Deiss mit Konkordanz-Regierung zufrieden
Der scheidende Bundespräsident Joseph Deiss wertet die Zusammenarbeit in der Regierung trotz politischer Differenzen als gut.
Er amtierte in einem polarisierten Jahr. Der Populist Christoph Blocher nahm Einsitz in der Regierung und die zweiten Bilateralen Verträge mit der EU wurden unterzeichnet.
Das Präsidialjahr von Volkswirtschaftsminister Deiss war geprägt von der Diskussion, ob die Regierung mit einer dermassen polarisierenden Figur wie dem Rechtspopulisten Christoph Blocher überhaupt funktionieren könne.
Blocher ist bekannt dafür, dass er der Haltung des Bundesrats, der Regierung, oft direkt gegenübersteht. So beispielsweise bei engeren Beziehungen zur EU, wo seine Partei bereits das Referendum gegen die Sicherheits- und Asyl-Abkommen von Schengen und Dublin beschlossen hat.
swissinfo: Joseph Deiss, welche Bilanz 2004 ziehen Sie für die Schweiz?
Joseph Deiss: Ich würde sagen, es war ein gutes Jahr. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus war es mit zwei Prozent Wachstum nach langer Zeit das erste positive Jahr.
Es ist jedoch nicht alles so, wie es sein sollte. Zwar sind wir stark im Export, doch die Nachfrage im Inland lässt zu wünschen übrig. Die Lage ist noch schlechter, wenn wir die Arbeitslosigkeit in Betracht ziehen, wo wir im besten Fall von einer Stagnation sprechen können.
Politisch gesehen war es ein wichtiges Jahr. Nach den Wahlen vom letzten Jahr haben wir eine neue Regierung und ein neues Parlament. Daher mussten alle Betroffenen zuerst ein neues Gleichgewicht finden, eine Art neue «Road Map».
Was die Regierung betrifft, brauchten wir einige Monate, um «uns zu finden». Doch wir arbeiten recht gut, mit engagierten – oft auch hitzigen –Diskussionen, die zu guten Lösungen führen.
swissinfo: Es wurde viel darüber spekuliert, ob das Prinzip der Kollegialität im Bundesrat durch Christoph Blocher untergraben wurde. Wie sehen Sie das?
J.D.: Ich denke, die Debatte ausserhalb der Regierung war oft etwas verzerrt. Es ist klar, dass starke Persönlichkeiten mit klaren politischen Standpunkten in den Schlüsselthemen zum Teil harte Debatten führen.
Doch auf menschlicher Ebene haben wir ein sehr gutes Klima, das eine gute Arbeit ermöglicht. Wir führten im Bundesrat Diskussionen über das Kollegialitäts-Prinzip, über die Konkordanz – und über den Umgang mit den Medien.
Doch wir haben uns auch mit substantiellen Dingen beschäftigt. Es waren produktive Debatten, die zu guten Ergebnissen führten.
swissinfo: Welches waren die entscheidenden Entwicklungen des Jahres 2004?
J.D.: Auf internationaler Ebene waren dies ganz sicher die neuen Abkommen mit der Europäischen Union und die Osterweiterung der EU. Im Inland möchte ich die Neuformierung der neu zusammengesetzten Regierung und des Parlaments erwähnen. Ich denke, dass es nun gut läuft. Doch es war bestimmt nicht die einfachste Übung.
Auf nationaler politischer Ebene fanden mehrere wichtige und positive Entwicklungen statt: Beispielsweise die Reform im Bereich des Finanzausgleichs zwischen den Kantonen oder die Annahme der Mutterschafts-Entschädigung.
Bei den Bundesausgaben sind wir nun daran, strukturelle Defizite zu eliminieren. Schliesslich war es für mich als Wirtschaftsminister sehr wichtig, klare Unterstützung für mein Wachstumsprogramm zu erhalten.
swissinfo: Welche politischen Lektionen haben Sie 2004 gelernt?
J.D.: Für mich war eine wichtige Lektion, dass unser Land nur gut funktionieren kann, wenn wir mehrheitsfähige Lösungen suchen. Eine vom Konkurrenzdenken geprägte Regierung hat in der direkten Demokratie auf lange Sicht keine Chance.
