Der Ausgang der Bundesratswahl bleibt offen
Die neuen Schweizer Ministerinnen oder Minister werden am Mittwoch erkoren. Seit 8 Uhr befinden die beiden Parlamentskammern über den Ersatz von Hans-Rudolf Merz und Moritz Leuenberger. Sechs Kandidaten stehen zur Auswahl, nur vier haben eine reelle Chance, gewählt zu werden.
Erst wählen die Parlamentarier einen Nachfolger für den Sozialdemokraten Moritz Leuenberger. Der Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) tritt nach über 15 Jahren in der Landesregierung ab.
Finanzminister Hans-Rudolf Merz hat nicht so viel Zeit im Bundesrat verbracht. Der Freisinnige ist seit 2004 für das Finanzministerium verantwortlich. Er war ein Magistrat, der häufig im Zentrum der Kritik stand. Nachdem er im September 2008 wegen schwerer Herzprobleme sein Amt vorübergehend abgeben musste, haben in den letzten Monaten sicher auch politische Rückschläge, wie sein Handeln im Fall der Schweizer Geiseln in Libyen, zu seinem Rücktrittsentschluss beigetragen.
Sozialdemokraten spielen weibliche Karte
Für den Ersatz von Moritz Leuenberger präsentieren die Sozialdemokraten zwei Frauen. Die Partei, die sich seit langem für eine bessere Repräsentation der Frauen in der Politik einsetzt, könnte nun Geschichte schreiben. Würde nämlich eine ihrer Kandidatinnen gewählt, und darüber gibt es kaum Zweifel, wären die Frauen zum ersten Mal in der Schweizer Regierung in der Mehrheit.
Die Kandidatin Simonetta Sommaruga ist Ständerätin und wird eher dem rechten Parteiflügel zugeordnet. Sie gehört zu den Unterzeichnenden des Gurten-Manifests im Jahr 2001, ein Dokument, das mehr Wettbewerb und weniger Staat fordert. Simonetta Sommaruga präsentiert sich als Kandidatin der Mittelschicht und der Konsumenten. Sie ist auch bekannt für ihre ökologische Sensibilität.
Als zweite Kandidatin steigt Nationalrätin Jacqueline Fehr ins Rennen. Die Zürcher Politikerin gilt als pragmatisch und dossierfest. Die Vizepräsidentin der SP verfügt unter der Bundeshauskuppel über ein umfangreiches Kontakte-Netzwerk.
Ihre Stärken liegen in der Familienpolitik, im Verkehr, der Bildung und der Gesundheit. Jacqueline Fehr hat sich bei den Mitte-Rechtsparteien erfolgreich für die Lösung politischer Zankäpfel stark gemacht, wie etwa die Billigung der Mutterschaftsversicherung.
«Eiserne Lady» gegen Multimillionär
Auf der rechten Seite schlägt die FDP.Die Liberalen als Ersatz für Hans-Rudolf Merz eine Frau und einen Mann vor. Neben dem Geschlecht unterscheiden sich die beiden durch ein sehr unterschiedliches Profil: Sie ist eine Kantonspolitikerin, er ein millionenschwerer Geschäftsmann.
Karin Keller-Sutter ist Sicherheits- und Justiz-Ministerin des Kantons St. Gallen. Nationale Bekanntheit hat sie vor allem mit der Profilierung im Bereich Ausländerdossiers und häuslicher Gewalt erlangt.
Einige ihrer getroffenen Massnahmen haben die Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf sich gezogen. So war St. Gallen der erste Kanton, in dem gewalttätige Ehegatten aus der ehelichen Wohnung verbannt werden. Damit erwarb sich Keller-Sutter auch Sympathie bei den Linken.
Ihr Gegner ist der Berner Nationalrat und Industrielle Johann Schneider-Ammann. Er ist an der Spitze eines grossen Industrie-Unternehmens sowie Mitglied einer der reichsten Familien der Schweiz und der bevorzugte Kandidat der Wirtschaft.
Die Linke achtet ihn für seine Ehrlichkeit im Umgang mit den Arbeitnehmern. Der seit 1999 im Parlament sitzende Schneider-Ammann ist jedoch nicht als Meinungsführer der Bundespolitik in den Vordergrund getreten, vielmehr ist er für seine häufigen Absenzen vom Parlamentsbetrieb bekannt.
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Bundesrat
Die Aussenseiter
Am Rennen um einen Bundesratssitz beteiligen sich noch zwei weitere Parteien, die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) und die Grünen.
Die SVP schickt Nationalrat Jean-François Rime ins Rennen. Er ist Patron eines KMU im Kanton Freiburg und spezialisiert auf Wirtschaftsthemen. Die Grünen möchten mit Nationalrätin Brigitte Wyss Einzug in die Landesregierung halten. Die Solothurnerin, die erst seit 2007 unter der Bundeshauskuppel politisiert, ist im Parlament jedoch noch nicht so bekannt.
Die beiden Aussenseiter haben nur sehr geringe Gewinnchancen. Sie werden ausserhalb ihrer Parteien höchstens vereinzelte Stimmen auf sich ziehen. Man könnte die beiden Kandidaturen auch als «Werbegag» für die nächste Parlamentswahlen im nächsten Herbst sehen. Jean-François Rime sollte jedoch mehr Stimmen auf sich vereinen.
Die «Nacht der langen Messer»
Es ist üblich, dass die Parteien die Nacht vor einer Bundesratswahl nutzen, um ihre Strategien zu verfeinern und geheime Allianzen zu schmieden. Die Begegnungen zwischen den unterschiedlichen Polen der Bundespolitik finden meist in den ruhigen Lounges grosser Restaurants oder Luxushotels in Bern statt.
Über diese «Nacht der langen Messer» berichten die Medien sehr gerne, kann doch bis zur letzten Minute über «schmutzige Absprachen» gerätselt werden. Ein gutes Beispiel für eine «Nacht der langen Messer» ist der intensive Austausch, der die Abwahl von SVP-Führer Christoph Blocher zur Folge hatte.
Zweifellos werden am Dienstagabend viele «Sitzungen» stattfinden. Grosse Verschwörungen sind indes nicht zu erwarten. Die Würfel scheinen diesmal bereits gefallen zu sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach rekrutieren sich die beiden neuen Minister aus den Kandidierenden der beiden Parteien FDP und SP.
Die Frage, wer gewinnt, wird am Mittwochmorgen beantwortet.
Die Vereinigte Bundesversammlung (National- und Ständerat vereint) trifft sich um 8.00 Uhr im Nationalratssaal.
Das Prozedere beginnt mit einem Dank an die zurückgetretenen Minister.
Die Vertreter der verschiedenen Partei-Fraktionen ergreifen das Wort und erklären, wem sie ihre Stimme geben. Die Parlamentarier sind in ihrer Wahl jedoch vollkommen frei.
Nun kann die Wahl beginnen. Als erstes wird die Nachfolgerin/der Nachfolger des amtsältesten Bundesrates gewählt. Am Mittwoch bestimmen die Abgeordneten demnach zuerst die Nachfolge für Moritz Leuenberger, dann jene für Hans-Rudolf Merz.
Die Wahl erfolgt in mehreren Wahlgängen. Am Ende eines Wahlgangs wird jener Kandidat, auf den die wenigstens Stimmen entfallen, eliminiert, bis nur noch zwei Gegner im Rennen sind. Wenn einer der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, kann die Wahl auch schneller abgeschlossen werden.
Nach der Wahl werden die gewählten Kandidaten vor der Vereinigten Bundesversammlung vereidigt.
(Übertragung aus dem Französischen: Etienne Strebel)
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