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Die Familie bleibt das Steckenpferd der CVP

Christophe Darbellay will seinen Wählern zeigen, dass eine Mitte-Politik nicht unbedingt spektakulär, aber nützlich ist. Keystone

Bedrängt von links und rechts hat die Christlichdemokratische Volkspartei in den letzten 20 Jahren Wähler verloren. Im Wahlkampf 2011 will sie einer wenig spektakulären Mittepolitik neuen Glanz verleihen, sagt Parteipräsident Christophe Darbellay.

swissinfo.ch: Welches sind die Prioritäten ihrer Partei für die nächste Legislatur?

 

Christophe Darbellay: Erste Priorität bleibt die Familie, denn in unserem Land gibt es zu wenig Kinder und wir haben ein Problem mit der Überalterung. Die zweite Priorität gilt der Wirtschaftspolitik. Nur eine leistungsfähige Wirtschaft kann Arbeitsplätze schaffen.

Die Sicherheit der Sozialversicherung wie auch die alltägliche Sicherheit sind unsere dritte Priorität

Schliesslich noch die Frage des Umweltschutzes: Die CVP war in diesem  Bereich immer schon aktiv, denn es ist ganz wichtig, unseren Kindern eine Umwelt zu hinterlassen, in der es sich gut leben lässt.
 
swissinfo.ch: Sie sagen immer, dass die Familie im Mittelpunkt ihrer Anliegen steht. Doch was haben Sie konkret erreicht und was gilt es noch zu tun?
 
C.D.: Während der laufenden Legislatur haben wir die Steuergesetzgebung verbessert. Familien mit Kindern zahlen weniger Steuern und ihre Kaufkraft hat sich erhöht, weil Parallelimporte nun erlaubt sind.


Ich glaube, für die Zukunft benötigen die Familien Zeit, Geld und eine gute Infrastruktur. Eltern brauchen Zeit, wenn ein Kind krank ist oder zu einer Untersuchung muss. Wir müssen uns mit dem Begriff «Elternzeit» auseinandersetzen.

Im finanziellen Bereich sind im Steuersystem noch Verbesserungen möglich, zum Beispiel sollten Familienzulagen nicht besteuert werden. Die Benachteiligung von verheirateten Paaren bei Besteuerung und Sozialversicherungen muss aufgehoben werden.
 
Wenn ich von Infrastruktur spreche, meine ich vor allem die Kindertagesstätten. Hier muss es genügend Betreuungsplätze geben, damit Familie und Berufstätigkeit vereinbar sind.

 

swissinfo.ch: In welchen Bereichen muss die Schweiz ihre Ausgaben drosseln und in welche muss sie mehr investieren?


C.D.: Man kann nicht sagen, dass in einem bestimmten Bereich besonders gespart werden kann. Es ist jedoch notwendig, dass die Ausgaben des Bundes wirksamer kontrolliert werden, so zum Beispiel bei der Vergabe von Beratungsmandaten, die in der Bundesverwaltung zu üppig ausfallen.

Die Bildung ist meines Erachtens weiterhin eine wichtige Investition in einem Land ohne Rohstoffe, dafür mit «grauer Materie». Auch im öffentlichen Verkehr gilt es Lücken zu schliessen – es fehlen Milliarden für Strasse und Schiene.
 
swissinfo.ch: Welchen Weg muss die Schweiz einschlagen für die zukünftigen Beziehungen mit der EU?
 
C.D.: Schon seit Jahren sagt man uns, dass der bilaterale Weg zu Ende ist. Doch man sollte mit der Panikmache aufhören, wenn in Brüssel ein Funktionär hustet. Der bilaterale Weg ist praktisch auf die Schweiz zugeschnitten.

 
Der unbedingte EU-Beitritt der Linken und die Aufgabe des bilateralen Weges mit katastrophalen Folgen lehnen wir entschieden ab. Der bilaterale Weg bringt für die Schweiz wie für die EU Vorteile, doch er wird in Zukunft steiniger und schwieriger werden. Wir müssen ihn weiter gehen, im Moment sehe ich keine andere Möglichkeit.

 
swissinfo.ch: Soll die Schweiz neue Atomkraftwerke bauen oder eher auf erneuerbare Energie setzen?


C.D.: Was in Japan geschehen ist, wird die Energiepolitik in der Schweiz nachhaltig verändern. Zusätzliche Anstrengungen sind nötig, um die Möglichkeit einer Zukunft ohne Kernenergie zu verwirklichen.

