Der «Vater der AHV» ist tot
Der SP-Politiker und alt Bundesrat Hans Peter Tschudi ist in der Nacht zum Montag knapp 89-jährig verstorben.
Tschudi war sozusagen der Begründer der Schweizer Sozialwerke. Unter seiner Leitung wurde die Altersversicherung zu einer Grundversicherung für alle ausgebaut.
Hans Peter Tschudi ist tot. Der als «Vater der AHV» bekannt gewordene alt Bundesrat starb in der Nacht zum Montag kurz vor seinem 89. Geburtstag in Basel. Der Sozialdemokrat Tschudi stand 1960 bis 1973 dem Departement des Innern vor und setzte sich bis zuletzt für den sozialen Ausgleich und die Konkordanz ein.
Rasche politische Karriere
Tschudi wurde am 22. Oktober 1913 in Basel geboren, studierte in Paris und Basel Rechtswissenschaften und trat 1952 die Stelle als Professor für Arbeits- und Sozialversicherungsrecht an der Universität Basel an.
Auch seine politische Karriere ging schnell voran. 1944 wurde Tschudi als SP-Vertreter in den Basler Grossen Rat gewählt. 1953 folgte der Sprung in die Kantonsregierung, und 1956 wurde Tschudi in den Ständerat gewählt.
Mit Tschudi erstmals zwei SP-Vertreter in Regierung
Tschudis Wahl in den Bundesrat stand an einem Wendepunkt im politischen System der Schweiz. In einer dramatischen Wahl wurden am 17. Dezember 1959 vier Bundesratssitze auf einmal besetzt.
Mit Tschudi und seinem Zürcher Parteikollegen Willy Spühler wählten die Parlamentarier erstmals zwei Sozialdemokraten in den Bundesrat und begründeten die bis heute gültige Zauberformel der Landesregierung (zwei SP, zwei FDP, zwei CVP und ein SVP).
Die Bundesversammlung gab dem inoffiziellen Kandidaten Tschudi den Vorzug vor dem älteren ehemaligen Kommunisten Walter Bringolf.
Viele Dossiers
Tschudi erarbeitete sich mit seinem Ausbau im ganzen Departement und seinem legendären «Tschudi-Tempo» bald breiten Respekt.
Er begann mit dem Bau des Nationalstrassen-Netzes. Weiter tragen Verfassungsartikel zu Natur- und Heimatschutz sowie eine Gewässerschutzgesetzes-Revision seine Handschrift. Als Innenminister begann er mit der Filmförderung und forcierte das Engagement des Bundes im Hochschulbereich.
Für die breite Akzeptanz Tschudis spricht auch das Rekordergebnis bei seiner zweiten Wahl zum Bundespräsidenten für das Jahr 1970.
Grundversicherung AHV
Der Name Tschudi ist aber wie kaum ein anderer mit dem Ausbau der AHV verbunden. «Sein breites Wissen, sein sicheres Urteil, sein politisches Gespür und seine pragmatische Art auf dem Weg zu den grossen Zielen sind die Grundlagen für seinen politische Erfolg und seine anhaltende Popularität gewesen», sagte die abtretende Bundesrätin Ruth Dreifuss an einer Feier zum 80. Geburtstag Tschudis.
In seiner 14-jährigen Amtszeit wurde das Sozialwerk in vier Revisionen schrittweise zu einer Grundversicherung ausgebaut. Tschudi setzte auch das Drei-Säulen-Prinzip der Altersvorsorge durch (AHV, Berufliche Vorsorge, private Vorsorge).
Mit Realismus hin zu grossen Zielen
Der ehemalige SP-Präsident Helmut Hubacher bezeichnete Tschudi an dessen 75. Geburtstag 1988 als «einen der erfolgreichsten Schweizer Politiker überhaupt». Der Basler Publizist Alfred Häsler würdigte bereits zwei Jahre nach Tschudis Rücktritt dessen Weitblick: «Realismus und Fantasie liessen ihn das verwirklichen, was möglich war, und auf das zugehen, was einst möglich sein kann.»
Bundesrätin Dreifuss sagte am Montag bei ihrem Rücktritt über den Parteikollegen und Vorgänger im Bundesrat, sie wolle seinem Beispiel folgen, und sich auch nach ihrer Demission weiter engagieren.
Nach seinem Rücktritt 1973 als erst 60-Jähriger engagierte sich Tschudi persönlich weiter, so im Sozialbereich als IKRK-Mitglied oder Pro Senectute-Präsident. Und er dozierte wieder Arbeits- und Sozialversicherungsrecht an den Universitäten Basel und Bern. 1993 hat er seine Autobiografie «Im Dienste des Sozialstaates» publiziert.
Noch im Januar 2001 stand Tschudi bei der Lancierung einer neuen AHV-Initiative für sein Sozialwerk ein. Der Basler war seit längerer Zeit krank gewesen.
swissinfo und Agenturen
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