Denkpause für E-Voting
Fast 30'000 Personen in 12 Kantonen, darunter registrierte Auslandschweizer, haben beim letzten Urnengang elektronisch abgestimmt. Während dies in einigen Kantonen euphorisch zur Kenntnis genommen wurde, stoppt der Kanton Zürich das E-Voting.
Im Kanton Zürich stehen am 3. April 2011 Kantons- und Regierungsratswahlen an; am 23. Oktober finden die National- und Ständeratswahlen statt. Am 15. Mai stehen zudem die Erneuerungswahlen der Kirchensynode der evangelisch-reformierten Landeskirche an.
Die elektronische Stimmabgabe ist an diesen Daten für gemeindeübergreifende Wahlen sowie Abstimmungen nach einer internen Weisung des Kantons Zürich nicht möglich. Die betroffenen Gemeinden erhielten eine entsprechende Mitteilung, bestätigte Giampiero Beroggi, Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich und Wahlleiter, eine Meldung der NZZ am Sonntag.
Das überrascht: Denn der Kanton Zürich war neben den Kantonen Genf und Neuenburg seit 2004 ein Pilot-Testgebiet für E-Voting. Seit 2008 können rund 90’000 von 840’000 Zürcher Stimmberechtigten per Computer abstimmen.
«Probleme vermeiden»
Die Gemeinden seien über den Stopp des E-Voting bereits im Juni informiert worden, sagte Beroggi. Durch den Entscheid wolle man «allfällige Probleme» vermeiden, denn die Wahlen seien zu wichtig.
Denn wie Beroggi weiter ausführte, ist das E-Voting an die Wahlsoftware gekoppelt. «Und mit dieser Wahlsoftware hatte man sowohl vor vier als auch vor acht Jahren Probleme.»
Es seien zu viele Fragen zur Weiterentwicklung des E-Voting offen, erklärte der Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich in der NZZ am Sonntag. Zudem setzt die Schweizer Regierung dem E-Voting Grenzen. Bei eidgenössischen Abstimmungen dürfen aus Sicherheitsgründen maximal 10% der Stimmberechtigten elektronisch abstimmen.
Weiter hat das E-Voting nach Ansicht von Beroggi die Erwartungen bisher nicht erfüllt. Weder habe sich die Stimmbeteiligung erhöht, noch nähmen mehr Junge an Wahlen oder Abstimmungen teil.
Teure Auslandschweizer-Stimmen
Den Aufwand für das E-Voting bezeichnete Beroggi in der NZZ am Sonntag als gross: Die knapp 29’000 Teilnehmer am November-Abstimmungswochenende hätten nur gerade ein halbes Prozent der Schweizer Stimmberechtigten ausgemacht.
Und für Zürich sei das eine teure Sache: Umgerechnet koste jede einzelne elektronisch abgegebene Stimme eines Inlandschweizers 50 Franken, jene eines Auslandschweizers 150 Franken.
Auslandschweizer-Organisation überrascht
Für die Auslandschweizer-Organisation ( ASO), die sich das E-Voting seit langem schon auf ihre Fahne geschrieben hat, ist der Entscheid des Kantons Zürich eine Überraschung. Für ASO-Kommunikations- und Marketingchefin Ariane Rustichelli gibt es allerdings noch viele Unklarheiten. Deshalb wolle die ASO zuerst Kontakt mit dem Statistischen Amt des Kantons Zürich aufnehmen, um Details zu klären, sagt sie gegenüber swissinfo.ch.
Insbesondere zu den Kostenangaben gibt es für Rustichelli Fragen. «Es ist nicht klar, warum eine elektronische Auslandschweizer-Stimme dreimal so teuer sein soll wie eine Inlandschweizer-Stimme.» Erst nach all diesen Abklärungen mit dem Kanton Zürich werde sich die ASO offiziell zu der Frage äussern.
Erfolgsmeldungen aus anderen Kantonen
Anders als aus dem Kanton Zürich tönt es aus den Kantonen Solothurn und Luzern.
