Die EU setzt einen Fuss nach Bern
EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero Waldner hat im Beisein von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey die neue Vertretung der Europäischen Union in Bern eingeweiht.
Beide betonten die guten Beziehungen zwischen Bern und Brüssel, bekräftigten aber auch ihre Positionen im Steuerstreit.
Sie habe lange für die Eröffnung dieser Vertretung gearbeitet, sagte Ferrero Waldner, nun sei sie glücklich, sie persönlich einweihen zu können. Für Calmy-Rey ist die Eröffnung eine Bestätigung des bilateralen Wegs der Schweiz.
Die Schweiz hat einen pragmatischen Weg in den Beziehungen zur Europäischen Union (EU) eingeschlagen. In seinem Europabericht vom Juni 2006 erklärt der Bundesrat, der bilaterale Weg sei der einzig Gangbare.
Ein Beitritt zur EU war in der vergangenen Legislaturperiode noch als strategisches Ziel betrachtet worden. Inzwischen ist der Beitritt nur noch eine mögliche Option.
Diese Gangart entspricht in der Tat dem Empfinden eines Grossteils der Schweizer Bevölkerung, welche die Annäherung an die EU an der Urne mehrfach bestätigt, aber einen Beitritt kategorisch ausgeschlossen hat.
Euroskeptiker und Europabefürworter
Nach den engagierten europapolitischen Debatten der 1990er-Jahre scheinen nur noch Europa-Gegner übrig geblieben zu sein.
Die Befürworter eines EU-Beitritt haben sich auch mit dem bilateralen Weg abgegeben, den sie ursprünglich nicht wollten, aber unter dem Druck der Gegner mit eingeschlagen hatten.
In diesem europa-skeptischen Klima öffnet die neue Botschaft der EU in Bern. Sie befindet sich mitten im Zentrum an der Bundesgasse, in unmittelbarer Nähe des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Normalisierung der Beziehungen
«Die Eröffnung der Botschaft in Bern symbolisiert eine Normalisierung der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU», sagt der Politologe Laurent Goetschel, Professor am Europa-Institut Basel. «Die EU-Kommission verfügt über diplomatische Vertretungen auf der ganzen Welt, aber bis anhin nicht in der Schweiz: Das war eine Anomalie.»
Goetschel ist der Ansicht, dass die Botschaft den Informationsaustausch zwischen Bern und Brüssel vereinfacht und die Beziehungen mit der EU nach aussen transparenter und sichtbarer macht. «Eine diplomatische Vertretung hat immer einen hohen symbolischen Stellenwert, auch wenn Verhandlungen zwischen zwei Ländern nicht mehr nur über die Botschaften laufen.»
Der Politologe betont aber, dass man die Präsenz eines Botschafters auch nicht unterschätzen solle. «Botschafter Reiterer wird überall eingeladen. Dadurch findet ein informeller Austausch von Informationen statt, der unmöglich wäre, wenn man für jedes Gespräch nach Brüssel reisen müsste», so Goetschel.
Viele offene Dossiers
Reiterer will die Botschaft jetzt mit zwei Beratern für die Bereiche Politik und Wirtschaft aufdotieren.»Dies bedeutet, dass die EU nicht einfach eine mickrige Vertretung unterhalten will, sondern ernsthaft an der Schweiz interessiert ist», meint Goetschel weiter.
An brennenden Themen zwischen der Schweiz und der EU mangelt es nicht: Neben den Streitigkeiten um die Besteuerung von Holdings in einigen Kantonen muss sich Bern bald auch zu Anschubfinanzierungen für die beiden neuen EU-Länder Bulgarien und Rumänien äussern.
Die Schweiz ist zudem an bilateralen Verhandlungen in den Bereichen Elektrizitätsmarkt, Landwirtschaft, Bildung und Forschung, Zertifizierung von Lebensmitteln, Ausweitung des freien Personenverkehrs sowie bei dem Satellitensystem Galileo interessiert.
Scharnierfunktion
«Es war höchste Zeit, dass in Bern eine Vertretung der EU ihre Pforten öffnete – die EU ist einer unserer wichtigsten Handelspartner», sagt die freisinnige Nationalrätin und NEBS-Präsidentin Christa Markwalder.
«Die Botschaft kann sicherlich einen Beitrag leisten, um die Wahrnehmung von EU-Initiativen in der Schweiz zu verbessern», sagt der sozialdemokratische Nationalrat Roger Nordmann, Mitglied der Neuen Europäischen Bewegung Schweiz (NEBS).
Die Europa-Skeptiker interpretieren die Präsenz der EU-Botschaft auf andere Weise. «Wir betrachten die Eröffnung der Botschaft als Anerkennung der Tatsache, dass die Schweiz nicht Teil der EU ist», sagt Hans Fehr, Nationalrat der national-konservativen SVP und Präsident der Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns).
«Aber Herr Reiterer sollte sich nicht in unsere innere Angelegenheiten einmischen und unsere Positionen in Brüssel klar darstellen», meint Fehr.
swissinfo, Andrea Tognina
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Der österreichische Diplomat Michael Reiterer (52) hat zu Beginn des Jahres 2007 sein Amt als Botschafter der EU in der Schweiz aufgenommen.
Zuvor war er Stellvertreter des EU-Missionschefs in Tokio. Der Diplomat hat einen Teil seiner Studien in der Schweiz absolviert und spricht auch fliessend Französisch.
Bisher war die Residenz von Michael Reiterer auch die diplomatische Vertretung der EU. Mit den neuen Büros an der Bundesgasse in Bern ändert dies. Reiterer repräsentiert die EU-Kommission, nicht das jeweilige Land der EU-Präsidentschaft.
Es gibt viele Hypothesen, warum die Botschaft der EU in Bern wesentlich später eröffnet wurde als in anderen Ländern.
Der Politologe Laurent Goetschel erinnert daran, dass die EU bereits über eine Vertretung in Genf verfügte. Diese war aber vor allem für die Kontakte mit den internationalen Organisationen zuständig. Laut Goetschel hatte die EU daher keine Eile, eine Vertretung in Bern zu öffnen.
Den neue EU-Botschafter in Bern, der Österreicher Michael Reiterer, hat in Schweizer Medien erklärt, diese Verzögerung könne damit zusammenhängen, dass Brüssel lange glaubte, die Schweiz werde irgendwann der EU beitreten.
Es ist zudem wahrscheinlich, dass auf Grund der geografischen Nähe, der intensiven Beziehungen im Rahmen der Verhandlungen zu den bilateralen Verträgen sowie der Existenz einer Schweizer Mission in Brüssel die EU-Kommission eine Niederlassung in Bern nicht als prioritär ansah.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch