man das machen kann, soll er sich melden», appellierte Clinton.

swissinfo

Das World Economic Forum wurde 1971 als «Management Symposium» von Klaus Schwab gegründet.

Das WEF ist eine nicht profit-orientierte Stiftung nach Schweizer Recht. Sie setzt sich für ein Unternehmertum im globalen öffentlichen Interesse ein. Die von rund tausend Mitgliederfirmen getragene Stiftung hat ihren Sitz in Cologny, Genf.

Die Organisation sieht sich als Dialog-Plattform zwischen Entscheidungsträgern, als Hilfsinstrument für strategische Entscheide und als Katalysator für verschiedene Initiativen, die den «Zustand der Welt» verbessern wollen.

Das WEF organisiert weltweit Symposien, fördert Initiativen und Arbeitsgruppen, realisiert Studien und schlägt Master-Programme vor.

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