«Der Iran wird falsch verstanden»
Vor 30 Jahren hat der letzte Schah von Persien den Iran unter dem Druck der Strasse verlassen und Ayatollah Ruhollah Khomeini übernahm die Macht im Iran.
Der neue US-Präsident und die im Juni stattfindenden Präsidentenwahlen im Iran könnten die verhärteten Fronten zwischen dem Westen und Teheran aufweichen.
Falls sich das politische Klima zwischen Iran und dem Westen in nächster Zeit tatsächlich verbessern sollte, würde ein Dienst der Schweiz hinfällig: Seit 30 Jahren vertritt die Schweiz die USA in Iran sowie Iran in den USA.
swissinfo-Interview mit Tim Guldimann, dem ehemaligen Schweizer Botschafter im Iran.
swissinfo: Die Islamische Revolution in Iran jährt sich zum 30. Mal. Was will der Iran heute?
Tim Guldimann: Den Respekt und die Anerkennung seiner Machtrolle in der Region durch den Westen im allgemeinen und die USA im Besonderen. Die Aussenseiterrolle Irans hat verschiedene Gründe: So etwa die Besetzung der US-Botschaft in Teheran 1979, die Islamische Revolution oder Menschenrechts-Verletzungen.
Doch vergleicht man den Iran objektiv mit anderen Ländern, vor allem in Bezug auf die Menschenrechte und die Demokratie, scheint die wahre Identität Irans verkannt und falsch verstanden.
Dieses Land hat gewiss seine Widersprüche und Fehler, doch man sollte ihm seine eigene Rolle zusprechen, denn diese bietet grosses Potenzial.
swissinfo: Einerseits ist da die Polemik um das iranische Atomprogramm, andererseits jene um den Start des ersten selbstgebauten Satelliten. Manche befürchten, letzteres könnte zur Entwicklung eines ballistischen Raketensystems führen.
T.G.: Teheran möchte über eine nukleare Kapazität verfügen. Gleichzeitig hat die Regierung offiziell jeglichen Zusammenhang zwischen dem Atomprogramm und militärischen Zielen verneint. Gewisse Entwicklungen lassen daran zweifeln, um so mehr angesichts der Tatsache, dass die Produktion von Atomenergie sehr teuer ist.
Für mich stellt in diesem Zusammenhang der Stolz des Landes eine sehr wichtige Rolle. Der Iran will seiner Bevölkerung und der Welt zeigen, dass es auch im Technologie-Bereich mithalten kann. Man denke an den Schock, den dazumals der Satellit Sputnik auslöste: Die UDSSR wollten damit demonstrieren, dass sie eine Grossmacht sind. Der Iran macht mit dem Start seines Satelliten dasselbe. Der Satellit wird zum Symbol für technologischen Fortschritt und Prestige.
swissinfo: Muss man vor dem Iran Angst haben?
T.G.: Nicht der Iran ist gefährlich, sondern eine Konfrontation mit dem Iran. Bei einer Eskalation könnte Teheran tatsächlich darauf kommen, ein militärisches Atomprogramm zu entwickeln.
Ich persönlich habe grundsätzlich keine Angst vor solchen Absichten Irans.
swissinfo: Weshalb sind die Fronten zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft so verhärtet?
T.G.: Das ist vor allem die Haltung des Westens. Russland zum Beispiel spielt eine andere Karte, obwohl die Beziehungen zwischen den beiden Ländern aus historischen Gründen sehr schwierig sind. Moskau sagt, es sei nicht besorgt wegen des iranischen Atomprogramms, obwohl es den UNO-Sanktionen wegen der Weigerung Irans, auf die Anreicherung von Uran zu verzichten, zugestimmt hat.
Dasselbe gilt für China, obwohl es eine nukleare Aufrüstung in der Region und gewissen arabischen Ländern befürchtet. Die Dinge sind nicht so einfach. Man kann nicht sagen, dass die ganze internationale Gemeinschaft gegen den Iran ist.
swissinfo: Immer mehr Stimmen fordern, den Iran in die Afghanistan-Befriedung miteinzubinden. US-Präsident Barack Obama bekräftigte seine Bereitschaft einer diplomatischen Annäherung an Iran. Ist dies eine Wende?
