Die Freisinnigen wählen neuen Präsidenten
Gewinnt der Tessiner Fulvio Pelli oder der Luzerner Georges Theiler? Die FDP-Delegierten der Schweiz wählen am Samstag einen neuen Präsidenten.
Keiner der beiden Kandidaten hat bisher innovative Strategien aufgezeigt, wie die historische Partei aus der Krise geführt werden könnte.
Seit eineinhalb Jahrhunderten, seit der Geburt des Bundesstaates im Jahr 1848, stellt die FDP die einflussreichste politische Kraft in der Schweiz dar. Bis 1891 waren sogar alle Sitze im Bundesrat von Freisinnigen besetzt.
Erst danach musste die FDP lernen, die Macht mit anderen politischen Kräften zu teilen. Zuerst mit der Christlichdemokratischen Partei (CVP), dann mit der Schweizerischen Volkspartei (SVP) und schliesslich mit der Sozialdemokratischen Partei (SP).
Trotz dieser Veränderungen blieb die FDP die eigentliche Schaltstelle der Macht. Die Freisinnigen besetzten stets die gewichtigen Ämter in der Exekutive, die wichtigsten Stellen in der Verwaltung und pflegten die engsten Kontakte zur Wirtschaft.
Bis Mitte der 90er-Jahre durfte die FDP den grössten Wähleranteil verbuchen. Seither verlor sie jedoch kontinuierlich in der Wählergunst. Inzwischen ist die Partei in eine echte Krise geraten.
Einbruch bei den Wählern
Die nationalen Wahlen von 2003 zeigen die Entwicklung deutlich auf. Mit einem Wähleranteil von 17,3% lag die FDP weit hinter der SVP (26,7%) und der SP (23,3%) zurück.
Diese Tendenz hält seither an. Auch bei den kantonalen Wahlen in Solothurn und im Aargau am vergangenen Wochenende musste die FDP erneut eine Niederlage einstecken.
Am Samstag wählen die FDP-Delegierten einen neuen Präsidenten – den fünften seit 2001. Allein dies zeigt, in welcher tiefen Krise die Partei seit einigen Jahren steckt.
Der letzte Präsident, Rolf Schweiger, warf nach nur wenigen Monaten das Handtuch. Er war vom Stress ausgelaugt. Auch wenn sein Burn-Out nicht direkt mit der Parteiführung zu tun hatte, zeigte sich, wie schwierig das Amt der Parteileitung im Moment ist.
Politische Mitte in der Krise
Es gibt viele Gründe, die für den Niedergang der FDP verantwortlich sind, genauso wie bei der CVP, der zweiten grossen Zentrumspartei, die sich in einer Krise befindet.
Das Ende des Kalten Krieges hat das politische Zentrum geschwächt und der Polarisierung Auftrieb gegeben. Markante Positionen von Rechtsparteien wie der SVP erzeugen keine Angst mehr, die Wählerschaft zur Linken zu treiben.
Die wirtschaftlich schwachen 90er-Jahre und die Wirtschaftskrise von 2001 bis 2003 hat die sozialen Spannungen verschärft. In der Folge haben sich die Rechte und Linke gestärkt.
Fatal für die FDP war zudem die Beteiligung einiger ihrer Exponenten an Skandalen und Turbulenzen grosser Unternehmungen im Raum Zürich, die im Grounding der Swissair 2001 ihren Höhepunkt fand.
Zudem fehlt ein klares politisches Profil in wichtigen Dossiers. Im Falle der europäischen Integration beziehungsweise eines EU-Beitritts ist die freisinnige Position unklar.
Wenige Kandidaten
Die FDP politisierte stets von der Mitte aus, schmiedete Allianzen und konnte die Radikalisierung vermeiden. Doch heute scheint die Partei ihre Innovationskraft verloren zu haben Auch innerhalb der Partei lässt sich ein Reformstau feststellen. So geht die letzte Volksinitiative, welche die FDP lancierte, auf die 80er-Jahre zurück.
Wegen der ständigen Suche nach neuen Präsidenten ist in den letzten Jahren einerseits die inhaltliche und programmatische Arbeit zu kurz gekommen. Andererseits mangelt es an neuen «Vollblutpolitikern», welche die Partei einst auszeichnete.
Seit dem Rücktritt von Franz Steinegger, dem «Urner Urgestein», im Jahr 2001 hat die Partei erhebliche Mühe, einen geeigneten Präsidenten zu finden. Die Kandidaten zeichnen sich seither nicht gerade durch besondere Innovationsfreude und Charisma aus.
Pelli oder Theiler
Dies ist auch dieses Mal der Fall. Der Luzerner Georges Theiler, der vor einem Jahr seinem «Zwillingsbruder» Rolf Schweiger unterlag, tritt erneut an. Sein Gegner ist FDP-Fraktionschef Fulvio Pelli aus dem Tessin.
Da sich die beiden Kandidaten allein schon äusserlich gleichen, versuchen die Schweizer Medien seit Wochen die Unterschiede im politischen Profil der beiden Nationalräte herauszuarbeiten.
Anwalt Pelli wird als leicht links eingestuft und zeigt sich unabhängiger in Bezug auf einige Parteientscheide, offener gegenüber der EU und ist zugleich sensibel gegenüber sozialen Anliegen.
Der Luzerner Unternehmer Theiler steht einigen einflussreichen Lobbys nahe, vertritt aber auch die kleinen und mittleren Unternehmen, spricht sich für eine rigide Finanzpolitik aus und zeigt keine grossen Berührungsängste mit der SVP.
Die Positionen der beiden Kandidaten haben sich zusehends angeglichen. In den letzten Tagen vor der Wahl sind beide Kandidaten zudem noch stärker in die Mitte gerückt – eine Mitte, die heute politisch keine Erfolgsgarantie mehr darstellt.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Wahlergebnis bei den nationalen Wahlen 2003:
Schweizerische Volkspartei SVP: 26,7% (+4,2% gegenüber 1999)
Sozialdemokratische Partei SP: 23,2% (+0,8%)
Freisinnig-Demokratische Partei FDP: 17,3% (-2,6%)
Christlichdemokratische Partei CVP: 14,4% (-1,8%)
Am Samstag wählt die FDP den Nachfolger von Rolf Schweiger, der als Präsident im vergangenen November nach einem Burn-Out zurückgetreten ist.
Der Tessiner Anwalt Fulvio Pelli (54) war zwischen 1988 und 2000 FDP-Kantonalpräsident. 1995 wurde er in den Nationalrat gewählt, 2002 wurde er FDP-Fraktionschef im Eidgenössischen Parlament. Er bewirbt sich erstmals um die Präsidentschaft der Partei.
Der Luzerner Unternehmer und Berater Georges Theiler (55) ist seit 1995 im Nationalrat. Zuvor war er acht Jahre im Grossen Rat des Kantons Luzern. Er bewirbt sich zum zweiten Mal für das Präsidentenamt. Vor einem Jahr war er dem Zuger Rolf Schweiger unterlegen.
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