«Der Kanton Jura wird immer schweizerischer»
Am 24. September 1978 sagte das Schweizer Volk Ja zur Gründung eines neuen Kantons. Der Jura hat sich in den vergangenen 30 Jahren gut in die Schweiz integriert. Der revolutionäre Geist ist jedoch noch nicht ganz ausgestorben.
«Für den Kanton Jura hat es sehr schlecht begonnen», erklärt der Journalist und langjährige Jurabeobachter Fabrice Moeckli gegenüber swissinfo. 1979 litt die gesamte Jura-Region unter der Uhrenkrise.
«Heute sind die Jungen jedoch gut ausgebildet, das macht sich mit der Zeit bezahlt. Die grössten und besten Uhrenfabriken kehren in den Kanton Jura zurück, denn sie wissen, dort gibt es das Know-how, wie man gute Uhren herstellt», sagt Moeckli.
Für Adrian Vatter, Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, hat sich der Kanton Jura trotz der schwierigen Ablösesituation zu einem erstaunlich stabilen schweizerischen Stand entwickelt.
«Inzwischen hat sich das ehemals ziemlich eigenständige Parteiensystem in Bezug auf die Zusammensetzung der Regierung und des Parlaments dem nationalen System angepasst», sagt er.
Reaktion gegen die Schweiz?
«Ist es eine Reaktion gegen die Schweiz, wenn das jurassische Stimmvolk immer wieder anders abstimmt als die schweizerische Mehrheit, oder ist das wirklich die Meinung der Menschen?», so Moeckli.
«Man kann nicht sagen, dass die Jurassier progressiver sind», meint er. «Manchmal sind sie einfach bereit, das Risiko zu tragen, wenn sie anders abstimmen.» Er relativiert jedoch: «Es ist einfach, Ja zu sagen, wenn man weiss, dass die ganze Schweiz Nein sagen wird.»
Und er ergänzt: «Der Jura wird immer schweizerischer, sagt man, aber das hört man im Jura gar nicht gern.»
Das jurassische Abstimmungsverhalten unterscheide sich doch in Vielem von jenem der überwiegend katholisch geprägten Innerschweizer Kantone, meint Vatter. Dies zeige sich bei der Europa-Frage oder bei der Mitbestimmung von Ausländern.
So haben etwa im Kanton Jura Ausländerinnen und Ausländer kommunal und kantonal ein aktives sowie bei der kommunalen Legislative ein passives Wahlrecht.
«Oft zeigt der Kanton Jura ein sehr ähnliches Abstimmungsverhalten wie seine geografischen Nachbarkantone Basellandschaft und Baselstadt oder die anderen Westschweizer Kantone; besonders wenn es um aussen- oder sozialpolitische Fragen geht», hält Vatter fest.
Wiedervereinigung mit Berner Jura?
Immer wieder wird über Wiedervereinigungs-Bestrebungen berichtet. «Meines Erachtens ist im Moment der politische Druck von Seiten des Kantons Jura zu gering für territoriale Veränderungen», schätzt Vatter.
Ein Studie im Auftrag der Interjurassischen Versammlung hat überraschend ergeben, dass der Berner Jura finanziell nicht schlechter gestellt wäre, wenn er sich dem Kanton Jura anschliessen würde.
«Na und, sagt man dazu im Berner Jura», sagt Fabrice Moeckli. «Dort herrscht immer noch die Angst, dass einen der Kanton Jura einfach annektieren und der Berner Jura seine Identität verlieren würde.»
Moeckli erwartet vom Kanton Jura eine besondere Geste: «Man könnte ja sagen, die Hauptstadt des Vereinigten Juras sei Moutier. Das wäre ein Schritt auf den Berner Jura zu.»
Jura, Vorbild für die Welt?
Die Gründung des Kantons Jura ist auch auf die ethnisch motivierten Unruhen der pro-jurassischen Béliers und der pro-bernischen Sangliers zurückzuführen. Die dabei angewendete Gewalt war jedoch im Vergleich zu anderen ethnischen Konflikten auf dem Planeten marginal.
Könnte die unblutige Gründung des Kantons Jura ein Vorbild für die Welt sein? Diese Frage erntet bei Fabrice Moeckli schallendes Gelächter. «Das war der Traum einiger Rassemblement-Jurassien-Vertreter vor 20 oder 30 Jahren, als sie sagten, wir werden Quebec und den anderen zeigen, wie man das macht!»
Dank der Schweizerischen Minderheitenpolitik gingen die Konflikte nicht so weit, dass man zur Waffe greife. Im Jura-Konflikt sei man nie über diese Limite gegangen. Ausser vielleicht in zwei, drei Fällen, wo man Bomben auf SBB-Strecken gelegt habe.
«Die jurassische Frage ist noch lösbar», ist Moeckli überzeugt. «Hätte es damals Tote gegeben, würde es keine Hoffnung geben, dass die beiden eines Tages vielleicht wieder zusammen leben können.»
Vatter meint dagegen, die Gewalt sei für die schweizerischen Verhältnisse im 20. Jahrhundert bereits aussergewöhnlich gewesen. Trotzdem könne die Welt von diesem Prozess profitieren, indem sie den Ablösungsprozess genau analysiere.
«Man hat zu den einzelnen Schritten jeweils Volksabstimmungen durchgeführt. Bis zum Schluss konnte jede einzelne Gemeinde mitbestimmen, wo sie hingehören wollte», so Vatter. «Diese Kombination von Föderalismus und direkter Demokratie hat extrem viel zur Abschwächung dieses Konflikts beigetragen.»
swissinfo, Etienne Strebel
Der Kanton Jura ist der 26. und jüngste Gliedstaat (Kanton) der Schweiz.
Er entstand 1979 nach der eidgenössischen Volksabstimmung am 24. September 1978, als er vom Berner Jura abgetrennt wurde.
Im Kanton Jura leben rund 70’000 Menschen, seine 839 km2 Fläche sind nur wenig grösser als die Stadt New York.
Amtssprache ist Französisch, der Hauptort ist Delsberg (Delémont).
1815: Anlässlich des Wiener Kongresses wird der Jura dem Kanton Bern zugeteilt. Seit 1793 war dieser Teil des Fürst-Bistums Basel ein französisches Departement.
1950: Das Stimmvolk des Kantons Bern sagt Ja zu einer Verfassungsänderung. Französisch wird zweite Amtssprache, die jurassischen Bezirke erhalten zwei garantierte Sitze in der Kantonsregierung.
1974: Das jurassische Volk entscheidet sich für einen eigenen Kanton. Die drei südlichen und protestantischen Bezirke bleiben beim Kanton Bern, das Laufental wechselt zum Kanton Basel-Land.
1978: Das Schweizer Stimmvolk spricht sich für die Gründung eines neuen Kantons aus. Er besteht aus drei Bezirken und ist mehrheitlich katholisch.
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