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Der Glaubenskrieg um das Waffengesetz

Niemand weiss genau, wie viele Waffen in Schweizer Haushalten stehen. Keystone Archive

Der Ständerat wird am Donnerstag als erste Kammer des Parlaments über die Revision des Waffengesetzes beraten. Eine Verschärfung des Gesetzes ist umstritten.

Die Schweizer besitzen eine lange Tradition und ein ausgeprägtes Verantwortungsgefühl im Umgang mit Schusswaffen. Trotzdem kommt es immer wieder zu Tragödien.

In der Schweiz als ordnungsliebendem Land ist alles registriert und gezählt. Ob Autos, produzierte Kuhmilch oder Familienbudgets für die Freizeit – alles ist erfasst.

Fast alles. Denn paradoxerweise gibt es keine Informationen über die Schussfeuerwaffen, die in der Schweiz im Umlauf sind. Die Behörden machen nur sehr vage Angaben in diesem Bereich. Von einer Million bis drei Millionen Schusswaffen ist die Rede.

Waffentragen als Kultur

Gemäss Schätzungen von Small Arms Survey (SAS), einem unabhängigen Forschungsprojekt des Genfer Hochschulinstituts für internationale Studien, ist die Anzahl der Feuerwaffen pro Einwohner in der Schweiz effektiv überdurchschnittlich hoch.

«Diese Situation ist nicht die Folge eines laschen oder rigorosen Waffengesetzes», meint SAS-Direktor Keith Krause gegenüber swissinfo. «Vielmehr ist sie Teil einer kulturellen und sozialen Tradition der Schweiz.»

So können die Schweizer Militärpflichtigen ihre Dienstwaffen problemlos zu Hause aufbewahren. Auch der Schiess-Sport ist in der Schweiz sehr verbreitet. Viele aktive Schützen – schätzungsweise mehr als 150’000 – verfügen gleich über mehrere Waffen.

Gefährlichkeit nicht erwiesen

«Es ist so seit Jahrhunderten: Ein Schweizer lernt von klein auf, mit Waffen zu leben. Die Väter leben es vor», sagt Willy Pfund von der Gesellschaft Pro Tell, die sich für ein liberales Waffenrecht einsetzt. «Doch man sollte sich keine Sorgen machen; die Schweizer haben den verantwortungsvollen Umgang mit Schusswaffen gelernt», ist Pfund überzeugt.

Ganz anderer Ansicht ist die Menschenrechts-Organisation Amnesty International (AI). Nach ihrer Meinung stellt die Präsenz von Schussfeuerwaffen in den Schweizer Haushaltungen ein permanentes Risiko dar. Morde und Selbstmorde würden so erleichtert.

«Die Sterblichkeitsrate in Folge von Schusswaffengebrauch liegt in der Schweiz nur leicht höher als in anderen westlichen europäischen Ländern», sagt jedoch Krause vom SAS. Allerdings dürfe man keine direkte Verknüpfungen zwischen der Zahl von Waffen und ihrer Verwendung machen.

Die Meinungsverschiedenheiten verschärfen sich nach jeder Tragödie. Vor kurzem flammte die Polemik wieder auf, nachdem die ehemalige Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet von ihrem Ehemann mit dessen militärischer Dienstpistole ermordet worden war.

Leichte Verschärfung

Der Bundesrat, die Schweizer Regierung, beabsichtigt auf alle Fälle, das Waffengesetz leicht zu verschärfen. Allein schon der beschlossene Beitritt zum Schengen-Dublin-Abkommen (Zusammenarbeit in Polizei- und Asylfragen) machte einige Angleichungen mit EU-Recht notwendig.

Sobald das Schengen-Paket in Kraft tritt, wird der unberechtigte Besitz von Schusswaffen – wie bisher bereits der Erwerb – unter Strafe gestellt. Zudem verlangt das Gesetz gemäss Bundesbeschluss zu den Bilateralen II im Handel unter Privaten einen Erwerbschein, so wie dies im kommerziellen Handel bereits seit längerem der Fall ist.