Der Unfall in Japan hat gezeigt, dass Entscheide rascher gefällt und die Entwicklung erneuerbarer Energie mit drastischeren Massnahmen vorangetrieben werden müssen. Die Nutzung der verfügbaren elektrischen Energie ist mit grösserer Umsicht zu betreiben.

swissinfo.ch: Wie stellen Sie sich den Auftrag und die Mittel der Armee von Morgen vor?

 
C.D.: Die Armee bleibt ein zentrales Element unserer Sicherheit. Doch sie muss sich den heutigen Bedrohungen wie Terrorismus, Internetkriminalität, Naturkatastrophen usw. anpassen. In diesem Kontext muss der Auftrag der Armee formuliert werden.
 
Eine solche Armee wird meiner Meinung nach nicht mehr kosten als heute – mit einem Budget von vier Milliarden Franken jährlich und einem Personalbestand von 80’000 Soldaten. Diese Armee soll sich auch im Ausland engagieren, denn die internationale Stabilität trägt auch zur Stabilität in unserem Land bei.
 
swissinfo.ch: Welches ist die Position ihrer Partei gegenüber der Einwanderung und Integration von Ausländern in der Schweiz?
 
C.D.: Die Einwanderung ist für die Schweiz von grosser Bedeutung. Wir brauchen die ausländische Bevölkerung in einem Land, wo es immer weniger Nachwuchs und immer mehr ältere Leute gibt.
 
Doch es gibt auch Ausländer, die in unserem Land nichts zu suchen haben. Wir müssen also strenger sein und klare Kriterien festlegen; wir müssen deutlich sagen, was wir wollen und was nicht.

Hingegen fügt eine Politik, die alle Ausländer in den gleichen Topf wirft und von «den kriminellen Ausländern» spricht, der Schweiz Schaden zu, einem Land, das seinen Wohlstand auch den Ausländern zu verdanken hat.

swissinfo.ch: Was schlägt ihre Partei vor, um die Politik des Bundes gegenüber der Fünften Schweiz zu verbessern?

 
C.D.: Wir wollen während der Wahlkampagne einen besonderen Schwerpunkt auf die Fünfte Schweiz legen und das Interesse der Auslandschweizer wecken, auf einer unserer Listen zu kandidieren.

Eigene Listen für Auslandschweizer schliesse ich nicht aus. Es wäre eine gute Gelegenheit, die Erwartungen der Fünften Schweiz an die Politik gemeinsam zu erörtern.

Man könnte einmal über die Schaffung von speziellen Bezirken für die Fünfte Schweiz nachdenken. Doch im Moment müssen wir mit den Institutionen arbeiten, die wir haben.

Die Christlichdemokratische Volkspartei steht in der Mitte des politischenSpektrums. Sie wurde 1848 unter dem Namen Katholisch-Konservative Partei gegründet und war das politische Organ der Schweizer Katholiken.

Nachdem die Partei lange von einer Regierungsbeteiligung ausgeschlossen war, errang sie 1881 den ersten Bundesratssitz und 1919 den zweiten.

Nach einer langen Zeit der Stabilität zwischen 1919 und 1987 brach sie Ende der 1980er-Jahre ein, vor allem durch das Erstarken der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Sie fiel 1999 auf den letzten Platz der Regierungsparteien zurück und verlor auch 2003 bei den Parlamentswahlen 2003, was sie schliesslich einen der zwei Sitze im Bundesrat kostete.
 
Bei den eidgenössischen Wahlen von 2007 erhielt die CVP 14,4% der Stimmen. Sie stellt aktuell eine Bundesrätin, 31 National- und 15 Ständeräte.

Christophe Darbellay wurde 1971 geboren. Der Walliser ist diplomierter Agronom (ETHZ).

Im Lauf seiner beruflichen Karriere war er von 1997 bis 1999 Direktor der «Association des groupements et organisations romands de l’agriculture» und danach Vizedirektor des Bundesamts für Landwirtschaft.

Nachdem er ins Parlament gewählt wurde, musste er seine Stelle aufgeben.
 
2003 wurde er in den Nationalrat gewählt und übernahm 2006 von Doris Leuthard das Präsidium der CVP.

(Aus dem Französischen übertragen von Christine Fuhrer)

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