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Der «grüne Riese» von Lausanne

Daniel Brélaz, ein "hyper-realistischer" Grüner Keystone

Die Schweizer Grünen sind im Aufwind. Ihr Aushängeschild Daniel Brélaz wurde mit überwältigendem Mehr erneut zum Bürgermeister von Lausanne gewählt.

Einige sehen bereits einen grünen Vertreter im Bundesrat. Dieses Szenario sei noch in weiter Ferne, sagt Brélaz im Gespräch mit swissinfo.

Die Grüne Partei reitet auf einer Erfolgsreihe: In mehreren Gemeinde- und Kantonsregierungen hat sie Sitze erobert. Für verschiedene politische Beobachter stellen die Grünen eine Kraft der Zukunft dar und profitieren auf Kosten traditioneller linker und rechter Parteien.

Ein Mann illustriert diese «grüne Welle», die zur Zeit die Schweiz überrollt, perfekt: Daniel Brélaz, der Bürgermeister von Lausanne. Im März wurde er im ersten Wahlgang mit einem Glanzresultat wiedergewählt.

Das Ergebnis zeigt, dass es den Grünen gelingt, sowohl Wähler aus Umweltschutz-Kreisen wie politisch links Stehende für sich zu gewinnen. Ein Grüner in der Landesregierung scheint kein Hirngespinst mehr zu sein. Daniel Brélaz allerdings behält einen kühlen Kopf.

swissinfo: Die Presse bezeichnet sie als «Koloss», «Riese», «unschlagbar». Wie kommst dies bei Ihnen an?

Daniel Brélaz: Ich bin froh, noch am Leben zu sein. Denn in der Regel sind Lobhudeleien Begräbnisse. Es ist unbestreitbar, dass meine physische Grösse die Karikatur erleichtert und beim Publikum eine Identifizierung auslöst.

Meist ist es ein sympathisches Bild, auch wenn die Karikaturisten ab und zu fragen, ob ich bald das Zeitliche segnen werde oder ob ich den Weg zum Rathaus noch schaffe.

Ich glaube, dass 90% der Wahlberechtigten wissen, wer ich bin. Dies ist ein Zeichen des Bekanntheitsgrads, nicht unbedingt der Hochachtung. Auch wenn meine Wiederwahl auch Respekt aufgezeigt hat.

swissinfo: Haben Sie in den letzten 30 Jahren ihre Politik verändert?

D.B.: Ich glaube nicht. Mit der Zeit habe ich gelernt, bei der Auslegung der Probleme pointierter vorzugehen. Auch habe ich mehr Erfahrung und Sicherheit.

Ich bin aber durch die Politik nicht stolz geworden. Im Grunde genommen habe ich mich nicht verändert.

swissinfo: Auch keine Änderung in ihrer Sicht in Bezug auf die Umwelt?

D.B.: Bereits in den 1980er-Jahren, als ich Parlamentsmitglied war und an den Sitzungen der Grünen Europas teilnahm, bezeichneten mich die deutschen Grünen als Hyper-Realist. In einer leitenden Funktion lernt man, dass die Realität nicht immer einfach ist und dass man mit ihr Kompromisse schliessen muss.

Ich kann mit allen zusammenarbeiten: mit Gewerkschaften, Nichtregierungs-Organisationen, Arbeitgeber-Organisationen, wenn es dem allgemeinen Wohl dient. Ich bin jedoch gewählt und bleibe meiner politischen Linie treu.

swissinfo: Weshalb kommen die Grünen in der Schweiz schneller voran als in anderen europäischen Ländern?

D.B.: Die Dinge geschehen oft in Wellen. Die deutschen und die belgischen Grünen haben Zeiten enormen Zuwachses gekannt, haben aber einer Beteiligung in der Regierung nicht widerstehen können, insbesondere in Belgien.

In Frankreich und England verhindert das Majorz-System jegliche Veränderung. In Italien bewegen sich die Grünen zwischen 2 und 3%.

In der Schweiz gibt es für uns zwei Vorteile: die direkte Demokratie, die uns erlaubt, von Volksinitiativen und Referenden Gebrauch zu machen, sowie das Proporz-System.

