Davos: Schweiz setzt sich gegen Protektionismus ein
Die Schweizer Wirtschaftsministerin Doris Leuthard will in Davos versuchen, wieder mehr Dynamik in die Doha-Runde zu bringen. Deshalb hat sie 20 Minister aus WTO-Mitgliedsländern am Samstag zu einem Treffen eingeladen.
An dem Mini-Ministertreffen in Davos wird auch Pascal Lamy, der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) teilnehmen.
swissinfo: Hier in Davos ist die Stimmung mit Blick auf die Wirtschaftslage eher pessimistisch. Teilen Sie diesen Pessimismus?
Doris Leuthard: Viele Länder stecken in einer akuten Rezession. Niemand weiss, wie lange diese Krise dauern wird und wie gross sie sein wird. Die Prognosen wechseln fast jeden Monat. Angstmacherei nützt niemandem.
Im Bundesrat versuchen wir, das Beste aus dieser Situation zu machen. Wir sind beunruhigt. Ich erhalte wöchentlich Analysen zur Situation der Schweiz und unserer Handelspartner.
Das Wichtigste ist, dass wir unsere Exportbeziehungen verbessern können. In dieser Hinsicht gibt es Hindernisse. Aber ich stelle fest, dass viele Länder Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns zeigen und auch bereit sind, die technischen Handelshindernisse aus dem Weg zu räumen.
swissinfo: Kein einziger Unternehmer verstehe die Krise und ihre Mechanismen ganz, sagt WEF-Gründer Klaus Schwab. Teilen Sie diese Meinung?
D.L.: Ja, denn der Konkurs der Lehman Brothers hat die Situation im September wirklich verändert. Dieser Konkurs hat eine bisher nie dagewesene Dynamik ausgelöst.
Zum ersten Mal trifft die Krise zudem nicht lediglich einige Märkte, sondern auf einen Schlag den ganzen Weltmarkt. Deshalb sind die staatlichen Investitionsprogramme der USA oder von China sehr wichtig.
Wenn diese Programme genügend schnell Wirkung zeigen, werden wir ziemlich schnell aus der Krise finden. Aber niemand kann sagen, ob dies der Fall sein wird.
Die aktuelle Krise zeigt, wie weit fortgeschritten die Globalisierung ist. Wir reagieren sehr verletzlich auf aufkommende Krisen. Das heisst, dass wir absolut zusammenarbeiten müssen. Es braucht Transparenz und eine gewisse Aufsicht über die Finanz- und Handelsmärkte. Dafür braucht es multilaterale Organisationen, die sich dieser Aufgabe annehmen. Wir müssen sie beauftragen, die Märkte zu überwachen und für Transparenz zu sorgen. Sonst sind wir nicht in der Lage, das nächste Mal auf die ersten Signale zu reagieren.
swissinfo: In den Augen der Linken sollten Sie mehr tun, um die Wirtschaft wieder in Fahrt zu bringen. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
D.L.: Ich kenne die Kritik. Andere Kreise sind ziemlich zufrieden mit dem Programm der Regierung.
Natürlich nehme ich die Kritiken ernst. Doch der Bundesrat ist der Meinung, die spezielle Situation der Schweiz erfordere angepasste Lösungen.
Die Auswirkungen auf die Märkte kommen später als in Frankreich oder in Deutschland. Wir haben im Gegensatz zu andern Ländern keine Immobilienkrise. Wir haben auch keine Kreditengpässe. Die Unternehmen haben Zugang zu Krediten. Aus all diesen Gründen hat sich die Regierung für ein Etappen-Paket entschieden.
Wenn wir unsere Massnahmen, die Massnahmen der Kantone, die steuerlichen Massnahmen und die Arbeitslosenversicherung, die eine stabilisierende Rolle spielt, zusammenzählen würden, kämen wir auch auf einen Konjunkturplan von einem Prozent des Bruttoinlandprodukts. Damit wären wir etwa auf der Linie unserer Nachbarländer.
swissinfo: Angesichts der Krise fürchten viele Entscheidungsträger eine Rückkehr des Protektionismus. Teilen Sie diese Befürchtungen?
D.L.: Das ist ein Risiko. Die grossen Märkte haben genügend Kapazitäten, um sich selber behaupten zu können. Wir befürchten technische Handelshemmnisse oder höhere Zölle. Die Massnahmen, die verschiedene Länder bisher beschlossen haben, stellen aber keine Gefahr dar.
Doch wir müssen aufmerksam bleiben. Die Schweiz ist vom Zugang zu den Märkten abhängig. Deshalb reden wir mit einigen Partnern auch über die Weiterführung der Doha-Runde und damit über den Abbau der Handelsschranken.
swissinfo: Die Schweiz bereitet ein Dokument vor, welches die Länder dazu verpflichten soll, den Protektionismus abzulehnen. Um was handelt es sich?
D.L.: Wir lancieren eine Initiative. In Davos gibt es verschiedene Foren zum Thema Protektionismus. Wir wollen, dass sich Länder und Unternehmer öffentlich dazu bekennen, dass es völlig falsch wäre, die Märkte abzuschotten und neue protektionistische Massnahmen einzuführen.
Wenn sich möglichst viele zur Öffnung, zum freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen bekennen, dann ist das ein Signal, dann sind das wichtige Impulse für einen Geist der Öffnung in diesen Krisenzeiten.
swissinfo-Interview: Pierre-François Besson, Davos
Slogan: Die Ausgabe 2009 versammelt vom 28. Januar bis 1. Februar über 2500 Teilnehmende aus 96 Ländern. Sie steht unter dem Motto «Shaping the Post-Crisis World» (Die Welt nach der Krise gestalten).
Prominenz: Die bekanntesten unter den erwarteten Persönlichkeiten sind Wladimir Putin, Angela Merkel, die Premierminister Chinas (Wen Jiabao), Japans (Taro Aso) und Grossbritanniens (Gordon Brown), die französischen Minister Bernard Kouchner und Christine Lagarde, UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.
Die Anfänge: Das World Economic Forum wurde 1971 als «Management Symposium» von Klaus Schwab gegründet.
Die Rechtsform: Das WEF ist eine nicht profit-orientierte Stiftung nach Schweizer Recht. Sie setzt sich für ein Unternehmertum im globalen öffentlichen Interesse ein. Die von rund tausend Mitgliederfirmen getragene Stiftung hat ihren Sitz in Cologny, Kanton Genf.
Das Ziel: Die Organisation beschäftigt rund 300 Personen in 52 Ländern. Sie sieht sich als Dialog-Plattform zwischen Entscheidungsträgern, als Hilfsinstrument für strategische Entscheide und als Katalysator für verschiedene Initiativen, die den «Zustand der Welt» verbessern wollen.
Die Ausstrahlung: Das WEF organisiert weltweit Symposien, fördert Initiativen und Arbeitsgruppen, realisiert Studien und schlägt Master-Programme vor.
Der Zustand: Laut André Schneider ist die Stiftung auf finanzieller Ebene von der Wirtschaftskrise verschont geblieben. Die Geschäftszahlen sähen gut aus. «Wir sind bei guter Gesundheit», sagt der Generaldirektor.
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