T.G.: Barack Obama hat eine Wende angekündigt, aber man darf die von der Regierung Bush verursachten Schäden nicht unterschätzen. Was Afghanistan betrifft, so hatte sich der Iran nach dem 11. September sehr kooperativ gezeigt – bis es im Januar 2002 zusammen (Anm. d. Red.: mit Irak und Nordkorea) von Washington zur «Achse des Bösen» gemacht wurde.
Bis zu diesem Zeitpunkt hat Teheran die Bemühungen des Westens in Afghanistan stark unterstützt, sei es beim Kampf der USA gegen die Taliban oder bei der
der Afghanistan-Konferenz in Bonn zur Bildung der Regierung von Hamid Karzai.
Der Iran fühlte sich von den USA übergangen, es ist daher nicht erstaunlich, dass er sich nun weigert, den Westen zu unterstützen. Teheran und Kabul haben ein Interesse an guten nachbarschaftlichen Beziehungen.
Ich schliesse deshalb nicht aus, dass der Iran seine Haltung in Bezug auf die Stabilisierungs-Bemühungen der Region ändert, wenn es den von den USA gewünschten Respekt erfährt.
swissinfo: Am 12. Juni finden im Iran Präsidentenwahlen statt. Zur Wahl gestellt hat sich auch Ex-Präsident Mohammed Khatami. Könnten die Wahlen das Blatt wenden?
T.G.: Ja, denn mit Khatami gibt es trotz der Restriktionen des klerikalalen Systems eine richtige Wahl zwischen zwei sehr verschiedenen Kandidaten.
Ausser Israel ist es das einzige Land in der Region, dass über ein System verfügt, wo der Ausgang der Wahlen nicht schon im voraus bestimmt ist.
1997 wurde Khatami mit grossem Mehr gewählt. Falls er im Juni wiedergewäht wird, wird er mit einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Situation konfrontiert. Er wird nicht nur mit den Ölpreisen, die von 150 Dollar auf 44 Dollar pro Barrel gesunken sind, sondern auch mit einer starken Opposition der konservativen Kräfte konfrontiert.
swissinfo-Interview, Isabelle Eichenberger
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)
1919 Eröffnung eines Schweizer Konsulats in Teheran (wird 1936 zur Botschaft).
Bern vertritt in Iran Italien (1946), Australien, Kanada, Grossbritannien, Irland und Neuseeland (1952), Südafrika (1952, 1979-1995) und Libyen (1984).
Sie vertritt Iran bei den Achsenmächten (1941-1946), Israel (1958-1987), Irak (1971-1973) und Südafrika (1979-1994).
Seit 1980 vertritt sie die konsularischen und diplomatischen Interessen der USA in Iran und seit 1979 jene des Iran in Ägypten.
Mit 763,4 Mio. Franken im Export- und 38,6 Mio. Franken Import-Bereich (2007) gehört der Iran für die Schweiz zu den wichtigsten Handelspartnern im Mittleren Osten.
2007 lebten 183 Schweizer im Iran.
1982 beginnt Guldimann seine diplomatische Karriere beim Schweizer Aussenministerium. Am Anfang war er unter anderem in Kairo, Genf und Bern tätig.
Von 1996 bis 1997 leitete er die OSZE-Unterstützungsgruppe in Tschetschenien, 1997 bis 1999 war er Chef der OSZE-Mission in Kroatien.
Anschliessend war er bis 2004 Schweizer Botschafter im Iran.
Von 2007 bis 2008 war Tim Guldimann Kosovo-Missionschef der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Seither ist er als Professor für Politikwissenschaft an verschiedenen europäischen Universitäten und für das Centre for a Humanitarian Dialogue in Genf tätig.
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