Um mehrheitsfähige Lösungen zu finden, müssen alle wichtigen politischen Kräfte eingebunden werden.
swissinfo: Haben Sie auch wirtschaftlich etwas dazugelernt?
J.D.: Wir beobachten wieder etwas Wachstum. Doch wir müssen hart arbeiten, um bessere Resultate zu erzielen. Unser Land braucht eher einige bedeutende Langzeit-Reformen, als schnelle Reparaturen. Ich hoffe, dass ich in dieser Hinsicht wenigstens die Art der Debatte etwas ändern konnte.
Es braucht seine Zeit, bis die Resultate sichtbar werden, sei es jetzt bei der Bildung, der Forschung, beim Budget oder in der Zusammenarbeit mit der EU.
swissinfo: Als Wirtschaftsminister haben Sie wichtige Märkte besucht, von Japan bis Mexiko. Welche Bilanz ziehen Sie aus diesen Reisen?
J.D.: Das Amt des Bundespräsidenten ist auf ein Jahr beschränkt. Doch ich hatte das Glück, diesen Posten nach vier Jahren als Aussenminister und einem Jahr als Wirtschaftsminister übernehmen zu können.
Das heisst, ich kannte schon einige der wichtigsten Spieler und konnte meine Position als Präsident dazu benutzen, Türen zu öffnen, die ich als normaler Minister nicht so leicht geöffnet hätte.
swissinfo: Welches Bild hat die Schweiz im Ausland?
J.D.: Ich denke, es ist im Allgemeinen ausgezeichnet. Ich habe zum Teil eine etwas weniger idealisierende Sichtweise. Ein indischer Film mit einem «Happy End» jedoch muss fast sicher auf einem Schweizer Berggipfel zu Ende gehen.
Viele Leute bezeichnen auch einen Teil ihres Landes als «die Schweiz Asiens» oder wo auch immer. Das ist auch sehr schmeichelnd.
Diese Sicht allerdings ignoriert die vielen Alltagsprobleme, die wir in der Schweiz natürlich auch haben.
swissinfo: Welche Probleme kommen 2005 auf die Schweiz zu?
J.D.: Wir werden im nächsten Jahr einige wichtige Debatten führen. Die eine wird sich um die Bilateralen Verträge mit der EU drehen. Dazu gehören die heiklen Bereiche Schengen/Dublin und freier Personenverkehr im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung.
Im Inland will ich Fortschritte mit meinem Wachstumsprogramm machen. Wir werden sehr wichtige Debatten führen über die Reform der Inlandmärkte und das öffentliche Beschaffungswesen.
Doch auch andere schwierige Fragen wie die Agrarpolitik 2007 bis 2011 und die finanzielle Unterstützung der ärmeren Gegenden der Schweiz stehen an.
swissinfo: Was muss die Regierung tun, um betreffend Europa die Unterstützung des Volkes für die Schengen/Dublin-Abkommen und den freien Personenverkehr zu gewinnen?
J.D.: Das Wichtigste ist, zu zeigen, dass wir selber überzeugt sind, dass dies der beste Weg für unser Land ist. Wir werden dies den Menschen erklären und damit populistischen Angst-Taktiken den Wind aus den Segeln nehmen.
swissinfo-Interview: Chris Lewis und Marcela Àguila Rubin
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
Wirtschaftsprofessor Joseph Deiss ist der einzige Repräsentant der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) in der Regierung.
Er war während vier Jahren Aussenminister, bevor er 2003 ins Volkswirtschafts-Departement wechselte.
2004 übernahm er das repräsentative Amt des Bundespräsidenten; ein Jahr früher als geplant, nachdem Parteikollegin Ruth Metzler nicht wiedergewählt worden war.
Der abtretende Bundespräsident Joseph Deiss bezeichnet 2004 als gutes Jahr für die Schweiz. Dies trotz einer «Stagnation» im Bereich Arbeitslosigkeit und mehreren ungelösten «strukturellen Problemen».
Zu den wichtigsten Entwicklungen zählt Deiss das leichte wirtschaftliche Wachstum und die Unterzeichung der Bilateralen Verträge II mit der EU.
Laut Deiss arbeitet die Regierung in der neuen Zusammensetzung nach einigen Startschwierigkeiten unterdessen gut zusammen.
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