«Die Doppelmoral ist definitiv am Ende»
Paolo Bernasconi, Anwalt in Lugano und Professor für Wirtschaftsrecht an der Uni St.Gallen, äussert sich zu den veränderten Strafrechtsbedingungen für Schmuggel und Geldwäscherei. Er war an der Ausarbeitung der Schweizerischen Geldwäschereinormen beteiligt.
Letzte Woche fiel das Urteil im Prozess um den mutmasslichen Arm der italienischen Zigarettenmafia. Nur in zwei Fällen hat das Bundesstrafgericht die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung konstatiert. In allen andern Anklagepunkten erfolgten Freisprüche. Dies gilt in allen Fällen für Geldwäscherei.
Der frühere Staatsanwalt im Kanton Tessin, Paolo Bernasconi (66) nimmt im Gespräch mit swissinfo.ch Stellung zum Prozessverlauf und zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen beim Schmuggel in der Schweiz.
swissinfo.ch: Alle neun Angeklagten wurden vom Vorwurf der Geldwäscherei freigesprochen. Haben Sie damit gerechnet?
Paolo Bernasconi: Es ist schwierig, sich eine Einschätzung über einen Prozess zu erlauben, der auf Hunderten von Aktenordnern voller Dokumente beruht, die man nicht gesehen hat.
Für mich war es von Anfang an ein totgeborenes Strafverfahren, denn es handelte sich um einen sehr komplexen Fall, der zudem weit in die Vergangenheit zurück reichte. Zudem fanden die Schmuggelvergehen im Ausland statt. Ausserdem operierten die Akteure in einer gesetzlichen Grauzone.
swissinfo.ch: Zigarettenschmuggel und – handel waren in der Tat in den 1990er-Jahren keine Straftaten. Dies hat eine Verurteilung wegen Geldwäscherei verunmöglicht, auch wenn die Angeklagten offensichtlich um die kriminellen Umstände in Italien wussten. Was hat sich mittlerweile in der Schweizer Gesetzgebung geändert?
P. B.: Die Situation hat sich am 1. Februar dieses Jahres mit Inkrafttreten neuer Normen grundlegend geändert. Denn das schweizerische Parlament hat die Normen der OECD bezüglich Schmuggel übernommen. Wenn Steuerbetrug durch Schmuggel gewerbsmässig und in grossen Beträgen begangen wird, werden solche Straftaten mit mehr als drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet. Sie werden somit als Verbrechen qualifiziert.
Damit wird die Geldwäsche aus gewerbsmässigem Schmuggel, auch wenn dieser im Ausland und zu Lasten ausländischer Steuerbehörden begangen wird, in der Schweiz bestraft. Das heisst: Vermögensverwalter, Treuhänder und Geldwechsler müssen die Geldwäscherei-Normen anwenden, sobald der geringste Verdacht besteht, dass Erlöse aus dem gewerbsmässigen Schmuggel stammen.
swissinfo.ch: Der immer wieder zu hörende Satz «Zigarettenschmuggel ist in der Schweiz nicht strafbar» gilt also nicht mehr?
P. B.: Das ist genau so. Lange galt der Grundsatz: «In der Schweiz kann man machen, was im Ausland verboten ist, wenn es die Schweizer Gesetze erlauben.» Doch das war immer eine Doppelmoral, gerade in Bezug auf den Zigarettenschmuggel.
Alle wussten, dass die Schweiz eine wichtige Drehscheibe für den Zigarettenschmuggel war. Man sprach sogar von A- und B- Zigaretten. Solche für den internen Gebrauch und solche für den Schmuggel.
Aber das waren so genannte Blut-Zigaretten. Denn es handelte sich um Zigarettenhandel, der im Ausland mit Waffen geschützt werden musste.
swissinfo.ch: Das ist nun definitiv vorbei. Das Parlament hat die Schraube angezogen.
P. B.: Aber man muss doch feststellen, dass die Neuerungen nur langsam durchkamen. Lange wurden alle Vorstösse abgewehrt, den Schmuggel als Strafdelikt zu bewerten. Eine Mehrheit im Parlament hat sich immer dagegen gewehrt, denn der Zigarettenhandel hatte eine bedeutende wirtschaftliche Komponente.
Die erwähnte Doppelmoral war vielen hiesigen Firmen und Parlamentariern dienlich.
swissinfo.ch: Welchen Einfluss hat der Beitritt zum Schengen-Raum auf die Beurteilung des Schmuggeldelikts?