Schliesslich müssen importierte oder in der Schweiz hergestellte Schusswaffen zur einfacheren Rückverfolgbarkeit der Handelswege markiert sein. In der Botschaft vom Janaur 2006 geht die Regierung nun noch einige Schritte weiter. Verboten werden soll der anonyme Verkauf von Waffen, etwa über das Internet oder über Inserate.

Und ein in Verbot ist auch für das missbräuchliche Tragen von gefährlichen Gegenständen wie Baseballschläger, Metallrohre oder Veloketten vorgesehen. Dies gilt allerdings nur, wenn die Gegenstände offensichtlich als Waffen missbraucht werden sollen (zum Beispiel bei einer Demonstration).

«Das sind wichtige Neuerungen, die wir unterstützen», heisst es bei Amnesty. «Positiv sind auch die neuen Möglichkeiten des Informationsaustausches zwischen Armee und dem Bundesamt für Polizei. Doch weil auf die Einführung eines zentralen Waffenregisters verzichtet wird, bleiben wir gegenüber der Gesetzesrevision skeptisch.»

Keine Chance für Waffenregister

Tatsächlich war ein zentrales Waffenregister ursprünglich vorgesehen und ein tragendes Element der Reform. Alle vorhandenen Waffen hätten in ein Register eingetragen werden müssen.

Doch dieser Vorschlag überlebte die Vernehmlassungsphase nicht. Finanzielle Gründe und Angst «vor einer Entmündigung freier und verantwortungsvoller Bürger» gaben den Ausschlag. 93 Prozent der Befragten Interessensgruppen lehnten den Vorschlag ab.

«In einem föderalistischen System wie der Schweiz ist die Einführung eines Zentralregisters effektiv schwierig», meint Krause. Seiner Meinung nach wäre dies zwar nützlich, doch fraglich wäre es, ob dadurch die Zahl der Gewalttaten tatsächlich vermindert werden könnte.

Entschieden gegen ein Waffenregister ist der Vertreter von Pro Tell. Willy Pfund vertritt die Meinung, «dass junge Leute zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Waffen erzogen werden müssen».

Befürworter eines restriktiven Waffengesetztes sind überzeugt, dass mit einer stärkeren Kontrolle Morde verhindert werden können. Die Waffenlobby dagegen ist überzeugt, dass sich Kriminelle auch unter einem verschärften Gesetz die entsprechenden Waffen besorgen. Die Freiheit der Bürger würde durch ein schärferes Gesetz aber stark eingeschränkt.

Das Schweizer Parlament muss den Gesetzesvorschlag der Regierung diskutieren. Zuerst wird die kleine Kammer, der Ständerat, am Donnerstag über die Vorlage beraten. Der Nationalrat, die grosse Kammer, wird dies im Herbst 2006 tun.

swissinfo, Marzio Pescia
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Gemäss Erhebungen von Amnesty International wird weltweit alle 30 Sekunden eine Person mit einer Feuerwaffe getötet. Jährlich sterben so mehr als 500’000 Menschen.

In der Schweiz werden jährlich 75 Millionen Projektile abgefeuert. Zu kriminellen Zwecken oder bei Verzweiflungstaten wurden im Jahr 2004 genau 57 Schüsse eingesetzt.

In der Schweiz darf jeder Soldat sein Gewehr beziehungsweise die Dienstwaffe mitsamt versiegelter Munition zu Hause aufbewahren. Jäger, Sammler und Mitglieder von Schützenvereinen hüten zudem gewaltige Mengen an Waffen und Munition.

Infolge des Mordes an der ehemaligen Skirennfahrerin Corinne Rey-Bellet durch den Ehemann – er benutzte seine Dienstpistole – fordert die Schweizer Vereinigung für Psychiatrie und Psychotherapie, dass keine Armeewaffen mehr in Privathäusern deponiert werden dürfen.

Das geltende Waffengesetz ist am 1. Januar 1999 in Kraft getreten.

Eine erste Teilrevision dieses Gesetzes hat einige minimale Angleichungen vorgenommen, die der Beitritt zum Schengen-Dublin-Abkommen (Bilaterale Verträge II) erforderlich machte.

Mit der Botschaft vom Januar 2006 hat der Bundesrat eine weiter gehende Revision des Waffengesetzes vorgelegt.

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