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Die bürgerliche Mitte sucht sicheres Terrain

Wollen den Krebsgang der politischen Mitte stoppen: Christoph Darbellay, CVP-Präsident, und Fulvio Pelli, FDP-Präsident. Keystone

FDP und CVP verlieren seit über zwei Jahrzehnten Wählerstimmen. Sie versuchen, wieder Boden gut zu machen. Doch um die Stimmen in der politischen Mitte kämpfen auch andere Parteien. Die Wahlen 2011 werden zur Nagelprobe.

Der Antagonismus zwischen der Freisinnig-Demokratischen Partei FDP und der Christlichdemokratischen Volkspartei CVP hat das politische Leben der Schweiz über Jahrzehnte geprägt. Begonnen hat es mit der Geburt des modernen Bundesstaates 1848. Damals lag ein tiefer Graben zwischen den beiden Parteien: Die FDP war liberal, progressiv und an der Macht, die CVP konservativ, katholisch und in der Opposition.

Ab 1891 regierten die beiden zerstrittenen Parteien gemeinsam, was zu einer Entspannung in der Beziehung führte. Doch alte und teils merkwürdige Rivalitäten sind geblieben, vor allem auf kantonaler Ebene. Politisch aber gab es eine Angleichung der Positionen zum Zwecke des gemeinsamen Machterhalts. Dies ging zu Lasten des jeweiligen politischen Profils.

Die Folge: Die beiden Parteien haben in den letzten Jahrzehnten einen Niedergang erlitten. Die FDP ist von 24,1% der Wählerstimmen 1979 auf 15,7% im Jahr 2007 geschrumpft. Die CVP von 21,5 auf 14,4%. Diese Schwächung der beiden bürgerlichen Parteien hat viele politische Beobachter dazu veranlasst zu glauben, dass auch in der Schweiz die Zeit eines bipolaren Systems angebrochen ist.

Verschleiss durch Macht

«Die beiden historischen Regierungsparteien haben Verschleisserscheinungen aufgewiesen, wie sie sich im Übrigen in ganz Europa beobachten lassen. Das Misstrauen gegenüber Parteien mit Regierungsverantwortung wächst immer schneller. Davon profitieren Kräfte, die gegen die Macht und die herrschende Klasse antreten. In der Schweiz ist dies die Schweizerische Volkspartei SVP», analysiert der Politologe Michael Hermann von der Universität Zürich.

Bei der CVP hat zudem das Label als katholische Partei an Bedeutung verloren. Diese Etikette sicherte einst eine treue Wählerschaft. Die FDP ihrerseits hat sich immer stärker als Wirtschaftspartei profiliert, was ihren Charakter einer breiten Volkspartei zusehends untergraben hat.
Die FDP als liberale Partei findet ihre Wählerschaft heute vor allem in wohlhabenden Stadtvierteln und städtischen Aussenbezirken. Die CVP erhält ihre grösste Unterstützung immer noch aus den katholischen Landgegenden.

«Man darf aber nicht vergessen, dass diese beiden Parteien im Parlament sehr häufig eine Mehrheit haben. In der kleinen Kammer, dem Ständerat, erreichen sie gemeinsam eine absolute Mehrheit der Sitze, genauso wie in vielen Kantonalregierungen. Im Schnitt besetzt die FDP in den kantonalen Exekutiven zwei von sieben Sitzen, während die SVP nur auf einen von sieben Sitzen kommt», hält Hermann fest.

Auf der Suche nach Profil

In Anbetracht des stetigen Verlustes von Wähleranteilen und Parlamentsmandaten hat die FDP 2009 ihren lang gehegten Wunsch einer Fusion mit der Liberalen Partei der Schweiz verwirklicht. Die CVP hat ihrerseits die Evangelische Partei der Schweiz und die Grünliberalen in ihre Bundeshausfraktion integriert. Eine immer wieder diskutierte Fusion zwischen FDP und CVP ist auf Grund der historischen Rivalität zwischen diesen beiden Parteien noch in weiter Ferne.

