Schwierige, aber nicht unmögliche Mission für SVP
Nach dem Rückzug von Topkandidat Bruno Zuppiger dürfte es für die SVP schwierig sein, einen zweiten Sitz in der Regierung zu erobern. Für die SP wird es kaum ein Problem sein, den Sitz der zurückgetretenen Bundesrätin Micheline Calmy-Rey zu verteidigen.
Die SVP als wählerstärkste Partei hat sich das Ziel gesetzt, bei den Gesamterneuerungswahlen vom 14. Dezember für den Bundesrat (Landesregierung) einen zweiten Sitz zu erobern.
Doch am Tag vor den Wahlen sieht es nicht danach aus, als ob die SVP ihr Ziel erreichen könnte.
Die SVP würde gerne den Sitz von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf besetzen und diese abwählen. Die Ministerin der Kleinpartei BDP (Bürgerlich-Demokratisch Partei) ist der SVP ein Dorn im Auge.
Sie hatte vor vier Jahren gegen den Willen der SVP ihre Wahl angenommen. Damit war der umstrittene Bundesrat Christoph Blocher damals abgewählt. Eine Sensation!
Nachdem die SVP mit ihren Hardlinern in früheren Wahlen gescheitert ist, setzte sie dieses Mal auf die Karte der Mässigung. Sie schlug zwei Kandidaten für die Bundesratswahlen vor, die als konsensfähig galten und somit auf Unterstützung von anderen politischen Parteien rechnen konnten: den Zürcher Nationalrat Bruno Zuppiger und seinen Freiburger Kollegen Jean-François Rime.
Am vergangenen Donnerstag dann die Überraschung: Die Partei musste Kandidat Zuppiger aus dem Rennen nehmen. Zum Verhängnis wurde dem Nationalrat eine alte Affäre, wonach er aus einer Erbschaft, die für zwei wohltätige Organisationen vorgesehen war, Geld in die eigene Tasche abgezweigt hatte. Ein (zu) schwerer Vorwurf für einen Bundesratskandidaten.
Die Tür steht noch offen
Die Affäre Zuppiger stellte einen harten Schlag für die SVP-Führung dar, die schon mit den Verlusten von Wähleranteilen bei den nationalen Wahlen vom 23. Oktober und den ausgebliebenen Erfolgen bei der Ständeratswahl zu kämpfen hat.
Die Parteistrategen, welche seit Jahren einen zweiten Sitz in der Regierung fordern, bewiesen bei der Auswahl der Kandidaten keine glückliche Hand und mussten auch intern viel Kritik einstecken.
Vor den Gesamterneuerungswahlen für den Bundesrat steht die SVP geschwächt und isoliert da. Auf der anderen Seite spannen die politischen Kräfte, die bereits 2007 Eveline Widmer-Schlumpf zur Wahl verhalfen, erneut zusammen. Christlichdemokraten, Sozialdemokraten, Grüne und nun auch die Grünliberalen wollen Widmer-Schlumpf ihre Stimmen geben.
Wenn es um den Angriff auf den Sitz von Eveline Widmer-Schlumpf geht, kann die SVP im Moment nur auf die Unterstützung der FDP zählen. Der Partei fehlen somit rund 20 Stimmen. Doch nicht alle Türen sind verschlossen. So hat die SP beispielsweise der SVP Unterstützung zugesagt, wenn diese den zweiten Sitz auf Kosten der FDP erobern wollte.
SVP lanciert neuen Kandidaten
Die SVP hat in den letzten Tagen diesen SP-Vorschlag stets zurückgewiesen. Sie will nicht, dass die beiden Rechtsparteien gegeneinander ausgespielt werden. Aber die Parlamentarier der grössten Schweizer Partei könnten ihre Meinung möglicherweise am Mittwoch wechseln, falls der Angriff auf den Sitz von Eveline Widmer-Schlumpf scheitert.
Zudem hat die SVP nach dem Rückzug von Zuppiger einen neuen Kandidaten aus dem Hut gezaubert, der sehr geeignet erscheint, Stimmen aus anderen politischen Lagern zu erhalten. Es handelt sich um den Thurgauer Nationalrat und Bauernverbandspräsidenten Hansjörg Walter, der gerade mit einem Glanzresultat zum Nationalratspräsidenten gewählt wurde.