Im Kanton Solothurn konnten am November-Abstimmungswochenende erstmals alle im Kanton registrierten Auslandschweizer per Mausklick Stellung nehmen. Jeder fünfte Solothurner Auslandschweizer nutzte das Angebot, was einer E-Vote-Stimmbeteiligung von 21% entspricht. Nach den guten Erfahrungen will der Kanton Solothurn den Auslandschweizern die Möglichkeit der elektronischen Stimmabgabe weiterhin anbieten.
Im Kanton Luzern haben rund 39% der abstimmenden Auslandschweizer per Internet abgestimmt. Der Rest wählte den brieflichen Weg. Auch im Kanton Luzern wurde E-Voting für Auslandschweizer am 28. November 2010 erstmals durchgeführt. Und auch hier soll es bei der nächsten Abstimmung vom 13. Februar 2011 zur Verfügung gestellt werden. Der Kanton will beim Bund ein Gesuch für die entsprechende Bewilligung einreichen.
Wie weiter?
Wie es nach dem Wahljahr im Kanton Zürich mit dem E-Voting weitergeht, ist noch unklar. Laut Giampiero Beroggi wird das Statistische Amt einen Schlussbericht zur E-Voting-Versuchsphase 2008-2011 erstellen.
Basierend auf diesem Schlussbericht und den Vorgaben des Bundesrates werde der Regierungsrat entscheiden, in welcher Form und in welchem Umfang das E-Voting im Kanton Zürich eingesetzt werden soll.
Auch andere Kantone sind laut NZZ am Sonntag vom Marschhalt des Kantons Zürich betroffen. Sie können E-Voting nur angelehnt an einen Versuchskanton anbieten, was Aargau, Freiburg, Solothurn, St. Gallen, Schaffhausen, Thurgau und Graubünden bei Zürich taten.
Gemäss NZZ am Sonntag geht Beroggi davon aus, dass der Marschhalt Jahre andauert. Im Auftrag des Bundes klärt die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) bis Ende 2013 Sicherheitsfragen rund um das E-Voting ab. Bis 2015, so Beroggi, sei das E-Voting blockiert.
1998: Der Bundesrat erlässt die «Strategie für eine Informationsgesellschaft in der Schweiz». Dabei wird das Thema E-Voting angesprochen.
Die Fünfte Schweiz macht die Umsetzung des E-Votings zu einem zentralen Thema, weil die Auslandschweizer häufig die brieflichen Wahl- und Abstimmungsunterlagen nicht fristgerecht erhalten.
2000: Der Bundesrat erteilt der Bundeskanzlei den Auftrag, die Machbarkeit der elektronischen Stimmabgabe zu prüfen.
2001: Der erste Bericht zum E-Voting kommt zum Schluss, dass zur Klärung der Machbarkeit praktische Versuche nötig sind.
2002: Das Parlament erlässt die gesetzlichen Grundlagen, damit in interessierten Kantonen Versuche durchgeführt werden können.
2003: Erster Versuch im Kanton Genf.
2005: Neuenburg und Zürich führen erste Versuche durch. Die ersten drei Pilotkantone nutzen unterschiedliche Informatiksysteme.
2006: Der Bundesrat legt eine überarbeitete «Strategie für eine Informationsgesellschaft in der Schweiz» vor. Positive Erfahrungen mit dem E-Voting ermuntern weitere Kantone, Versuche durchzuführen.
2009: Basel-Stadt und Genf unterzeichnen eine Vereinbarung, wonach Basel das Genfer E-Voting-System nutzen kann. Im September schliessen die Kantone Graubünden, St. Gallen, Schaffhausen, Aargau, Thurgau, Solothurn und Freiburg einen ähnlichen Vertrag mit Zürich.
2010: Bern als Kanton mit den meisten Gemeinden der Schweiz schliesst einen Vertrag mit Genf zur Nutzung dessen E-Voting-Systems ab. Es folgt der Kanton Luzern.
Bei der Volksabstimmung vom 28. November erfolgt das E-Voting dank Graubünden erstmals in allen vier Landessprachen.
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