Zur Zeit steht der Bundesrat in einem schlechten Licht da. Es ist für uns von Vorteil, der Regierung nicht anzugehören. Auf der anderen Seite haben die Grünen in den kantonalen und Gemeinde-Exekutiven die Gelegenheit, nachhaltige Prinzipien einzubringen auf dem Gebiet der Umwelt, aber auch im Sozialbereich und der Wirtschaft.

Dank diesen Faktoren bedeuten die Grünen für die Wählerschaft einen «dritten Weg», welcher an den sozialen Errungenschaften festhält, aber auch reformfreudig ist.

swissino: Könnten die Grünen bei den eidgenössischen Wahlen von 2007 von 7,6% auf 14% zulegen?

D.B.: Ich glaube nicht. Ich rechne mit einem Anteil von 9 bis 11%. In der Romandie sind wir stark im Aufwind, insbesondere in den protestantischen Kantonen. In den Deutschschweizer Kantonen ist der Zuwachs geringer.

Bei den Wahlen von nächstem Jahr wird es die Summe der Resultate aus dem ganzen Land sein.

swissinfo: Aber auch so wäre es möglich, einen Sitz in der Regierung zu fordern.

D.B.: Das ist eine Hypothese. Die Parteileitung der Grünen ist allerdings nicht sehr enthusiastisch. Dem Bundesrat beizutreten heisst, zu wissen, mit wem regieren und mit welchem Ziel.

Wenn es darum geht, sich an einem Siebner-Gremium mit einer extremistischen Dominanz zu beteiligen, wie das zur Zeit mit Christoph Blocher von der Schweizerischen Volkspartei SVP der Fall ist, heisst die Antwort nein. Da können wir nichts machen.

Würde es gelingen, eine Allianz mit der Linken und allenfalls den Christlichdemokraten (CVP) einzugehen und auf fundamentale Fragen einzugehen, läge die Sache anders. Ein solches Szenario ist aber noch weit entfernt. Zuerst müssten wir auf nationalem Niveau einen Stimmenanteil von 10% erreichen.

swissinfo: Wie würde das Programm für eine solche Allianz aussehen?

D.B.: Meiner Meinung nach gibt es 10 oder 12 wichtige Punkte. Zum Beispiel die CO2-Abgabe, die Förderung alternativer Energien, die Gleichstellung von Mann und Frau, eine bessere Unterstützung für die biologische Landwirtschaft sowie für die kleinen und mittleren Betriebe oder auch neue Quellen für die Sozialhilfe.

swissinfo: Bei einem möglichen grünen Bundesrat denkt man an Sie.

D.B.: Würde ich von meiner Partei unter den vorhin genannten Bedingungen angefragt, könnte ich eine Wahl in den Bundesrat nicht zurückweisen, das habe ich immer gesagt.

Zum jetzigen Zeitpunkt besteht allerdings kaum die Gefahr, und ich werde meine politische Karriere wohl in Lausanne beenden.

swissinfo-Interview: Claudinê Conçalves
(Übertragung aus dem Franzöischen: Gaby Ochsenbein)

Die Grüne Bewegung der Schweiz geht zurück auf die 1970er-Jahre im Kanton Neuenburg als Reaktion auf ein Autobahn-Projekt.

In den 70er- und 80er-Jahren entstehen weitere kantonale Sektionen.

Mit der Zeit etablierten sich die Grünen auf allen politischen Ebenen: 1972 stiessen sie erstmals in ein Stadtparlament vor (Neuenburg), 1977 in eine Stadtregierung (Lausanne), 1979 in den Nationalrat und 1984 in eine Kantonsregierung (Bern).

Bei den eidgenössischen Wahlen von 2003 kamen die Grünen auf 7,4% und stellen im Bundesparlament 13 Abgeordnete. Die Grünen sind die grösste Nicht-Regierungspartei.

Daniel Brélaz wurde 1950 in Lausanne geboren.
Er studierte am Polytechnikum in Lausanne Mathematik.
Von 1978 – 1979 sowie von 1982 – 1983 sass er im Waadtländer Parlament – als einer der ersten Grünen in einer kantonalen Legislative.
Er war weltweit der erste Grüne in einem nationalen Parlament (1979 – 1989).
1989 gehört er der Lausanner Regierung an, seit 2001 ist er Bürgermeister der Stadt.

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