Der Vater des Schweizer Eishockey-Wunders
Seit der Deutsch-Kanadier die Schweizer Eishockey-Nati coacht, gehört sie zu den besten acht Teams der Welt. Die Heim-WM bietet Trainer und Team Gelegenheit, einen Exploit zu landen. Wie schon 1998, ebenfalls in der Schweiz.
Ralph Krueger ist eine Trainerlegende. Als Coach steht der ehemalige Profi mit der Schweiz vor seiner zwölften Weltmeisterschaft!
Auf die rekordverdächtigen 18 Jahre, die Viktor Tichonow die «Sbornaja» – die Nationalmannschaft Russlands – mit eiserner Faust dirigierte, wird es Krueger aber kaum bringen.
«Viel wichtiger ist für mich ein gutes Abschneiden in Vancouver im nächsten Winter. Das Olympiaturnier 2010 steht über allem. Vorher werde ich keinen Entscheid fällen», sagt Krueger gegenüber swissinfo. Was stünde Trainer und Spielern deshalb näher, als schon jetzt an der Heim-WM zu brillieren?
Wie 1998?
Dies ist aber nur mit einer Sonderleistung möglich. Mit einer solchen verzückten die Krueger-Boys 1998 an der letzten Weltmeisterschaft in der Schweiz die Fans. Damals pushte der charismatische Coach seine jungen Spieler von Match zu Match zu noch höheren Leistungen. Das kleine Schweizer Eishockey-Wunder – das Team war eben erst aus der B-Gruppe aufgestiegen – kulminierte in einem sensationellen vierten Platz.
Höhenflüge wie diesen haben die Schweizer an Grossanlässen zwar seither nicht mehr geschafft. Aber es ist das Verdienst des Trainers, dass sich die Schweiz in seiner Amtszeit als kleinste Eishockey-Grossmacht etabliert hat: Nur dreimal haben die Rot-Weissen das Viertelfinale verpasst, das gleichbedeutend ist mit dem Sprung unter die besten acht.
Für die Geschichtsbücher
Immer wieder schafften es die Schweiz an WM und Olympia, einem Grossen ein Bein zu stellen. Dies dank herausragenden Akteuren wie David Aebischer und Martin Gerber im Tor, Goran Bezina, Severin Blindenbacher, Mathias Seger oder Mark Streit als Verteidiger mit starkem Zug zum Tor sowie flinken Angreifern wie Andres Ambühl, Paul di Pietro oder Sandy Jeannin.
Der Sieg gegen Russland an der WM 2000 in St. Petersburg und die Erfolge an den Olympischen Spielen 2006 in Turin gegen Kanada und Tschechien gingen in die Schweizer Sportgeschichte ein. Letztes Highlight war das 4:2 über Schweden an der WM vor einem Jahr. Es war dies der erste Sieg über das Drei-Kronen-Team seit 15 Jahren.
Stagnation
Trotz solch herausragender Siege Davids gegen Goliath bedeutete in den letzten Jahren das Viertelfinale stets Endstation für die Schweiz.
Krueger weiss, wo die Defizite seiner Mannschaft liegen, die ausschlaggebend sind, dass die Schweiz zwar in einzelnen Partien, aber nicht über die gesamte Turnierdauer hinweg über sich hinauswachsen kann: Die Reihen der ganz Grossen des Welteishockeys bestehen praktisch geschlossen aus Akteuren aus der NHL. Die Schweizer aber, die bisher in der besten Liga der Welt Fuss gefasst haben, lassen sich an einer Hand abzählen.
Kruegers Kunststück besteht also darin, die mangelnde Erfahrung auf höchstem Niveau mit spielerischen und technischen Qualitäten, taktischer Einstellung und Kampfwillen wettzumachen. Und natürlich mit dem legendären Teamgeist, dem der Chef alles unterordnet.
Alles geht, aber nur mit Disziplin
Natürlich hätte die Schweiz mit drei oder vier Mark Streits – der Berner ist Leistungsträger bei den New York Islanders – viel bessere WM-Karten.
Doch an seiner Handschrift, nicht in erster Linie auf klingende Namen aus Nordamerika, sondern konsequent auf Team-Player zu setzen, hält Krueger auch diesmal fest. «Wir versprechen niemandem ein WM-Freibillet», hält er fest.
