Partizipations-Möglichkeiten – der Schlüssel zur Zufriedenheit
Die Zufriedenheit der Menschen mit der eigenen Demokratie geht in weiten Teilen der Welt zurück. Diese Studie der Cambridge University hat vor einigen Tagen für Aufsehen gesorgt. Darin hat Demokratieforscher Roberto Foa alle Staaten mit freien und fairen Wahlen sowie alle jene mit einem minimalen demokratischen Rechtsstaat seit 1970 untersucht.
Im jüngsten Demokratie-Rating des Forschers der britischen Universität Cambridge schneidet die Schweiz sehr gut ab. Einmal mehr, möchte man beifügen.
Warum die Schweizer mit ihrer Demokratie zufrieden sind: die klassische Antwort
Unser Land kennt die weltweit höchsten Werte für Zufriedenheit mit ihrer Demokratie. Mehr noch, sie entwickeln sich antizyklisch nach oben.
«Aktuell sind rund drei Viertel der Bürgerschaft mit der Demokratie Schweiz zufrieden – Höchstwert!»
Aktuell sind rund drei Viertel der Bürgerschaft mit der Demokratie Schweiz zufrieden – Höchstwert!
Die Schweiz ist damit eine Ausnahme, wenn auch nicht die einzige. Namentlich in nordeuropäischen Demokratien findet sich Verwandtes. Auffällig ist, dass die Ausnahmen fast durchwegs Konsensdemokratien sind.
Sie konnten gesellschaftliche Konflikte mildern. Das garantiert politische Stabilität und kommt der Wirtschaftsentwicklung zugute. Und das wiederum befördert die Zufriedenheit mit der Demokratie.
Warum die Schweizer mit ihrer Demokratie zufrieden sind: die neuen Antworten
Nun weiss man, dass dieser Mechanismus in der breiten Bevölkerung gut funktioniert. Man nennt ihn «output-orientierte» Systemzufriedenheit: Namentlich Mittel- und Unterschichten unterstützen Systeme, wenn sie ihnen handfeste Vorteile im täglichen Leben bringen.
Allerdings gibt es auch eine «input-orientierte» Systemzufriedenheit. Vor allem politisch stark engagierte Menschen wollen sich selber einbringen können, wenn allgemeinverbindliche Entscheidungen gefällt werden. In höheren Bildungsschichten zählt nicht der wirtschaftliche Nutzen, vielmehr sind die Angebote zur persönlichen Beteiligung wichtig.
Zauberwort Nr. 1: Machtteilung
Eine Studie der Universität BernExterner Link aus dem letzten Jahr zeigt, wie das funktioniert – und warum die Schweiz herausragt. Ausgangspunkt sind präsidentielle Demokratien mit einer starken, meist männlichen Führung, wie heute in den USA, Brasilien oder Frankreich. Dort ist die Demokratiezufriedenheit nicht ausgesprochen hoch.
Für die Studienautoren um Adrian Vatter hat das mit der zu geringen Machtteilung in diesen Ländern zu tun. Diese kann man in vier verschiedenen Richtungen erreichen: durch Parlamentarismus, durch Proporzregierungen, durch Volksabstimmungen und durch Föderalismus. In drei dieser vier Dimensionen ist die Schweiz weltweit vorne dabei. «Machtteilung» ist unser erstes Zauberwort, um Zufriedenheit mit Demokratie zu erreichen.
Zauberwort Nr. 2: Partizipation
Zwei weitere Demokratie-Ratings, 2019 in Schweden erschienen, fügen die Partizipation hinzu. Auch da ist die Schweiz in vielem ein Vorbild.
Mit der direkten Demokratie ist das selbstredend in der Schweiz geläufig, und es wird auch immer mehr im Ausland aufgenommen.
Im Inland etwas weniger beachtet werden jedoch zwei weitere Gründe für das Lob aus Schweden: zuerst die ausgebaute lokale und regionale Demokratie, dann die Offenheit der Behörden gegenüber Akteuren der Zivilgesellschaft.
Es mag sein, dass man in der Schweiz das übersieht, weil man immer mehr Demokratie haben möchte. Erst im internationalen Vergleich wird einem allerdings klar: Man hat vieles, das anderen fehlt.
So ist es für die Demokratie gut, wenn sie nicht nur auf der nationalen Ebene praktiziert wird. Wird sie im Kleinen gelebt, stützt das die Demokratie. Beispielsweise werden in der Schweiz nicht nur die Präsidenten einer Stadt oder Gemeinde gewählt. Auch ganze Stadt- und Gemeinderäte werden durch Volkswahlen bestimmt.
Hierzulande haben zudem die politischen Parteien kein Monopol bei der staatlichen Willensbildung. Wirtschaftsverbände, Umweltorganisationen, selbst die Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Bewegungen werden in der partizipativen Demokratie auf vielfältige Art und Weise miteinbezogen.
Der Schweiz-Makel: viele Angebote, wenig Wahlteilnahme
Die Kritiker des Schweizer Systems zitieren gerne das jährlich erscheinende Demokratierating des britischen Wirtschaftsmagazins «Economist». Der Demokratie-IndexExterner Link ist das einzige Rating seiner Art, das die Demokratie Schweiz nicht mit «sehr gut» benotet, sondern nur mit «gut».
Hauptgrund ist die tiefe Wahlbeteiligung. Diesen Makel der Schweizer Demokratie sehen auch die schwedischen Demokratie-Agenturen, relativieren ihn aber mit dem breiten Angebot an Beteiligung. Das senkt die Notwendigkeit, sich via Wahlen Gehör zu verschaffen.
Demokratien wie die Schweiz öffnen demnach den Fächer an Möglichkeiten zur Beteiligung. Die Diversität hat allerdings ihren Preis: Die Nutzenden teilen sich auf die verschiedenen Beteiligungskanäle auf.
«Meinerseits füge ich jedoch an: Diversität der Beteiligungsmöglichkeiten ist eine Stärke, solange sich alle irgendwie an der geregelten Meinungsbildung partizipieren.»
Vor knapp 30 Jahren wies ich als erster darauf hin, dass die Beteiligung bei Schweizer Volksabstimmungen selektiv wird. Die mittlere Stimm- und Wahlbeteiligung liegt heute bei rund 45 Prozent. Aber es sind nicht immer die gleichen, die sich einbringen.
Man stimmt und wählt, wenn man betroffen ist, und wo man sich auch befähigt fühlt, eine Entscheidung zu treffen. Innert vier Jahren nehmen so auch in der Schweiz drei Viertel der Berechtigten einmal an einer nationalen Volksabstimmung – genau gleich viel, wie in diesem Zeitraum weltweit einmal wählen.
Meinerseits füge ich jedoch an: Diversität der Beteiligungsmöglichkeiten ist eine Stärke, solange sich alle irgendwie an der geregelten Meinungsbildung partizipieren.
Aber wir dürfen nicht ausser Acht lassen, dass hierzulande junge Menschen auf Distanz zur institutionellen politischen Beteiligung gegangen sind und wiederkehrend zwischen Apathie und Protest schwanken.
Das hat die vorbildliche Schweizer Demokratie nicht im Griff!
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