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Der «Steuerdialog» ist zur Verhandlung mutiert

EU-Kommissarin Ferrero-Waldner und Aussenministerin Calmy-Rey in Brüssel. Keystone

Bundesrätin Calmy-Rey und EU-Kommissarin Ferrero-Waldner pflegten am Donnerstag erneut den "Steuerdialog". Nicht öffentliche Dokumente beider Seiten zeigen aber, dass der "Dialog" faktisch längst eine Verhandlung ist.

Nach den Glückwünschen zum Volks-Ja zur Personenfreizügigkeit sprach EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner beim Treffen mit Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am Donnerstag in Brüssel höflich, aber bestimmt, die heiklen Punkte an.

So forderte sie, dass die EU bei der Verfolgung von Steuerflucht «nicht schlechter behandelt werden sollte als die USA».

Auf der bilateralen Agenda steht aber momentan noch nicht das Bankgeheimnis, sondern der Streit um kantonale Unternehmenssteuerregime.

«Der Vorschlag der Schweiz geht in die gute Richtung», kommentierte die Aussenkommissarin die Pläne des Bundesrates für eine Steuerreform.

Sie liess aber keine Zweifel offen, dass die EU mehr erwarte. Wie üblich betonte Calmy-Rey, dass die Schweiz in dieser Sache «nicht verhandelt», sondern bloss den «Dialog mit der EU fortsetzt».

Neue Vorschläge

Faktisch aber ist der «Dialog» längst zur Verhandlung mutiert. Dies zeigen nicht öffentliche Dokumente, die beide Seiten vor und während der letzten Runde des «Dialogs» auf Diplomatenebene am 13. Februar ausgetauscht hatten. Die Dokumente waren kürzlich bereits in der französischen Ausgabe von swissinfo zitiert worden.

Der Leiter der Schweizer Delegation, Alexander Karrer, überreichte bei diesem Treffen der EU-Delegation ein zweiseitiges Papier zur «autonomen» Unternehmenssteuerreform, die der Bundesrat im Dezember in groben Zügen skizziert hatte.

Im Papier steht auch – was bisher nicht bekannt war – wie sich Bern eine Reform der Besteuerung der «gemischten Gesellschaften» vorstellen könnte.

Diese betreiben Geschäfte sowohl in der Schweiz wie im Ausland. Letztere werden nur schwach besteuert. Die EU fordert bekanntlich, dass ausländische und inländische Erträge gleich besteuert werden.

«Eine der möglichen Lösungen wäre, den gemischten Gesellschaften jegliche Geschäftstätigkeiten in der Schweiz zu verbieten», hält das Schweizer Papier fest. Formal gesehen wäre so die fiskalische Unterscheidung zwischen In- und Auslandgeschäften beseitigt.

EU nicht erstaunt

Die offensichtlich gut informierte EU hatte bereits einen Monat zuvor mit dieser Offerte gerechnet. In einem Brief an Karrer vom 12. Januar hatte der Leiter der EU-Delegation, Matthias Brinkmann, sie bereits kritisiert: «Der Vorschlag scheint die Handelsverzerrungen verglichen mit dem heutigen Regime für gemischte Gesellschaften noch zu verschlimmern.»

Die EU befürchtet, dass die Kantone die Auslandgeschäfte dieser Firmen dann gar nicht mehr besteuern würden. Heute tun sie es zumindest in geringem Umfang.

Da der Vorschlag im Schweizer Papier nur als eine denkbare Variante bezeichnet wird, hält sich der Bundesrat den Spielraum offen, allenfalls eine andere Lösung in der Vernehmlassungsvorlage für eine Steuerreform vorzuschlagen, die er noch 2009 vorlegen will.

Holdings in der Schweiz

Ähnlich liegt der Fall bei den Holdings, die Beteiligungen an Firmen verwalten. Ihnen sind Inlandgeschäfte bereits heute verboten, künftig wären auch Auslandgeschäfte nicht mehr gestattet.

Erlaubt bliebe ihnen aber die «Ausübung typischer Hauptquartier-Funktionen». Auch diese Ausnahme kritisierte die EU brieflich als unzulässigen Steuervorteil.

Die vom Bundesrat vorgeschlagene Abschaffung der Briefkastenfirmen hat die EU hingegen bereits mehrfach öffentlich begrüsst. In seinem Schreiben befürchtet jedoch der EU-Delegationsleiter, dass die Briefkastenfirmen in gemischte Gesellschaften umgewandelt werden könnten.

Kein Abkommen

Dass Bern im «Dialog» die Brüsseler Reaktion auf Vorschläge testet, verleiht diesem Verhandlungscharakter. Ein Unterschied zu offiziellen Verhandlungen bleibt aber: Es wird am Ende kein Abkommen geben.

Dies hilft Bern, das Gesicht zu wahren. Für die EU-Kommission ergibt sich aber ein Problem. Ein informeller Kompromiss ist gegenüber den EU-Staaten schwieriger zu rechtfertigen als ein Abkommen. Brüssel dürfte deshalb im «Dialog» zu einer harten Haltung neigen.

swissinfo, Simon Thönen, Brüssel

Experten der Schweiz und der EU sollen informelle Gespräche über ein mögliches bilaterales Rahmenabkommen aufnehmen.

Dies erklärten Calmy-Rey und Ferrero-Waldner bei ihrem Treffen in Brüssel.

Für die EU steht die Übernahme von EU-Recht durch die Schweiz im Vordergrund, für Calmy-Rey die «Vereinfachung der Prozeduren».

Der Bundesrat habe bisher keinen Entscheid zu einem Rahmenabkommen gefällt, sagte die Aussenministerin, man wolle die Option aber prüfen.

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