Klar stünden die jungen Spieler, die in Nordamerika auf ihre Chance warten, für die Zukunft des Schweizer Eishockeys. «Aber wir haben schon eine Gruppe mit sehr viel Erfahrung beisammen, werden also im Hinblick WM und Olympia keine drastischen Veränderungen vornehmen.»
Zu Kruegers Künsten gehört es, Spielern und Fans das Gefühl zu vermitteln, alles sei möglich. Er ist aber clever genug, die Erwartungen vor dem Grossanlass im eigenen Land nicht zu hoch zu schrauben.
Konsolidierung als realistisches Ziel
Als Nationalcoach misst er Erfolg über eine lange Zeitperiode und lässt Zahlen sprechen: «1997 lagen wir in der Weltrangliste auf Platz 18, jetzt auf Rang 8.» In Bern und Zürich geht es ihm vorab darum, diese Position im Konzert der Grossen zu verteidigen.
Aber Krueger wäre nicht Krueger, würde er nicht leise an Edelmetall kratzen. «Die Chancen auf eine WM-Medaille sind für uns nicht sehr gross. Dennoch arbeiten wir hart daran, diesen Traum zu erfüllen. Als Kanadier kenne ich nichts anderes», sagt er.
Dabei setzt er auf das Publikum als sechsten Mann auf dem Eis. «Wir haben die Fans hinter uns, die Stimmung in Bern wird fantastisch sein (die neue PostFinance-Arena fasst bei der WM 12’000 Zuschauer, die Red.).
Nicht frei von Fehlern
Trotz seiner Erfolgsgeschichte ist Krueger aber nicht unumstritten. Bei seinem harten Durchgreifen gegen Reto von Arx und Marcel Jenny am Olympiaturnier 2002 – er schickte die beiden Leistungsträger nach einer unbewiesenen Zecherei nach Hause – bewies er wenig Fingerspitzengefühl.
Vielleicht liess er sich von seinem Frust leiten, weil die Schweizer in Salt Lake City schlecht spielten. Von Arx hat seither Wort gehalten, nie mehr für die Schweiz zu spielen, solange der Trainer Krueger heisst.
Ein rauerer Wind bläst dem Charismatiker aber von anderer Seite entgegen: Den grossen Klubs. Die Vereinsbosse, namentlich die aus Bern und Davos, sägen offen an seinem Stuhl. Erstens beansprucht Krueger die Nati-Spieler ihrer Meinung nach an zu vielen Tagen, und zweitens ist er mit seinem geschätzten Jahresgehalt von 700’000 Franken ein zu teurer Budgetposten.
Ende in Sicht
«Es wäre für unsere Arbeit und das Schweizer Eishockey verheerend, wenn die Termine der Nationalmannschaft gekürzt würden. Wir brauchen jeden einzelnen Tag, den wir kriegen können», antwortet Krueger seinen Kritikern.
Doch im Machtpoker hat er neuerdings schlechte Karten in der Hand: Anfang Februar haben im Schweizerischen Eishockeyverband die Klubs die Macht übernommen. Selbst wenn Krueger die 18 Jahre Tichonows als russischer Nationaltrainer überbieten wollte, ist wahrscheinlicher, dass die Weltmeisterschaft 2010 sein letzter Einsatz an der Schweizer Bande sein wird.
swissinfo, Renat Künzi
(Zitate: Justin Häne)
Geboren 1959 in Winnipeg, Kanada.
Als Junior spielt er in der nordamerikanischen WHL (Western Hockey League), bevor er nach Deutschland wechselt.
In der Eishockey-Bundesliga bestreitet er 350 Partien; 45 mal trägt er das Trikot der deutschen Nationalmannschaft.
1989 wird er Trainer.
Zwischen 1994 und 1998 wird er mit Feldkirch fünfmal in Folge österreichischer Meister.
Als Krönung bei Feldkirch folgt 1998 der Sieg in der European Hockey League, gegen die Meisterteams aus Russland, Schweden, Finnland und Tschechien.
Die Schweizer Nationalmannschaft, die er 1997 im Nebenamt übernahm, führt er seit 1998 vollamtlich.
Krueger ist nicht nur erfolgreicher Trainer, sondern auch Buchautor und ein auch in Wirtschaftskreisen gefragter Referent zum Thema Motivation.
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