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“Die Resultate dieser Abstimmung sind ein gutes Zeugnis für Bundesbern”

Parteipräsidenten Schweiz
Gelungene Kompromisse: Die Präsidenten der grossen Schweizer Parteien erörtern am 9. Juni die Volksentscheide. Keystone / Anthony Anex

Die Schweiz folgt bei allen vier Vorlagen dieses Abstimmungssonntags den Empfehlungen von Bundesrat und Parlament. "Die Angst vor weniger Leistung hat gewirkt", sagt Meinungsforscher Urs Bieri von gfs.bern im Interview.

SWI swissinfo.ch: Mit der 13. AHV-Rente gelang ein Sozialausbau. Mit den Gesundheitsinitiativen klappte es diesmal nicht. Warum nicht?

Urs Bieri: Die Schweiz hat in den letzten Jahren intensiv über Kosten und Leistungen in den Gesundheit- und Sozialversicherungen diskutiert. Dabei steht in der Bevölkerung im Normalfall die Kostendiskussion im Zentrum. Bei der 13. AHV drehte sich die Diskussion um Leistungen, Kosten spielten nur am Rande eine Rolle. Nun hat die Bevölkerung auf absehbare Mehrkosten reagiert und folgt damit wieder dem normalen Diskussionsmuster bei sozialpolitischen Vorlagen.

Urs Bieri
Urs Bieri, Co-Leiter von gfs.bern. zvg

Die angespannten Bundesfinanzen spielten also eine Rolle?

Ja, sie haben die Bevölkerung gegenüber Kosten sensibilisiert. Die Diskussionen im Parlament über die verschiedenen Ideen, wie man weiter Geld ausgeben kann, auch über die neuen Anliegen an die Bundesfinanzen, hatten tatsächlich einen Einfluss. Auch das hat zum Nein zu diesen Initiativen beigetragen.

Die Stimmbeteiligung ist relativ tief. Wie wirkte sich das aus?

Eine durchschnittliche Stimmbeteiligung heisst immer: Das Resultat wird behördenfreundlicher, eher im Sinne von Parlament und Bundesrat. Das zeigt sich in allen vier Vorlagen. Wir haben einen klaren Sieg des Bundesrats und des Parlaments.

Eine Zusatzrente aktivierte die Pensionierten. Sind Einkommensschwächere schwieriger zu mobilisieren?

Tatsächlich ging das Thema in der Diskussion weniger in die Breite. Es gab kein Protestvotum. Es gab keine überdurchschnittliche Mobilisierung. Doch die SP hat immerhin über ihre Klientel hinaus mobilisieren können, was ein Achtungserfolg ist. Sie ist aber nicht bis ins bürgerliche Lager hinein gedrungen.

Es zeigt sich ein ausgeprägter Röstigraben. Was sind die Gründe dafür?

Wir haben in der Schweiz eine Spaltung zwischen links und rechts, und diese auch stark entlang des Sprachgrabens. Wir haben die Westschweiz, die in fast allen Themen linker stimmt als die Deutschschweiz. Das zeigt sich auch hier. Nicht zu vergessen ist auch der Stadt-Land-Graben. Städter sind traditionell linker orientiert als ländliche Regionen. Beides zeigt sich an diesem 9. Juni deutlich. Und es gelang der SP eben nicht, diese Gräben so weit zu überqueren, dass ihre Vorlage mehrheitsfähig geworden wäre.

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In Vorwahlumfragen gab es auch einen Graben zwischen dem Inland und der Schweizer Diaspora. Aus ähnlichen Gründen?

Davon gehe ich aus. Im Durchschnitt stimmen Auslandschweizer:innen tatsächlich eine Tendenz linker als die Inlandschweizer:innen. Aufgrund der Ja-Höhe ist aber nicht davon auszugehen, dass der Graben wirklich Schwarzweiss ist. Es gibt also kein klares Ja der Auslandschweizer:innen gegenüber einem klaren Nein im Inland. Ein Unterschied ist da, aber er ist nicht entscheidend.

Beide Prämien-Initiativen kamen nicht durchs Volk. Und doch figuriert die Prämienlast auf allen Sorgenbarometern immer ganz weit oben. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?

Tatsächlich sind die Gesundheitskosten ein riesiges Thema in der Bevölkerung, allerdings nicht im Alltag. Da empfindet man die Last zwar als hoch, aber noch tragbar. Was offenbar als deutlich wichtiger eingestuft wird, ist die Art und die Qualität der Leistung. Die Schweizer Bevölkerung schätzt die Leistungen im Gesundheitswesen stark und will diese auf keinen Fall reduzieren.

Vorlagen, die in irgendeiner Form eine Leistungsreduktion mit sich bringen, haben es ausgesprochen schwer, so geschehen nun mit der Kostenbremse-Initiative. Die Angst vor Kürzungen bei den eigenen Leistungen ist meist der Grund für die Ablehnung.

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Die eigene Betroffenheit war also auch diesmal ein Faktor?

Ja. Die eigene Betroffenheit hat immer zwei Dimensionen: Einerseits Kosten und Kostenersparnis, auf der anderen Seite die Leistungen, die man erhält und die Frage, ob diese gekürzt werden. Die Angst vor letzterem überwiegt.

Das Stromgesetz kam locker ins Ziel. Es ist ein Sieg für Bundesrat Albert Rösti, eine Niederlage für die SVP. Hat sich die SVP verkalkuliert?

Das SVP-Nein zündete sichtbar nicht aus dem eigenen Lager heraus. Nicht alle SVP-Mitglieder und Sympathisant:innen waren gegen diese Vorlage, aber eine grosse Mehrheit. Allerdings war es das dann auch, weiter ging die Ablehnung nicht. Kommt dazu, dass auch die Ablehnung aus dem ökologischen Lager nicht ins links-grüne Lager übergreifen konnte.

Die Diskussion ums Stromgesetz im Vorfeld der Abstimmung war nicht allzu hitzig. Warum?

Als Behördenvorlage hatte sie den Vorteil, dass sie das Resultat eines Kompromisses war. Bei solchen Vorlagen hat das Parlament bereits eine Mehrheit gefunden, denn keine Seite hat diese schon einfach so. Darum braucht es Kompromisse. Das Stromgesetz hat die Bevölkerung ganz offensichtlich als einen solchen Kompromiss verstanden und angenommen.

Dass die Schweiz die Klimawende will, dass diese nötig ist und dass es richtig ist, dass die Schweiz ihren eigenen Strom produziert, war hier meinungswirksam. Kritik an der Verschandelung von Landschaftsbildern oder Diskussion über Versorgungssicherheit durch alternative Energieformen drang nicht durch.

Alle Vorlagen erzielten sehr klare Resultate. Man weiss – im Gegensatz zu einigen andern Abstimmungen – in der Schweiz wieder einmal genau, was das Volk will. Ein Vorteil?

Es ist durchaus ein Zeugnis für die organisierte Schweizer Politik von Parlament und Bundesrat. Für einmal hat diese die Stimmung in der Bevölkerung deutlich verstanden und vorweggenommen. Dafür war Bundesbern nun an der Urne erfolgreich.

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