«Die deutsche Regierung macht sich strafbar»
Mit dem Versprechen, für gestohlene Bankkundendaten Geld zu bezahlen, mache sich die deutsche Regierung strafbar, sagt der Hamburger Steuerstrafrechtler Erich Samson im Gespräch mit swissinfo.ch. Den betroffenen Banken rät Samson zu einer Strafanzeige.
swissinfo.ch: Sie sagen, die deutsche Regierung mache sich mit dem Datenkauf strafbar. Wieso?
Erich Samson: Die erste Frage ist, ob der Schweizer Angestellte, der sich die Daten beschafft hat, sich nach deutschem Recht strafbar macht. Das ist eindeutig der Fall. Es gibt den Tatbestand des Ausspähens von Daten. Darauf stehen Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren.
Meine These ist, dass die deutsche Bundesregierung durch ihre Äusserungen und durch ihr Geldversprechen zur Begehung solcher Taten auffordert.
Die Aufforderung hat bereits gewirkt, es sind ja schon weitere Anbieter von Daten-CDs auf dem Markt.
Dieses öffentliche Auffordern zur Begehung strafbarer Handlungen ist seinerseits eine Straftat.
swissinfo.ch: Handelt es sich also nicht um Datendiebstahl oder Hehlerei?
E.S.: Richtig. Diebstahl oder Hehlerei setzt voraus, dass eine fremde Sache entwendet wird. Das ist bei Daten nicht der Fall, sie sind unkörperlich.
Der Tatbestand des Diebstahls wäre höchstens mit Blick auf den CD-Rohling erfüllt. Das dann, falls der Informant den Rohling für die Daten-CD von seinem Arbeitgeber gestohlen hat.
swissinfo.ch: Sind die Daten denn aus juristischer Sicht überhaupt verwertbar?
E.S.: In der Regel sind diese Daten verwertbar. Laut unserer Rechtsprechung kann man illegal beschaffte Daten dennoch verwenden, wenn eine Verhältnismässigkeits-Abwägung die Angemessenheit ergibt. Das heisst: Trotz strafbarer Beschaffung ist die Verwertbarkeit im Prinzip dennoch gegeben.
swissinfo.ch: Der Zweck heiligt also die Mittel?
E.S.: So kann man das sagen. Es gibt eine ganz charmante Auffassung in Deutschland. Diese besagt, dass der Staat seine innere Legitimation verliert, wenn er sich bei Verfolgung von Kriminalität seinerseits krimineller Mittel bedient.
Aber so allgemein hat sich die Auffassung in der Praxis nicht durchgesetzt. Die Auffassung wurde nur in der juristischen Literatur vertreten.
swissinfo.ch: Denken Sie, dass die Regierung die CD nun wirklich kauft, oder haben wir es vielmehr mit einer Drohgebärde zu tun?
E.S.: Selbst wenn die Regierung auf eine Drohwirkung vertraute, würde das nicht funktionieren. Die deutschen Steuerhinterzieher sind so hartnäckig, dass sie nun nicht in Scharen Selbstanzeigen machen.
Ich glaube, das ist ernst gemeint. Die wollen die CD wirklich erwerben. Aber mein Eindruck ist, dass die Regierung die Frage der prozessualen Verwertbarkeit mit der Frage verwechselt hat, ob die Beschaffung eine Straftat darstellt.
swissinfo.ch: Wieso passiert denn nichts?
E.S.: (lacht) Die Schweizer Banken reden ja mal grossartig von kriminellen Machenschaften der Deutschen. Für mich ist diese Auffassung in Ordnung, aber eine Strafanzeige habe ich noch nicht gesehen. Die betroffene Bank kann gegen die Bundesregierung Strafanzeige erstatten.
Das ginge ganz einfach. Jedermann kann eine Strafanzeige einreichen. Es genügt, einen schmucklosen Brief an die Staatsanwaltschaft Berlin zu senden und Anzeige gegen Unbekannt zu machen.
swissinfo.ch: Wie ist das generell: Reichen die Daten auf solchen CDs aus, um vor Gericht eine Anklage zu begründen und durchzuziehen?
E.S.: In der Regel ist es so, dass man als Strafverfolger die CD gar nicht benötigt. Es genügt, wenn man dem Verdächtigten sagt, man habe Hinweise auf ein nicht deklariertes Konto in der Schweiz. Dann geben die in der Regel alles zu, um Strafmilderung zu erlangen.
Oder die CD reicht allemal aus, um einen Tatverdacht zu bekommen, der dann zur Verhaftung führt. Das ist in der Liechtenstein-Affäre oft passiert. Die meisten haben nach dieser Erzwingungshaft ein Geständnis abgelegt, und die CD war gar nicht mehr nötig.
swissinfo.ch: Im Fall Liechtenstein hat der deutsche Staat offenbar dem Informanten zu einer neuen Identität verholfen, um ihn vor der Strafverfolgung zu schützen. Wie geht das?
E.S.: Ich kenne die Machenschaften des Bundesnachrichten-Dienstes nicht im Detail. Aber ich betrachte sie mit grossem Misstrauen und halte alles Schlimme für möglich, also auch, dass man Jemanden mit einem neuen Pass und damit einer andern Identität ausstattet.
Andreas Keiser, swissinfo.ch
1940 in Hamburg geboren.
Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht sowie Leiter des Zentrums für Juristische Didaktik an der Hochschule für Rechtswissenschaft Hamburg.
Nach dem Ersten und Zweiten Staatsexamen (1963 und 1968) sowie der Promotion (1967) habilitierte er 1971 für Strafrecht (inkl. Steuerstrafrecht) und Strafprozessrecht in Bonn.
Er wurde im Jahre 1971 ordentlicher Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Kiel.
Im Jahre 1984 gründete er in Kiel das Institut für Umwelt-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, dessen Direktor er bis zum Jahre 2002 war.
Im Jahre 1980 gründete er die Zeitschrift «wistra» für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, deren Herausgeber und Chefredakteur er bis heute ist.
Er war darüber hinaus von 1992 bis 1998 Sprecher des von ihm initiierten Graduiertenkollegs der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft über Nationales und Internationales Umweltrecht.
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