«Mit der CVP haben wir im Parlament eine Zusammenarbeit zu spezifischen Themen vereinbart. Doch bei den nächsten Wahlen kämpft jeder für sich», betont FDP-Präsident Fulvio Pelli. Auch CVP-Präsident Christophe Darbellay sieht im Moment «höchstens ein abgestimmtes Vorgehen bei zwei bis drei Themen pro Session der Eidgenössische Räte».

In Bezug auf die kommenden Wahlen im Jahr 2011 will Darbellay seine Partei vor allem bei den Themen Familienpolitik, Arbeitsplätze, Sicherheit und Umwelt positionieren. Für Pelli besitzt die Sicherung von Arbeitsplätzen, die Sanierung der Sozialversicherungen sowie Massnahmen für einen schlankeren Staat oberste Priorität. Obwohl beide Parteien seit Jahren wichtige Themen auf ihre Agenda setzen, konnten sie kein Profil gewinnen, dass breite Wählerschichten ansprach.

Fünf Parteien im Wettstreit

«In einer Medien-Gesellschaft ist es leichter geworden, in der Opposition zu sein: Die Probleme werden stärker in den Vordergrund gestellt als die Lösungsvorschläge», meint Fulvio Pelli. «Als Regierungspartei arbeiten wir dafür, den Wohlstand der Schweiz zu sichern. Und wir tun dies, wie ich meine, mit gewissem Erfolg, wenn wir unsere ökonomische und soziale Situation mit vielen anderen europäischen Ländern vergleichen. Doch für unsere Arbeit werden wir nicht immer belohnt.»

Sowohl die FDP als auch die CVP sollten gemäss diversen Meinungsumfragen wieder Wähleranteile gewinnen. Doch die Ausgangslage für die Wahlen von 2011 ist für beide Parteien eher ungünstig. Mit der Gründung der Grünliberalen Partei und der Bürgerlich Demokratischen Partei (BDP) innerhalb der letzten drei Jahre hat sich der Kampf um Wählerstimmen in der Mitte verschärft.

«Leider sind wir in der Mitte immer mehr gespalten: Mittlerweile sind wir fünf Parteien, die sehr ähnliche Positionen vertreten», hält Christophe Darbellay fest. Auch die Ergebnisse der Kantonalwahlen der letzten drei Jahre lösen keinen Enthusiasmus aus. FDP und CVP mussten in 13 von 17 Kantonen, in denen gewählt wurde, Verluste einstecken.

Von 1848 bis 1931 war die FDP die wichtigste politische Kraft in der Schweiz.

Heute steht sie nach SVP und SP an dritter Stelle in der Wählergunst.

Bei den Wahlen 2007 erhielt sie 15,7% der Stimmen.

Im Schweizer Parlament hält die FDP 47 Mandate – 35 (von 200) im Nationalrat (Volkskammer) und 12 (von 46) im Ständerat (Kantonsvertretung).

Im Bundesrat stellt die FDP zwei von sieben Mitgliedern.

Die Mitte-Rechts-Partei hat in 13 von 17 Kantonen, in denen in den letzten drei Jahren gewählt wurde, Verluste einstecken müssen.

Die Gewinne von Wählerstimmen in vier Kantonen erklären sich vor allem durch die Fusion mit der Liberalen Partei der Schweiz.

Die CVP zog 1891 in die Schweizer Landesregierung ein.

Heute ist sie die viertstärkste Partei der Schweiz.

Bei den Wahlen 2007 erreichte sie 14,4% der Stimmen.

Die CVP stellt einen von sieben Repräsentanten im Bundesrat.

Die Bundeshausfraktion umfasst 36 Mitglieder (von 200) im Nationalrat (inklusive Grünliberale und Evangelische Partei) und 16 (von 46) im Ständerat (Kantonskammer).

Bei den Kantonswahlen der letzten drei Jahre konnte die Partei nur in 4 von 17 Ständen, in denen sie sich zur Wahl stellte, ihren Wählerstimmenanteil steigern.

(Aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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