Bei den Ersatzwahlen von 2008 war Walter sogar von der Linken unterstützt worden, die ihn anstelle des offiziellen SVP- Kandidaten Ueli Maurer in die Regierung wählen wollten.
Hansjörg Walter ist nun der Favorit bei der SVP. Er politisiert auf Parteilinie, wird aber im ganzen Parlament für seinen gemässigten und konzilianten Stil respektiert. Als zweiter Kandidat der SVP tritt der Westschweizer Jean-François Rime an.
Er hat schon früher bei einer früheren Bundesratsersatzwahl sehr gut abgeschnitten, kann sich aber keine reellen Chancen ausrechnen, am Mittwoch gewählt zu werden. Grund: In der Regierung sitzen bereits zwei Romands.
SP mit zwei Schwergewichten
Die SP schickt ihrerseits zwei erfahrende Politiker als Kandidaten für die Ersatzwahl der demissionierenden Micheline Calmy-Rey: Den Freiburger Ständerat Alain Berset und den Waadtländer Regierungsrat Pierre-Yves Maillard. Letzterer war sechs Jahre Mitglied des Nationalrats, bevor er in die Regierung des Kantons Waadt gewählt wurde.
Maillard ist ein ehemaliger Gewerkschafter, der am linken Flügel seiner Partei politisiert. Dies könnte ihn die Stimmen der Mitte und der Rechten kosten. Er profilierte sich andererseits in der Kantonsregierung und machte sich für eine Sanierung der Kantonsfinanzen stark. Ausserdem wird er von der ganzen Genfer-See-Region unterstützt, die wieder im Bundesrat vertreten sein will.
Doch sein Widersacher Alain Berset geht mit höheren Wahlchancen ins Rennen. Der ehrgeizige Freiburger Ständerart, ein Fachmann für Ökonomie, geniesst in der Kantonskammer eine ausgezeichnete Reputation. 2009 präsidierte er den Ständerat. Seine konziliante und liebenswürdige Art haben ihm zahlreiche Sympathien ausserhalb seiner eigenen Partei eingebracht.
Alain Berset wurde 1972 in Freiburg geboren. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Er studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Neuenburg.
Er war als wissenschaftliche Forschungskraft tätig sowie als politischer Berater, bevor er 2003 selbst in den Ständerat gewählt wurde. 2009 war er Präsident der Kantonskammer.
Der Freiburger ist Vizepräsident der SP-Fraktion in den eidgenössischen Räten.
Pierre-Yves Maillard wurde 1968 in Lausanne geboren. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Er unterrichtete nach seinem Studium Französisch und Geschichte.
Von 2000 bis 2004 war er Generalsekretär der Gewerkschaft Industrie, Bau und Dienstleistungen (Unia).
Von 1999 bis 2004 sass er für die SP im Nationalrat.
2004 wurde er in die Waadtländer Kantonsregierung gewählt.
Dort leitet er bis heute das Departement für Gesundheit und Soziales.
Geboren wurde Hansjörg Walter 1951 in Frauenfeld im Kanton Thurgau. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Er besuchte die Landwirtschaftsschule Strickhof bei Zürich, bevor er den elterlichen Bauernhof in Wängi (TG) übernahm.
Er ist Präsident des Schweizerischen Bauernverbands und wurde 1999 in den Nationalrat gewählt. Am 5. Dezember 2011 wurde er zum Präsidenten des Nationalrats gewählt.
Bei der Ersatzwahl 2008 für den Bundesrat erhielt er Stimmen von der Linken und wurde gegen seinen eigenen Willen zum Gegenkandidaten des offiziellen SVP-Kandidaten Ueli Maurer.
Ihm fehlte schliesslich nur eine Stimme zur Wahl. Es war seine eigene Stimme.
Jean-François Rime wurde 1950 in Freiburg geboren, er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Universität Lausanne.
Der Freiburger Unternehmer ist Eigentümer einer Sägerei.
Er war bis 2002 Mitglied der Freisinnig Demokratischen Partei FDP und wechselte dann zur SVP.
Rime wurde 2003 in den Nationalrat gewählt.
Die SVP schickte ihn 2010 bei einer Ersatzwahl erfolglos ins Rennen um einen Sitz in der Regierung.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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