P. B.: Das Schengen-Abkommen betrifft die Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Justizbehörden. Dies betrifft auch Fälle in Zusammenhang mit Steuerfragen und Schmuggel. Am 12. Dezember 2008 sind diese Normen für die Schweiz in Kraft getreten.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Anti-Betrugsabkommen der EU, das im April dieses Jahres in Kraft getreten ist. Es sieht eine Zusammenarbeit zugunsten ausländischer Ermittler vor, welche gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung sowie gegen die Geldwäsche von Erlösen aus Steuerbetrug und gewerbsmässigem Schmuggel vorgehen.
Darüber hinaus dürfen Mitarbeiter des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) auch auf Schweizer Territorium Ermittlungen durchführen, wenn ein Schweizer Beamter mitanwesend ist. Das ist ein echtes Novum.
swissinfo.ch: Bedeutet das, dass die jetzt frei gesprochenen Angeklagten – würden sie im Jahr 2009 dieselben Taten begehen – wegen Geldwäscherei verurteilt würden? Wie hoch könnte das Strafmass allenfalls sein?
P. B.: Die Delikte wären heute in jedem Fall strafbar. Das konkrete Strafmass kann ich aber nicht nennen.
swissinfo.ch: War der aufwändige Prozess gegen den Schweizer Arm der Zigaretten-Mafia überflüssig, weil die Anklage der Bundesanwaltschaft fast ins Leere stiess?
P. B.: Das würde ich nicht sagen. Ich finde, dieses Verfahren hat einen grossen Verdienst. Es hat der Öffentlichkeit klar vor Augen geführt, wie umfangreich das Geschäft mit dem Zigarettenschmuggel war und um welch enorme Beträge es ging.
Diese Aufarbeitung kam spät, vielleicht zu spät, aber sie war doch wichtig.
swissinfo.ch: Eine endgültige Beurteilung steht zudem noch aus, da die Bundesanwaltschaft das erstinstanzliche Urteil vor Bundesgericht ziehen will. Hat diese Beschwerde Chancen?
P. B.: Dazu will und kann ich mich im Moment nicht äussern. Das ist nicht meine Aufgabe.
Gerhard Lob, Lugano, swissinfo.ch
In den 1990er-Jahren blühte der Zigarettenschmuggel in Südeuropa. Dabei wurden unversteuerte Zigaretten in Zollfreilagern (Rotterdam oder Antwerpen) billig gekauft und per Land- oder Luftweg nach Montenegro geschafft. Montenegro vergab sogar Import- und Transitlizenzen und kassierte kräftig mit.
Von den Küsten Montenegros wurden die Zigaretten mit Schnellbooten via Adria nach Süditalien gebracht und dann über den Schwarzmarkt, vor allem in Neapel, verkauft. Die Gewinne wurden unter den diversen Mafia-Gangs aufgeteilt. Die Gelder wurden dann für den Einkauf neuer Zigaretten in den Zollfreilagern eingesetzt.
Das Geschäft brach zusammen, als die italienischen Behörden im Jahr 2000 den Schmuggel auf Schnellbooten von Montenegro nach Süditalien mit militärischen Mitteln unterbanden. Dabei kam es wiederholt zu Feuergefechten zwischen Militärs und Schmugglern.
Die neun Angeklagten – vier Schweizer, drei Italiener, ein Spanier und ein Franzose im Alter zwischen 56 und 73 Jahren – wurden der «Beteiligung, eventuell Unterstützung einer kriminellen Organisation und Geldwäsche» beschuldigt.
Laut der Anklageschrift, hatte die Geldwäsche mehr als eine Milliarde Franken eingebracht. Dies als Erlös aus dem Schmuggel von mindestens 215 Millionen Kartons Zigaretten aus Montenegro nach Italien zwischen 1994 und 2001.
Zwei der neun Angeklagten wurden verurteilt, sieben wurden freigesprochen.
Der 66-Jährige ist Rechtsanwalt und Titularprofessor im Ruhestand für Internationales Wirtschaftsrecht und damit verbundene Gebiete ist einer der führenden Experten im Finanz-und Bankensektor.
In seiner beruflichen Tätigkeit war er auch Sonderürüfer, Sachverständiger und ständiger Berater für verschiedene internationale Organisationen und Regierungen, das Eidgenössische Departement für Finanzen sowie kantonale Behörden.
Es war auch Mitglied verschiedener Experten-Ausschüsse, wie jenem der Eidgenössischen Bankenkommission, der Richtlinien über die Geldwäsche erarbeitete, jenem zum Börsen-Bundesgesetz und zum Bundesgesetz zur internationalen Rechtshilfe in Strafsachen.
Bernasconi ist jüngst öffentlich in Erscheinung getreten als Vertreter von Opfern des US-Jahrhundertbetrügers Bernard Madoff.
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