Der Marsch der Frauen in die Schweizer Politik
Mit Ruth Dreifuss verlässt ein Symbol der Schweizer Frauenbewegung die Bundespolitik. Dass sie durch eine Frau ersetzt wird, scheint unbestritten.
Serena Tinari zieht eine Zwischenbilanz zur Gleichstellung und vergleicht die Schweizer und italienischen Verhältnisse.
Es begann als eine Geschichte von Frauen: Ruth Dreifuss wurde am 10. März 1993 in den Bundesrat gewählt. Ihre Kandidatur war stark unterstützt worden, nachdem die Bundesversammlung anstelle der offiziellen Kandidatin Christiane Brunner zuerst einen Mann gewählt hatte.
Rund 10’000 Personen warteten auf dem Bundesplatz in Bern den Wahlausgang ab. Als Brunner mit der Gewinnerin der Wahl aufs Podest trat, erklärte sie: «Wir sind Zwillingsschwestern».
Den Erfolg einer Frauenwahl stellte sie über ihren persönlichen Stolz. Knapp 10 Jahre später tritt Dreifuss ab und überlässt die Bühne anderen Frauen.
Seit ihrer Rücktrittserklärung Ende September sind Namen von politisch aktiven Frauen bekannt geworden. Neben den inzwischen offiziellen Kandidatinnen der SP, Micheline Calmy-Rey und Ruth Lüthi, wurde auch viel über Patrizia Pesenti und Liliane Maury Pasquier bekannt.
Diese vier Frauen haben als ausgewiesene Polit-Hasen die Medienlandschaft für einige Zeit dominiert. Die Beherrschung der Landessprachen – häufig als entscheidendes Argument zitiert – hat sich als weniger bedeutend als erwartet herausgestellt. Obwohl sie sprachlich am versiertesten ist, hat Pesenti den Kürzeren gezogen.
Schweiz und Italien: So nah und so fern
Die Schweizer Frauen haben erst 1971 auf Bundesebene das Wahl- und Stimmrecht erhalten. Im angrenzenden Italien erfolgte dieser Schritt bereits 1946.
Doch inzwischen hat die Schweiz die italienische Republik in Bezug auf die Frauenvertretung in der Politik überholt: In den eidgenössischen Räten sitzen 23 Prozent Frauen ein, im italienischen Parlament sind es nur 9,8 Prozent.
Ähnliche Proportionen weisen die Exekutiven auf: Nur 2 Frauen von 22 Ministern sitzen auf der Regierungsbank im Palazzo Chigi in Rom. In Bern sind zwei Mitglieder der siebenköpfigen Landesregierung weiblichen Geschlechts.
Diese unterschiedlichen Verhältnisse spiegeln sich auch im öffentlichen Ansehen der Politikerinnen in den beiden Ländern wider. Man betrachte nur die Entschlossenheit einer Micheline Calmy-Rey oder das selbstbewusste Lächeln der Psychologin Ruth Lüthi.
In Italien ist hingegen Nilde Iotti zur Ikone der Politikerinnen geworden. Sie verkörperte mit ihrer unflexiblen Art die republikanischen Traditionen und ihre eigene Vergangenheit als Partisanin.
Die Lega-Abgeordnete Pivetti wurde hingegen zum Gespött der Feministinnen, weil sie als Vorsitzende der Grossen Kammer mit «Herr Präsident» angeredet werden wollte.
Ihre Geschichte hat ein typisches Ende gefunden: Sie gründete eine Partei und heiratete einen jüngeren Mann, der ihr Sekretär geworden ist.
Blondinen von Forza Italia
Die neue Frauengeneration unter den italienischen Politikerinnen sind die Blondinen von Forza Italia: Jung, feminin und stockkonservativ.
Und während in der Schweiz die beiden Bundesrätinnen delikate Departemente wie Inneres sowie Polizei und Justiz führen, hat Berlusconi seine Frauen mit unbedeutenderen Ministerien abgespeist: Erziehung und Gleichstellung.
So kommt es, dass SVP-Meinungsmacher Christoph Blocher in der Zeitung «Le Temps» erklärte: «Die Bedingungen für die Frauen in unserem Land haben sich radikal geändert. Und ich glaube, dass ich die Interessen meiner Frau besser verteidigen kann als irgendeine Politikerin.»
Schaut man jedoch die Statistiken an, wird schnell klar, dass auch in der Schweiz noch ein langer Weg zurückzulegen ist.
Das Bundesamt für Statistik schreibt: «Die Frauen nehmen im Erwerbsleben nicht so hohe Positionen ein wie die Männer (…) Diese Ungleichheit erklärt sich aus der Verantwortung für Haushalt und Familie, welche die Möglichkeiten einer professionellen Karriere stark einschränken.»
Die Rede ist vom so genannten nicht vergüteten Arbeitseinsatz zu Hause: die Schweizer Frauen leisten in dieser Hinsicht 34 Wochenstunden, die Männer nur 18.
Gleichstellung als alltägliche Herausforderung
Wenn die Verteilung der Hausarbeit der fundamentale Parameter in Sachen Gleichstellung ist, lässt sich gemäss Statistik während der Jahre 1997 und 2000 eine Verbesserung feststellen. Zumindest schneidet die Schweiz besser ab als viele europäische Länder.
Die Gleichstellung ist eine alltägliche Herausforderung. Dies anerkennt auch ein bescheidenes, aber intelligentes Projekt der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen, einem ausserparlamentarischen Beratungsgremium des Bundesrats.
Das Projekt heisst «Fair-Play zu Hause». Es hilft mittels eines Erfassungsbogens festzustellen, wie viel Zeit die Partner der Hausarbeit und dem Familienleben widmen. Sollten die Resultate überraschen, ist es Zeit, dass die Partner die Regeln ihres Zusammenlebens diskutieren.
Insbesondere in der Politik hinken Frauen, auch wenn sie gut ausgebildet sind, immer noch hinter den Männern her. Die Eidgenössische Kommission hat aus Anlass ihres 25-jährigen Bestehens daher ein Paten-Projekt namens «Von Frau zu Frau» ins Leben gerufen.
Es soll jungen Frauen helfen, sich für die Politik zu engagieren. Sie werden für jeweils ein Jahr von Frauen begleitet und beraten, die in der Politik bereits eine erfolgreiche Karriere gemacht haben.
Serena Tinari
(Die Autorin war Redaktorin der Monatszeitschrift «Noi Donne» und Pressebeauftragte in zwei italienischen Ministerien unter der Mitte-Links Regierung.)
Frauen in der politischen Schweiz (2002)
Im Nationalrat 24 %
Im Ständerat 19,6 %
Im Bundesrat 28,5 %
In Kantonsregierungen 21,9 %
In Kantonsparlamenten 23,8 %
Frauen im Parlament (2002)
EU 25,8 %
Schweden 45 %
Deutschland 32,2 %
Schweiz 23 %
Frankreich 12,1 %
Italien 9,8 %
Frauen in der Regierung (2000)
EU 23 %
Dänemark 43 %
Frankreich 29 %
Deutschland 27 %
Italien 9 %
Portugal 8 %
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